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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1951-08/0018
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Die Markgrafschaft

nach seiner Art; ebenso jede Franziskanerkutte
des Raupengeschlechts in seiner Art. Man weiß es
wohl, aber man denkt nicht daran.

Noch ein Wort mehr. Das erste Nest eines
Finken ist schon so künstlich, wie sein letztes.
Er lernt's nie besser. Ja, manches Tierlein braucht
sein Gespinst nur einmal in seinem Leben und
hat nicht viel Zeit dazu. Es wäre übel daran,
wenn es zuerst eine ungeschickte Arbeit machen
müßte und denken wollte: Für dieses Jahr ist's
gut genug, übers Jahr mach ich's besser.

Noch ein Wort mehr. Jedes Vogelnest ist ganz
vollkommen und ohne Tadel. Nicht zu groß urid
nicht zu klein, nicht zu wenig daran und nicht zu
viel, dauerhaft für den Zweck, wozu es da ist. In
der ganzen Natur ist kein Lehrpietz, lauter Meisterstücke
.

Aber der Mensch, was er zur Geschicklichkeit
bringen soll, das muß er mit vieler Zeit und
Mühe lernen, und bis er's kann, bekommt er
manche Ohrfeige von dem Meister, der selber
keiner ist. Denn kein menschliches Werk ist vollkommen
. Hat der geneigte Leser noch nie eine
Uhr gekauft, und wenn er meinte, jetzt geht sie
am besten, so blieb sie stehen, oder ein Paar
Stiefel, einmal sind sie zu eng, ein andermal zu
weit, oder in den ersten acht Tagen wird ein
Absatz rebellisch und will desertieren.

Was sagt der geneigte Leser dazu ? Also ist
ein Mensch noch weniger als ein Fink? — Nichts
nutz. —

Denn erstlich, nicht der Vogel baut sein Nest,
und nicht das Würmlein bettet sein Schlafbett,
sondern der ewige Schöpfer tut es durch seine
unbegreifliche Allmacht und Weisheit, und der
Vogel muß nur das Schnäbelein und die Füßlein
und, sozusagen, den Namen dazu hergeben. Deswegen
kann auch jeder Vogel nur einerlei Nest
bauen, wie jeder Baum nur einerlei Blüten und
Früchte bringt. Deswegen kann auch der Mensch
kein Vogelnest und keine Spinnenwebe nachmachen
. Gottes Werke macht niemand nach.

Zweitens, wie der ewige Schöpier an seinem
Ort jedem genannten Geschöpf seine Wohnung
bereitet, aber nicht alle auf gleiche Art, dem
einen so, dem andern änderst, wie es nach seinem
Zwecke und Bedürfnis recht ist, also hat er dem
Menschen etwas von seinem göttlichen Verstand
lassen in die Seele träufeln, daß er ebenfalls nach
seiner eigenen Überlegung für mancherlei Zwecke
bauen und hantieren kann, wie er selber glaubt,
daß es recht sei. Der Mensch kann ein Schilderhäuslein
verfertigen, ein Waschhaus, eine Scheuer,
ein Wohnhaus, einen Palast, eine Kirche, jedes
nach anderer Weise, item eine Kirchenuhr, item
eine Orgel mit 48 Registern, item einen Kalender,
was auch etwas heißt. Ein Fink kann nicht zweierlei
Nester bauen, er kann keinen Kalender schreiben
, noch viel weniger drucken.

Drittens hat der ewige Schöpfer dem Menschen
die Gnade verliehen, daß er in allen seinen Geschäften
unten anfangen und sie durch eigenes
Nachdenken, durch eigenen Fleiß und Übung bis
nahe an die Vollkommenheit der göttlichen Werke
selber hinbringen kann, wenn schon nie ganz.

Das ist seine Ehre und sein Ruhm. Kannst du
den Vers, sagte einmal der Hausfreund zu dem
Büblein des Herrn Geigers:

„Gott, du hast der Freuden Fülle? — "

Das Büblein fuhr fort:

Denn dein Verstand ist Licht. Dein Wille
ist Wahrheit und Gerechtigkeit.
Du liebest mit stets gleicher Stärke
das Gute nur, und deine Werke
sind Ordnung und Vollkommenheit.
O, bilde mich nach dir--

„Sieh, Kind", sagte der Hausfreund, und kam
sich selber fast vor wie ein Pfarrherr in der
Kinderlehre, so er doch keiner ist und möschene
Knöpfe auf dem Rocke trägt, „sieh", sagte er,
„das ist das schöne Ebenbild Gottes in seinem
ganzen Gehalt, woran der Mensch sein Leben lang
durch Nachdenken, nicht durch Lernen und
Frömmigkeit, sondern auch durch Fleiß und Geschicklichkeit
in seinem Beruf zu erwerben und
zu erhausen hat". „Gesetzt", sagte er, „du lernst
ein Handwerk oder wirst ein Schreiber oder ein
Pfarrer, oder es kommt einmal an dich, statt
deines Vaters den Kalender drucken, so sollst du
dich ebenfalls bemühen, all deinem Werk und
Tun das Siegel der Vollkommenheit zu geben,
daß zuletzt kein anderer Mensch mehr das nämliche
in seiner Art so gut machen kann als du.
Du mußt nicht einen Jahrgang schön drucken,
den andern schlecht; du mußt nicht an einem
Sonntag gut predigen, am andern obenweg aus
dem Ärmel. Denn Gott liebt mit stets gleicher
Stärke das Gute nur. — Alsdann wartet auch der
Freuden Fülle auf dich. Dem Menschen kann
keine reinere Freude werden als die Vollkommenheit
seiner Werke, wenn jedermann gestehen und
bekennen muß und er selber sagen oder denken
kann, sie sind recht. Denn selbst die Fülle der
göttlichen Freude kann nichts anderes sein, als
die Vollkommenheit seiner Werke.

Da hielt das Büblein die Hände gegen den
Himmel und sagte:

„O, bilde mich nach dir — "
Aus einem solchen Kind kann etwas werden.

„Die Markgrafschaft'

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Herausgeber: Hebelbund Lörrach und Müllheim (Baden)
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Verantwortlich für den Lörracher Heimatteil: Max Demmler
Telefon: Lörrach 2900 — Müllheim 358
Manuskriptzusendungen an: Hebelbund Lörrach und Hebelbund Müllheira
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Anzeigen-Annahme: F. Wolfsberger, Müllheim, Neue Parkstraße 7
Postscheckkonto 8889 Freiburg i. Br.
Druck: Markgräfler Druckerei, Müllheim (Baden)


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