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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1951-09/0008
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Die Markgrafschaft

Hans Thoma und das

„Dem freundlichen Blümlein Blaue, dem lieben
Elisabethlein" widmete Hans Thoma 1909 seine
„im Herbste des Lebens" gesammelten Erinnerungsblätter
. Einem zweijährigen Kinde.

Aber in der Vorrede des genannten Buches
verwahrt sich der Verfasser dagegen, daß man
diese Zueignung nur für eine „sonderbare oder
witzige Anwandlung" halte; er erklärt in feierlichen
Worten was ihm das Kind — nicht nur
das Elisabethlein — bedeutet „in dieser Zeit, da
alles schwanken will in unseren Begriffen und in
unseren Weltanschauungen". Es hätte dieser Erklärung
eigentlich nicht bedurft; niemand der des
Meisters Werke kennt, würde seiner Widmung
einen andern Sinn beigelegt haben als den, den
er in seiner Vorrede näher erläutert. Denn daß
Hans Thoma ein Kinderfreund ist, sieht wohl
auch der oberflächliche Beschauer aus seinen
Bildern. Wer aber verweilt und in der Welt seiner
Werke heimisch geworden ist, der erkennt,
daß es ein bedeutender Zug in des Meisters
Wesen ist, im Kinde mehr zu sehen als etwa nur
ein liebes kleines Menschlein. In den Zeiten der
Überkultur schien es ihm notwendig, wieder zur
unverdorbenen Natur zurückzukehren, und „nur
das Kind kann noch unser Lehrer sein!" Er meint
die Rückkehr zu jenem Kindersinn, von dem sein
alemannischer Landsmann Hebel so schön singt:

O gebis Gott e Chindersinn
's isch große Trost und Sege drin.
Sie schlofe wohl und traue Gott,
wenn's Spieß und Nägel regne wott!

Auf diesem Trost und Segen spendenden
Kindersinn beruht Thomas Weltanschauung. Und
da es doch der Trieb jedes wahren Künstlers ist,
sein Innerlicheigenstes zu geben, so spricht aus
allen Bildern des Meisters jene menschenfreundliche
, milde und frohe Gesinnung.

In seinem Aufsatz „Wandern und Suchen"
erzählt Thoma, wie er einmal auszog einen ganz
besondern Ort zu suchen, „den Kurort des freundlich
gelassenen Lächelns". Und er findet es bei
einem acht Monate alten Kindlein, dessen Lallen
aus einem Garten tönte. Er tritt zu ihm, es schaut
ihn an, „nicht gerade sehr verwundert, aber mit
so blauen Augen wie die Unendlichkeit über uns,
groß, durchdringend und fast seelenforschend,
und es ging wie eine Frage von diesen Augen
aus: Was willst du denn hier, du alter Sünder?"
Aber da, als er sich wegschleichen wollte, ging
ein entzückendes Lächeln über das Kindergesicht-
chen, „etwas Schönes, Urfreundliches und so lieblich
Versöhnendes, daß ich vor Freude fast hätte
weinen mögen — da war es ja, das Lächeln,
welches ich so eifrig gesucht hatte, das Lächeln
eines unschuldigen Seelchens, welches noch nicht
lange aus der Ewigkeit her zur Verschönerung
unseres Staub- und Atomengewirrs menschliche
Form angenommen hat". Daraus leuchtet eine
Liebe zum Kinde, die nicht bloß die eines Malers
zu einem schönen Gegenstand ist, sondern ein
andächtiges Versenken in das Wesentliche der
Kinderseele. Seinem frommen Herzen verkünden

Mna / Von Franz Hirtler

Kinderaugen alle Weisheit und allen Sinn des
Lebens.

Am deutlichsten hat Thoma die Symbolik des
Kindes gestaltet in dem bekannten Bildchen, das
ein Meerungeheuer darstellt, in dessen geöffnetem
Rachen ein Kind sitzt, das still und froh ein
Flötchen bläst. Als Ölbild, Zeichnung und Radierung
hat er oft dies Motiv behandelt und in den
„Federspielen", die er zusammen mit Henry
Thode herausgab, hat er das Bildchen durch
eigene Verse erklärt:

Vom Rätselrachen der Welt umfangen
Sitzt die arme Menschenseel in Furcht und Bangen.
Das Ungeheuer kann sie ja spielend verschlingen,
Und möchte jede so gerne ihr fröhliches Lebenslied
singen.

Dem kleinen Menschlein, das sein Lebenslied
singt, hat' Thoma eine große Anzahl von Geschwisterchen
gegeben: all die Putten und die
vielen Kinderengel, die er manchmal zu ganzen
Engelwolken vereinigt hat, haben in ihren runden
Gesichtchen die gleiche unbefangene Lebensfröhlichkeit
. Wie köstlich ist der in den Lüften wirbelnde
Engelreihen auf dem Frühlingsbild von
1873! Und welcher Humor steckt im „Ritt auf
dem Vogel". Eine ergötzliche Flugmaschine! Von
herzlicher Lustigkeit sind auch die munteren
Kinderengel, die die lachende und lohende Sonne
umspielen und die Jahreszeitenengel, die um den
altersgrauen Saturn kreisen. (Planetenbilder in
Karlsruhe.) Mit milden, klugen Augen schauen
sie alle drein und geben so Zeugnis von der Art
des Meisters, der einmal gesagt hat, daß von der
Kunst ein versöhnender Geist ausgehen kann.

Außer den symbolischen und mythischen Kindergestalten
hat Thoma eine große Anzahl von
Kindern nach der Wirklichkeit gemalt, Kinder,
wie sie uns im Leben begegnen, meist Bauernkinder
aus dem Schwarzwald. Sie alle sind eins
mit der Natur, in die der Meister sie hineingestellt
hat, wurzelecht, gesund und fröhlich. Sie
sind in ihrer Unberührtheit selbst Natur, sie
stellen den Menschen dar, wie Thoma ihn
wünscht. Thoma's Bilder sind daher meist Idyllen,
sie schildern ein friedliches Zusammenleben des
Menschen mit Tieren und Pflanzen zwischen
stillen Bergen mit romantischen Felsen und an
märchenhaften Gewässern. Daher liebt es der
Meister, das Hirtenleben immer wieder zum Stoff
seiner Bilder zu wählen. Die Kinder mit Ziegen
in der Dresdener Galerie sind wohl das schönste
der Hirtenbilder.

Reine Natur- und Lebensfreude steckt auch in
dem berühmten, malerisch so reizvollen „Kinderreigen
' ' der Karlsruher Kunsthalle. Die Kinder
dieses volkstümlichsten Bildes Thoma's sind nicht
das, was der Alltagsgeschmack hübsch nennt, ihr
Reiz liegt in einer gewissen herben Schönheit, die
der Natur viel näher ist als die geleckte und
frisierte Hübschheit vieler Kinderbilder. Der
Kunst Hans Thoma's ist ja alles Süßliche fremd.

Es ist unmöglich, alle die Bilder anzuführen,
in denen Thoma hütende, spielende, blumen-


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