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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1951-09/0014
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Die Markgrafschaft

aus dem vom Tode Gezeichneten noch die Namen
seiner Raubgenossen herauszubekommen?

Die alte Schwarzwälderin in der Ecke ticktackte
in einem fort: Ge-rech-tig-keit. Oder meinte
sie am Ende: Halt's-Ver-spre-che? Die stille Nacht
wurde lebendig. Ein Mäuslein pfiff hinter dem
Ofen: „Hilf, hilf". Im Gebälk krachte es hart:
„Chlag". Auf der Ofenbank begann die Katze mit
ihren grünfunkelnden Augen zu zwinkern und
schnurrte: „Zeig en a, zeig en a!" Draußen strich
ein Käuzchen vorbei, setzte sich auf den Apfelbaum
und stieß sein schauriges Schu-hu-huuu in
die aufgestörten Gedanken des Barbiers. „Der
Dodevogel", dachte er, „jetz mueß er halt sterbe".
Nun wußte er, daß es seine Christenpflicht sei,
dem Sterbenden in seiner Leibes- und Seelennot
beizustehen.

Als es tagte, und der Barbier hörte seine
Sohnsfrau in der Küche mit den Töpfen klappern,
stand er auf, holte das alte Gebetbuch vom Wandbrett
in der Stube, barg es in seiner Tasche und
legte frisches Verbandszeug dazu. Dann wusch er
sich am Brunnen und setzte sich mit Sohn und
Söhnerin zur Morgensuppe. Er erzählte ihnen,
daß er zu dem schwerkranken Mann auf den
Brennet müsse, zu dem man ihn gestern geholt
habe, und machte sich dann wieder auf den Weg.

Der Herbstmorgen war frisch, und der Barbier
schauderte trotz seiner warmen Kleider. Er
schritt rüstig aus. Auf Busch und Baum lag der
Reif, aber der Mann achtete nicht darauf. Würde
er den Kranken noch lebend antreffen? Würde
dieser noch sein Gewissen erleichtern können,
bevor er vor dem himmlischen Richter stand?
Diese Fragen gingen ihm durch den Sinn, bis er
endlich vor der alten Hütte stand. Er zögerte,
einzutreten, gab sich dann aber einen Ruck und
klinkte die Türe auf, die in die kleine, rußige
Küche führte.

Der Kranke schien allein zu sein, es kam ihm
niemand entgegen. Er trat in die muffige Kammer
. Unruhig warf sich der Kranke auf seinem
Lager herum. „Jakob", flüsterte er. „'s isch nit
der Jakob", sagte der Barbier, „ich bi's, der
Uerich-Wilhelm vo Wehr". Entsetzt schrie der
Kranke auf: „Wennt er mi hole? I bi's nit ellei
gsi". Der Barbier trat auf das Bett zu und drückte
den aufgeregten Kranken sanft auf die Kissen
zurück. „Seig still. I due der nüt. I will der
numme helfe". Er setzte dem Fiebernden einen
Becher mit Milch an den Mund, der noch vom
Abend vorher dastand. Gierig trank dieser. Der
Barbier sah nach der Wunde. Der Wundbrand
war eingetreten. Da war nicht mehr zu helfen,
der Totenvogel hatte nicht umsonst gerufen.
Kühlende Umschläge auf die fieberheiße Stirn
ließen den Kranken auf eine kurze Zeit zu sich
kommen. Er schien die Schmerzen weniger stark
zu fühlen und schaute den Helfer dankbar an.
Matt fragte er nach dem Jakob. „Er würd gly
cho", tröstete der Barbier, neigte sich über ihn
und fragte leise: „Wie isch das passiert?" Erschrockenen
Blickes streckte der Kranke seine
Hände abwehrend gegen den Frager „Im Holz an
der---", aber schon verwirrte ihm das Fieber
seine Gedanken wieder. Er lachte böse auf:

„Hau zue, Jakob, gib em, dem Satanshund!" Doch
konnte sich der Barbier aus den wirren Reden
des Sterbenden das Geschehen wohl zusammenreimen
.

Unterdessen trat der Jakob mit einem Topf
Milch in die Küche. Beinahe ließ er den Topf fallen
, als er den Barbier allein bei dem Kranken
sah. Er beruhigte sich aber, als er sah, daß dieser
nun wie leblos in den Kissen lag, und schickte
sich an, die mitgebrachte Milch auf dem verwahrlosten
Herd zu kochen.

Der Bader aber holte sein Buch aus der Tasche
und begann langsam und stockend ein Sterbegebet
zu lesen. Der Kranke regte sich nicht. Aber
als der Barbier an den Schluß kam und las: „Verwirf
mich nicht vor deinem Angesicht, mein Gott,
und sei mir Sünder gnädig", da schlug der Sterbende
seine Augen auf. Sein Blick suchte den
Leser. Dieser beugte sich über ihn, und kaum hörbar
flüsterte der Sterbende: „Der Biersieder —
gnädig. Amen!" Dann schloß er die Augen wieder
, und bald war sein Atem still und der Todeskampf
zu Ende.

Der Barbier überließ den Toten dem Jakob,
ohne sich mit einem unvorsichtigen Wort zu verraten
, und ging an diesem Morgen seinen zweiten
schweren Gang, den Gang zum Richter. Obwohl
er es kaum zu glauben vermochte, daß der Bier-
sieder, dieser biedere und allzeit freundliche
Mann etwas mit dem Überfall am Mettler Weg
zu tun haben sollte, so hatte er doch die Worte
des Sterbenden zu deutlich gehört. An diesen
konnte er nicht zweifeln.

Beim Biersieder ging es am Nachmittag desselben
Tages lustig zu. Dem jungen Schmied war
sein erster Sohn geboren worden. Das freudige
Ereignis mußte begossen werden. Eben schrie der
allzeit fidele Schneider: „Suff et, bigott, im
Schmied sy Bueb soll lebe un der Vatter der-
nebe!", als die Türe aufging und zwei Häscher
eintraten. „Hoho", gröhlte einer, „Ihr sin aber an
die letzi Tür cho!" Die beiden traten ohne ein
Wort zu sagen auf den Biersieder zu: „Im Namen
des Gesetzes, Ihr seid verhaftet".

Totenblaß stand der Biersieder und ließ sich
wortlos die Hände fesseln. Mitten durch die verstörten
Gäste führten sie den Biersieder fort.
Rasch leerte sich die Stube, und jeder wollte die
Neuigkeit zuerst an den Mann bringen.

Die Wehrer machten lange Hälse, als sie
sahen, daß der Biersieder zwischen den Häschern
dem Richterhaus zugeführt wurde. Was war denn
da los? Der Biersieder verhaftet? Wie ein Lauffeuer
ging diese Nachricht durch den Ort.

Auch der Richter befand sich in der größten
Aufregung. Eine solch ungeheuerliche Verdächtigung
dieses Mannes! Sicher waren die Worte des
Sterbenden vom Barbier falsch verstanden worden
. Aber als er den Biersieder eintreten sah,
wurde er wieder schwankend. Sah so ein Unschuldiger
aus?

„Martin Weber", fragte der Richter, „wißt
Ihr, warum man Euch verhaftet hat?"


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