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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1951-10/0006
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Die Markgrafschaft

„Daß viele Eingeborene die Frage in sich
bewegen, wie es möglich sei, daß die Weißen, die
ihnen das Evangelium der Liebe bringen, sich
jetzt (im Weltkrieg 1914—18) gegenseitig morden
und sich damit über die Gebote des Herrn
Jesu hinwegsetzen, fühlen wir alle. Wenn sie
uns die Frage stellen, sind wir hilflos. Ich versuche
nichts zu erklären, nichts zu beschönigen.
Ich fürchte, daß der Schaden gewaltig sein wird.
In meinem Hause achte ich darauf, daß die
Schwarzen möglichst wenig von den Greueln des
Krieges erfahren. Was wir an illustrierten Blättern
bekommen, darf nicht herumliegen, damit
die Boys, die lesen können, sich nicht in den
Text und die Bilder vertiefen und davon erzählen
. Die medizinische Arbeit geht wieder ihren
gewohnten Gang. Jeden Tag, wenn ich morgens
zum Spital hinuntergehe, kommt es mir als eine
unbegreifliche Gnade vor, daß ich, wo jetzt so
viele Menschen aus Pflicht Weh und Tod über
andere Menschen bringen müssen, an Menschen
Gutes tun und Menschenleben erhalten darf.
Dieses Gefühl hebt mich über alle Müdigkeit
hinaus".

„Es ist ein merkwürdiges Arbeiten. Mein
Tisch steht an der auf die Veranda hinausführenden
Gittertür, damit ich möglichst viel von der
leichten Abendbrise erhasche. Die Palmen rauschen
leise zu der lauten Musik, die die Grillen
und Unken aufführen. Aus dem Urwald tönen
häßliche und unheimliche Schreie herüber. Ca-
ramba, der treue Hund auf der Veranda, knurrt
leise, um mir seine Gegenwart bemerkbar zu
machen. Zu meinen Füßen unter dem Tisch liegt
eine kleine Zwergantilope. In dieser Einsamkeit
versuche ich, Gedanken, die mich seit 1900 bewegen
, zu gestalten und am Wiederaufbau der Kultur
mitzuhelfen. Urwaldeinsamkeit, wie kann ich
dir jemals danken für das, was du mir warst".

„Langsam krochen wir den Strom hinauf (zu
einer 200 Kilometer weit entfernt liegenden,
kranken Frau eines Missionars), uns mühsam
zwischen den Sandbänken — es war trockene
Jahreszeit — hindurchtastend. Geistesabwesend
saß ich auf dem Deck des Schleppkahnes, um den
elementaren und universellen Begriff des Ethischen
ringend, den ich in keiner Philosophie gefunden
hatte. Blatt um Blatt beschrieb ich mit
unzusammenhängenden Sätzen, nur um auf das
Problem konzentriert zu bleiben. Am Abend des
dritten Tages, als wir bei Sonnenuntergang gerade
durch eine Herde Nilpferde hindurchfuhren,
stand urplötzlich, von mir nicht geahnt und^nicht
gesucht, das Wort „Ehrfurcht vor dem Leben"
vor mir . . . Nun war ich zu der Idee vorgedrun-
den, die in der Welt- und Lebensbejahung und
Ethik miteinander enthalten sind! Nun wußte ich,
daß die Weltanschauung ethischer Welt- und
Lebensbejahung samt ihren Kulturidealen im
Denken begründet ist".

„Die Leute hatten sich verlaufen. Auf einem
Stein saß lautlos weinend eine alte Frau, deren
Sohn mitgenommen worden war (ausgehoben
zum Dienst als Träger in Kamerun). Ich ergriff
ihre Hand und wollte sie trösten. Sie weinte

weiter, als hörte sie mich nicht. Plötzlich fühlte
ich, daß ich mit ihr weinte, lautlos in die untergehende
Sonne weinte, wie sie".

„Die, die an sich erfahren, was Angst und
körperliches Weh sind, gehören in der ganzen
Welt zusammen. Ein geheimnisvolles Band verbindet
sie. Sie bringen andern Erlösung, wie
ihnen Erlösung ward. Aber Europa ist ruiniert
und im Elend. So vieler Not haben wir in unserm
nächsten Gesichtskreis zu wehren. Wie können
wir noch der fernen gedenken?

Zwar ist mein Werk, wie ich es gegründet
hatte, im Kriege zusammengebrochen. Die
Freunde, die sich aus verschiedenen Nationen
zusammengetan, um es zu unterhalten, sind durch
das, was sich in der Welt ereignet hat, auf lange
hinaus entzweit worden. Von denen, die noch
weiter helfen könnten, sind manche durch den
Krieg verarmt. Dennoch bleibe ich mutig. Das
Elend, das ich gesehen, gibt mir die Kraft dazu,
und der Glaube an die Menschheit hält meine
Zuversicht aufrecht. Ich will hoffen, daß wir
bald mehrere Ärzte sein werden, die von der
Brüderschaft der vom Schmerz Gezeichneten
hierhin und dorthin in die Welt entsandt werden".

„Am Abend (des 21. Januar 1927) bringe ich
die letzten Kranken, unter ihnen die Geisteskranken
hinauf (ins neue Spital). Die Geisteskranken
verhalten sich ganz ruhig. Man hat ihnen erzählt,
daß sie im neuen Spital in Zellen mit Fußböden
aus Holz wohnen werden. Deshalb meinen sie, in
einen Palast versetzt zu werden. In ihren bisherigen
Zellen hatten sie die feuchte Erde als
Fußboden. Den ersten Abend im neuen Spital
werde ich niemals vergessen. Vor allen Feuern
und aus allen Moskitonetzen schallt mir entgegen
: Das ist eine gute Hütte, Doktor, eine gute
Hütte. Zum ersten Mal, seitdem ich in Afrika
wirkte, sind meine Kranken menschenwürdig
untergebracht. Was habe ich in diesen Jahren
darunter gelitten, sie in dumpfen, dunklen
Räumen zusammenpferchen zu müssen. Voll
Dank schaue ich zu Gott empor, der mich solche
Freude erleben läßt".

„Mein Haar beginnt zu ergrauen. Mein Körper
fängt an, die Jahre und Strapazen, die ich
ihm zumutete, zu spüren.

Dankbar blicke ich auf die Zeit zurück, in der
ich mir rastlos körperliche und geistige Arbeit
zumuten durfte. Gefaßt und demütig schaue ich
auf die aus, die noch kommt, damit mich Verzichten
, wenn es mir beschieden sein soll; nicht
unvorbereitet treffe. Als Wirkende und als
Leidende haben wir ja die Kraft von Menschen
zu bewahren, die ihrem Dasein einen Sinn gegeben
haben, und danach zu streben, zum Frieden
durchzuringen, der höher ist als alle Vernunft".

ßatendsrfprud)

Das Wichtigste im Leben sind deine geheimsten
Gedanken, den sie werden eines Tages, im Guten wie
im Bösen, als Saat aufgehen und beides fällt dann wieder
auf dich selbst zurück. E. Pfefferle.


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