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Die Markgrafschaft
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Aus der Bach-Biographie von Albert Schweitzer
Die Künstlerpersönlichkeit
Mehr als bei jedem anderen Genie ist bei
Bach der Mensch, wie er sich gab und äußerlich
darstellte, nur die undurchsichtige Hülle der
künstlerischen Seele, der er zur Behausung bestimmt
war. Bei Beethoven reißt der Innenmensch
den Außenmenschen an sich, entwurzelt
ihn aus dem natürlichen Leben, durchbebt und
durchglüht ihn, bis er durch ihn hindurchscheint
und ihn zuletzt ganz aufgezehrt hat. Bei Bach
nicht lso. Er fällt mehr unter die Zweinaturenlehre
; sein künstlerisches Erleben und Schaffen
HERBST
's Lebe madht si alti Chebri,
isdh Verwandlig obni End,
mueß si Werk un Wese trübe,
au im Sterbe Lebe bliibe,
Flamme si, die ewig brennt.
Mag au Frucht um Frudbt jetz falle,
Blatt um Blatt enanderno. —
's Lebe goht in eigne Bahne.
Usern Moder stigt e Ahne,
gheimi Türe hör i goh.
Muetterselig müeiht sid) d'Erde,
tausig Chluse het si gmadot.
Sorgt, daß alle ihre Chinder
nonem dhalte Herbst und Winter
wieder d'Ostersunne ladot.
F. Woifsberger
spielt sich neben dem normalen und fast banalen
Verlauf seiner bürgerlichen Existenz ab, und zwar
so, daß es sich neben dieser gar nicht hervortut.
Gekämpft hat Bach für seine bürgerliche Existenz
, nicht aber um die Anerkennung seiner
Kun§t und seiner Werke. Darin ist er als Mensch
so verschieden von Beethoven und Wagner, überhaupt
von dem, was wir unter einem „Künstler"
verstehen.
Um die Anerkennung des Unzeitgemäßen in
seinem Schaffen, wo er das aussprach, was seine
Seele bewegte, hat er die Welt nicht gebeten.
Es kam ihm nicht einmal in den Sinn, daß er
solches von ihr erwarten sollte und könnte. Er
tat nichts, um seine Kantaten und Passionen bekannt
zu machen, auch nichts, um sie zu erhalten
. Seine Schuld ist es nicht, wenn sie auf uns
gekommen sind.
Das Einzigartige an diesem Meister ist eben,
daß er für seine größten Werke nicht nach Anerkennung
rang und die Welt nicht zusammenrief,
damit sie davon Kenntnis nähme. Darum liegt
eine solche Weihe über seinem Schaffen. Von
seinen Kantaten geht ein Zauber des Unberührten
aus, wie sonst von keinen Kunstwerken in
der Welt. Die grauen Bände der alten Bachgesellschaft
reden eine ergreifende Sprache. Sie predigen
von etwas, das nicht untergehen konnte, einzig
nur, weil es wahr und groß war, und geschaffen
wurde, nicht um anerkannt zu werden, sondern
weil es geschaffen werden mußte. Bachs
Kantaten und Passionen sind nicht nur Kinder
der Muße, in dem vornehmen, tiefen Sinn, den
dieses Wort im Altertum hatte, wo es die Stunden
des Lebens bedeutete, die der Mensch für
sich und für sich allein verwandte.
Daß das, was er schuf, so einzigartig groß war,
kam ihm selber nicht zum Bewußtsein. Er hatte
nur die Erkenntnis von der Überlegenheit, die
man ihm auf der Orgel und dem Klavier und als
dem großen Kontrapunktisten zuerkannte. Aber
niemals hat er geahnt, daß von allen Kunstwerken
, die in jener Zeit um ihn herum erstanden,
die seinen allein einem kommenden Geschlechte
sichtbar bleiben würden. Wenn es zum Wesen
der großen, unzeitgemäßen, schöpferischen Menschen
gehört, daß sie auf „ihre Zeit" warten und
sich in diesem Warten gar verzehren, so war
Bach weder groß noch unzeitgemäß. Er war der
erste, der den überzeitlichen Wert seiner Werke
nicht erkannte. Damit steht er vielleicht von allen
schöpferischen Geistern am höchsten; seine unermeßliche
Kraft betätigte sich, ohne sich ihrer
selbst bewußt zu werden, wie die Kräfte, die in
der Natur wirken. Darum ist sie auch so elementar
und reich wie diese.
Bachs Künstlertum und Persönlichkeit ruhen
auf seiner Frömmigkeit. Soweit er überhaupt
begriffen werden kann, wird er es von hier aus;
Kunst war für ihn Religion. Darum hatte sie
nichts mit der Welt und nichts mit dem Erfolg
in der Welt zu tun. Sie war Selbstzweck. Die
Religion gehört bei Bach in die Definition der
Kunst überhaupt. Jede große Kunst, auch die
profane, ist ihm an sich religiös. Für ihn verhallen
die Klänge nicht, sondern steigen als ein
unaussprechliches Loben zu Gott empor.
„Die Markgrafschaft"
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