http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1951-10/0014
12
Die Markgrafschaft
InS neue Land / Aus J. J. Astors Lehrjahren
Von Herrmann Albrecht
Zwei Brüder
Ja, du grüner Odenwald, du bist wirklich
schön, auf deinen Höhen und in deinen Gründen,
absonderlich in der wonnigen Lenzzeit, wenn
auch das letzte Schneeflöckchen geschmolzen ist
in der tiefen Steinschlucht und die Lerche ihre
Triller schlägt im weiten blauen Frühlingshimmel
, hoch über den Kirchtürmen und Strohdächern
, mitten in einem flutenden Meer von
Baumblütenduft über den wogenden Raps- und
Roggenfeldern oder über herrlichen, junggrünenden
Buchenwäldern, oder wo der Lärchenhain
sich freundlich ins Graugrün der rotstämmigen
Fichte verflicht. An den steilen Talhängen drunten
aber rauschen und hüpfen so heimelig die
Waldbrunnen zum Bach nieder, und der treibt
sein Spiel im grünen Buchengrund mit dem Rad
der moosbewachsenen, schindelgepanzerten Talmühle
, und eilt westwärts dem lustigen Neckar
zu.
Und wieviel ungehobene Schätze liegen für
des Beschauers Auge im unteren Neckarlauf von
Haßmersheim bis Heidelberg. Fast alle Höhen
mit stolzen Burgen gekrönt, der stattlichen
Zwingenburg, der finster niederdräuenden Stol-
zeneck, Hirschhorn und Steinach und Neckargemünd
, Ziegelhausen, dann am romantischen
Stift vorüber treibt der rasche Neckar, hier schon
ein echter Pfälzer, seine klaren Fluten der von
Scheffel besungenen Musenstadt zu.
Zwei Menschenkindern ist in dieser Frühstunde
alles einerlei um sie her, ob es kalt oder
warm, Mai oder November, Tag oder Nacht ist.
Ihr Weg geht nicht nach Heidelberg und ihr Fuß
darf nicht in Schwetzingen verweilen; denn sie
fahren in der dämmerigen Morgenfrühe durch
den Hardtwald, Mannheim zu; es gilt einen
Abschied. Es ist ein ziemlich armseliger, zweirädriger
Bauernwagen, dem ein dürrer Gaul vorgespannt
ist. Darum eilt es demjenigen von den
beiden, der das Rößlein lenkt, wohl besonders,
noch vor Tagesanbruch in die kurfürstliche Residenz
zu gelangen, denn die Mannheimer Residenzler
hätten sicher ihren Spott über diese Walldorfer
Karriolpost. Die beiden Burschen sind in
lebhaftem Gespräch begriffen.
„Jakob", sagt der eine, „du mußt noch eine
Weile daheim aushalten; es mag dort aussehen,
wie es will. Du weißt ja, es hat mich viel Überlegen
gekostet, bis ich endlich meine Reisekiste
gepackt habe. Und vollends die Reise übers Meer
ins neue Land schlag' dir nur vorläufig ganz aus
dem Sinn; du kannst und darfst den Vater mit
seiner Stube voll Kinder nicht allein zu Hause
lassen. Der Peter ist fort, der Henner ist fort.
Ich müßte mir mein Lebtag Vorwürfe machen,
wenn ich den flotten ,Anstand4, den ich jetzt in
Neuwied drunten haben kann, von der Hand
wiese. Es wird doch einem von uns auch daheim
ein Glücksstern leuchten. Guck, Stobbele, es sind
jetzt drei Jahre her, daß es allemal, so oft ich
früh die Augen aufgemacht habe, in mir geheißen
hat, wie wenn's der Pfarrer von der Kanzel
predigte: Hammelcher, du mußt fort in die weite
Welt! Wir Pfälzer sind einmal Zugvögel, und wir
Astore sind's noch extra. Weiß der Kuckuck, wo
uns Astore der Wind hergeweht hat. Aus Italien,
wie der alte Schulmeister Jenne behauptet, bis
an den Neckar; er sagte einmal zum Großvater:
Ihr Astore seid wie gutes Gold; das hat den Lauf
durch alle Lande. Aber guck, trotzdem habe ich
doch noch drei Jahre daheim ausgehalten, und
bin dem Vater an die Hand gegangen, kann aber
jetzt nicht ruhig fort, wenn du nicht aushältst,
bis die Stiefgeschwister herauf sind und der
Vater nimmer allein ist".
Der Angeredete schwieg. Was der Bruder vorbrachte
, war für den Jüngeren, den Stobbele, von
Gewicht. Die beiden waren die Söhne des bekannten
Metzgerjakob von Walldorf. Es gab
überhaupt in der Gegend zwischen Schwetzingen,
Heidelberg und Wiesloch nur zwei Bauernhelden.
Darunter zählte aber nicht der Kurfürst, seines
Namens Karl Theodor — der wohnte fast gar
nicht mehr zu Mannheim oder Schwetzingen,
sondern zu München. Noch weniger seine Minister
; vor denen machte man unter den Bauern,
besonders den Reformierten, das Kreuz. Am
allerwenigsten aber der Dichter Schiller, von dem
man vor einiger Zeit ein Theaterstück auf die
Mannheimer Bühne gebracht hatte, ,,Die Räuber".
Von allen Komödianten und was damit zusammenhing
, hatten sie die felsenfeste Überzeugung,
daß diese dem Teufel vom Karren gefallen seien.
Nein, die zwei berühmten Leute dieser Gegend
waren der Philippsburger Kommissari und der
Metzger jakob. Da gab's immer einen Spaß, wenn
die beiden einmal in einem Wirtshaus zusammenkamen
. Denn der Kommissari war kein griesgrämiger
Mann: wo die Bauern beisammensaßen,
da setzte er sich mitten unter sie, zog ein Kartenspiel
aus der Tasche oder schob Kegel mit ihnen.
Da kam's gewöhnlich vor, daß der Metzger jakob
den letzten Heller verspielte und vertrank und
gar noch eine gehörige Zeche aufs Kerbholz bekam
, während der Kommissari, wenn er verloren
hatte, einfach bezahlte und seines Weges zog. Der
bekam keinen Rüffel, denn er war Junggeselle.
Aber beim Metzger jakob war's anders, wenn er
heimkam. Er hatte eine zweite Frau, und die
Metzgerei war in damaliger Zeit just nicht immer
eine Goldgrube, wenigstens in dem armen Walldorf
nicht. Die Bauern hatten wohl meist ihr
eigenes Schweinlein im Stall oder im Rauch;
„Grünes", das heißt Rind- oder Kalbfleisch, gehörte
aber zu den Festtagsgenüssen. So zog der
Metzgerjakob auf der „Stehr" herum, wobei nicht
viel herauskam, besonders bei solchem Durst und
einem Widerpart, wie der Kommissari. Und der
Jakob hatte eine große Familie. Von seinen Söhnen
erster Ehe waren schon zwei in der weiten
Welt; der Peter war ins Engelland gegangen und
hauste als Geigenmacher in London, der Hann-
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1951-10/0014