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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1951-11/0004
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Die Markgrafschaft

„Der Chilchhof isch nit wit"

Eine kleine Betrachtung zum Totensonntag

Es lag wohl ein tiefer Sinn darin verborgen,
daß man die Begräbnisstätten früher um die
Kirchen herum legte, daß also der Friedhof in
der Mitte des Dorfes lag und der „Chilchhof war",
wir wir's nur noch in wenigen Gemeinden unseres
Landes vorfinden. Da gingen doch die sonntäglichen
Gottesdienstbesucher zuvor zu den stillen
Grabhügeln ihrer Lieben zu einem Gebet und
guten Gedenken an die Dahingeschiedenen, und
immer war man dann auch, wie es tatsächlich sein
sollte, in der Kirche mit der Gemeinde der Vollendeten
vereinigt. Und so kam dem damaligen
Menschen viel deutlicher und eindringlicher zum

An J. P. Hebel

Vom Wälderbueb zuetn Didhter un Prälat —
das het Dir niemes an der Wagte gsunge!
Im Gegeteil: 's het menggmol änderst klunge,
wenn's gange isdh um Geld un Heeregnad!

Heimweh — Verzidht! Du hesdh de Wermuet gdhennt,
hesdi sdho as Chind us dere Schale trunkef
e mengge Wunsdh isdh Dir ins Nit versunke,
€ menggi Hoffnig isdh Dir abebrennt.

Bodh Gold blibt Gold! Tief z'innerst hesdh Dus ka,

drum het Dir 's Heimweh d'Zunge glöst zuem Singe,
hesdh's vo der Hardt her us Dim Gmüet lo klinge

in Wort un Lied, wies sunst e keine d)a!

Un d'bAuettersprodo! Du hesdh si uns verklärt!
Hodh uffe zue de Sterne hesdh si zöge,
Di Riim, die Wort un Werk hän d'Engel gwoge,
in Dir isdh Land un Voldh am Rhy hodh g'ehrt

In Lieb un Treui sin' mir drum au Di,

Du guete Geist, in alle unsre Tage!

Di Werk un Wese soll is heilig sif

was Du is glehrt hesdh, wämmer witer trage.

F. Wolfsberger

Bewußtsein, was J. P. Hebel nicht müde wird,
als unser unentrinnbares Schicksal vor uns hinzustellen
:

„Zuem stille Grab im chüele Grund
füehrt jede Weg un 's fehlt si nit".

Zugleich war aber der Mensch von damals auch
gezwungen, sich mit dem „Ehnedra", mit der
Frage nach Ewigkeit tiefgehender auseinanderzusetzen
, als wir in unserer oberflächlichen.
Gegenwart, die meist den Friedhof irgendwo
außerhalb des Dorfes gelegt und auch diese letzten
Fragen auf die Seite geschoben haben.

Hebel aber ist in gleicher Weise ein Mahner
an die Unentrinnbarkeit des Todes wie ein Künder
von der heiteren jenseitigen Welt. Es hat
gewiß auf den kleinen Hanspeter schon einen
tiefen Eindruck gemacht, daß ihm, sobald er sein

Geburtshaus am Totentanz verließ, der Predigerkirche
gegenüber stand, in deren dämmrigem
Licht die Bilder des Holbein'schen Totentanzes
zu sehen waren, „schuudrig wie der Tod im Basler
Totedanz", und er hat sie gewiß manchmal
mit heimlichem Gruseln beschaut. Er erwähnt ja
auch einmal in einem späteren Brief den Blinden
aus dem Holbein'schen Totentanz, dem der Tod
das Band zum Hündlein durchschneidet, so daß er
nun ins offene Grab schreitet. Und die Mutter
Ursula, die ja in ihrem zweiten Ehe jähr kurz
hintereinander den Ehemann und das Töchterlein
verloren hat, wird ihren Buben eindringlich genug
auf das schnelle Sterben der Menschen hingewiesen
haben. Und als der Dreizehnjährige die
Mutter so schnell verlor, da hatte ja der Tod mit
einer rauhen Wirklichkeit in sein Leben eingegriffen
; und als Dichter läßt er darum diese Mahnung
an das Sterben so oft und eindringlich aufklingen
: ob er mitten ins freudige Stündli hineinruft
: „'s währt alles churzi Zit, der Chilchhof isch
nit wit, wer weiß, wer bal dort lit" — oder ob
er den „Wächter in der Mitternacht" über den
Kirchhof gehen und seine ernsten Betrachtungen
anstellen läßt: „He nu, es goht üs alle so; der
Schlof zwingt jeden uf em Weg"; ob er „auf
einem Grabe" steht und ein Gespräch führt mit
dem, der da unten gebettet liegt, oder ob er das
Agethli an die Bahre des Götti führt und ihm am
friedlichen Gesicht des Entschlafenen die Todesfurcht
vertreiben will; ob der Ätti dem Bueb in
der „Vergänglichkeit" die unumstößliche Tatsache
vor Augen hält: „'s isch einerlei, i gang im
Chilchhof zue" oder ob er im guten Rat zum Abschied
gerade zum Kirchhof keinen Wegweiser
aufstellt, weil von selbst jeder Weg dorthin ausmündet
.

Aber aus dieser unausweichlichen und darum
unübersehbaren Tatsache des „Mitten wir im
Leben sind von dem Tod umfangen" folgert nun
Hebel die für ihn ebenso unumstößliche Gewißheit
einer höheren Welt. Diese leitet er nun nicht
etwa — wie wir es von dem Theologen erwarten
sollten — aus dem christlichen Auferstehungsglauben
ab, sondern aus einer zwingenden Naturgesetzlichkeit
und aus einer moralischen Gesetzmäßigkeit
. Diese natürliche Folgerichtigkeit tritt
etwa im „Unverhofften Wiedersehen" zutage,
wenn die alte Braut den aus dem Bergwerk nach
fünfzig Jahren wieder geborgenen Bräutigam
zur Erde bestattet und sagt: „Schlafe nun wohl,
noch einen Tag oder zehn im kühlen Hochzeitbett
, und laß dir die Zeit nicht lang werden. Ich
habe nur noch wenig zu tun und komme bald,
und bald wird's wieder Tag. Was die Erde einmal
wiedergegeben hat, wird sie zum zweiten
Mal auch nicht behalten". Oder in seinen Bemerkungen
zu 1. Korinther 15 schreibt er: „Sinke
also immerhin in die Erde, mein Leib. Du sinkest
in eine sichere, ruhige Zuflucht, bis die Stunde
der Trennung vorüber ist. Wie der unbewehrte
Landbewohner bei herannahender Kriegsgefahr
seine Kostbarkeiten in die Erde vergräbt, um sie


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