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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1951-11/0016
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Die Markgrafschaft

geschlucktes Wasser von sich gegeben; und die
Jungfer ist auch nicht tot, es ist eine Stadtjungfer
. Die hat vermutlich das Fahren auf dem
Neckar probiert und der Bursch wird sie gerudert
haben und hat's nicht verstanden. Er ist aber
nicht aus der Gegend, sondern seiner Tracht und
den Knöpfen nach aus der Schwetzinger Gegend".

Da faßte einer der Haßmersheimer ,das noch
immer leblose Mädchen an der Schulter, ein
Zucken und Schlucken durchlief sie, und sie gab
eine Menge geschluckten Flußwassers von sich,
ohne die Augen aufzuschlagen.

„Alle Wetter", rief jetzt ein Dritter, ebenfalls
vom hinteren Ende des Fahrzeuges heranschreitend
, „das ist ja des Amtsvogts Tochter von
Zwingenberg, die Jungfer Erlenbaumin, die aus
der Mainzer Anstalt vor zwei Wochen wieder
heimgekommen ist, wo die jungen Mädels nach
der neuen Mode eindressiert werden im Welschparlieren
, Spinettklimpern und andern unnötigen
Dingen und das Suppenkochen und Strumpfstricken
verlernen. Da haben wir ein gutes
Trinkgeld verdient, daß wir die aus dem Neckar
gefischt haben".

„Hamadam", sagte er zu dem neben ihm
Stehenden, „mach' nur gleich, daß du nach Zwingenberg
auf's Schloß läufst und meldest, was
geschehen, und bestellst einen Wagen und ein
warmes Bett darauf; denn heimlaufen wird sie
nach dem ausgestandenen Schreck und der Was-
serstrapaz nicht können. Der Angeredete sprang
sogleich ans Ufer und Zwingenberg zu. Die
Schiffer aber wickelten die noch immer Leblose
mit möglichster Zärtlichkeit in sämtliche Mäntel
und Decken, die zur Hand waren, dann erst
wendeten sie ihre Aufmerksamkeit dem Jakob
zu, der indessen halb hätte verbluten können,
wenn nicht Phylax ohne Unterlaß seine Wunde
geleckt und damit Besseres getan hatte als ein
vom Schiffer aufgelegter Notverband. Jetzt
schlug Jakob seine Augen auf, blickte erstaunt
um sich in die fremden Gesichter, warf auch
einen langen Blick zum Himmel hinauf; ein
heiteres dankbares Lächeln flog über seine Züge;
er mußte sich des Geschehenen rasch erinnert
haben, als er die Mitgerettete neben sich in ihrer
Umhüllung erblickte und sah, wie sie ebenfalls
einen Augenblick die Augen auftat. Dann aber,
trotzdem die Sonne heiß herniederbrannte, durchlief
ein Frösteln wie Fieber seinen Leib und seine
Glieder; er versuchte aufzustehen, konnte es
aber nur unter Beihilfe der Schiffer. Einer derselben
führte ihn aufs Hinterdeck und reichte
ihm ein frisches Hemd. Nachdem ihm ein Glas
Neckartäler die Lebensgeister wieder erweckt
und sein noch immer blutender Kopf aus dem
Notvorrat der Schiffer gehörig bepflastert und
verbunden war, betrachtete er die im Schlaf
Daliegende: ein reizendes, blasses Mädchen-
Angesicht mit feinen Zügen.

„Wer ist sie? Und wie sind wir aus dem
Wasser gekommen?", fragte Jakob.

Die Schiffer schauten einander verwundert an.

„Ja so", sagte der Führer des Schiffes, der
Haßmersheimer Gerichtsmann Heuß, „Ihr zwei
gehört gar nicht zueinander, du und das Frauenzimmer
?"

Jakob berichtete nun über sein Abenteuer.

„Aber da hast du dich gut angeraucht und ein
gut Rockel verdient beim gestrengen Herrn Amtsvogt
von Erlenbaum zu Zwingenberg", sagte
Heuß, „dessen Tochter hast du gerettet, oder
wenigstens retten wollen, und dein Leben daran
gewagt. Du und wir Schiffer haben's heut gut
und bekommen einen Extraschoppen im Schloß
oder beim Schiffwirt; der hat auch keinen
Schlechten. Aber du wirst nicht hemdärmlig von
Waldorf hergelaufen sein und barhäuptig; wo
hast du deine Kappe oder Hut und dein Kamisol
gelassen?"

Jetzt erst fiel dem Schafhändler seine Geldkatze
ein. Wie weit sind wir vom Ort, wo ihr uns
geländet habt?" fragte er hastig.

„Ungefähr zwanzig Schiffslängen", meinte
Heuß, der Schiffseigentümer.

„Dann muß ich hin und meine Sachen holen",
sagte Jakob, und schritt vom Schiff ans Ufer.
Heuß, der Sohn des Obigen, begleitete ihn. Sie
waren bald zur Stelle; Jakob ging aber nicht auf
den Dreispitzhut und das Kamisol hin, die noch
am Ufer lagen, sondern auf die Hagbuchenhecke,
in die er seine Geldkatze geworfen. Er starrte
und starrte hinein, nichts war zu sehen weit und
breit. Er suchte und suchte, aber — das Geld
war fort.

Jakob stand da, wie versteinert: er hatte ein
Menschenleben gerettet, aber sein Geld und vielleicht
seine Ehre auf immer verloren. Er dachte
daran, daß er sich im „Vogelbubengäu" befinde.
Was sollte er dem Herrn Bender im Insultheimerhof
berichten, und würde der ihm glauben? Wie
hatte er erst vor vierzehn Tagen im Schwetzinger
Wald seinem Bruder gegenüber sich in die Brust
geworfen, daß ihm nichts passieren könne, und
jetzt hatte er wegen einer Jungfer, die er zudem
nicht einmal gekannt, sein Leben und seine Ehre
aufs Spiel gesetzt, und seines Herren Geld verloren
, viel Geld, bei tausend Taler! Er wäre noch
lange vor dem Busch gestanden, hätte nicht sein
Begleiter ihn mit der Frage in die Wirklichkeit
zurückgerufen, was er denn noch suche, Hut und
Kamisol lägen ja am Ufer.

„Lieber Gott", rief Jakob in heißer Angst,
„mein Geld, mein Geld!"

„Was ist mit dem Geld?", fragte der Schiffer
teilnehmend.

„Ehe ich ins Wasser sprang", sagte Jakob,
„versteckte ich meine Geldkatze in diesen Busch
da; sie gehört dem Herrn Bender vom Insult-
heimer Hof, und jetzt ist alles fort, mein Geld,
mein Glück und meine Ehre!"

Er sagte das mit so viel wirklichem Schmerz,
so tieftraurig klang es au? seiner Rede, daß es
dem harten Schiffer an die Seele ging.

„Aber wenn dein Hund was nutz ist", sagte
ihm der junge Heuß, „so schick' ihn dem Schelm
nach". Phylax war seinem Herrn ans Ufer gefolgt
, aber im Augenblick nirgends zu sehen. Da
ihn Jakob erst ein paar Tage um sich hatte, so
kam ihm der Gedanke, das Tier könne sich verlaufen
haben, welcher Ansicht aber der Schiffer
nicht war. (Fortsetzung folgt.)


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