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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1951-12/0006
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Die Markgrafschaft

er seine Herde hütete, und warf nach ihm.
Zischend fuhr der Stab auf den Mann los; ehe er
ihn jedoch traf, wich er zur Seite und sauste an
ihm vorbei, weit über das Feld".

Als die Großmutter soweit gekommen war,
unterbrach ich sie abermals: „Großmutter, warum
wollte der Stock den Mann nicht schlagen?" Aber
die Großmutter ließ es sich nicht einfallen, mir
zu antworten, sondern fuhr in ihrer Erzählung
fort.

„Nun kam der Mann zu dem Hirten und sagte
zu ihm: ,Guter Freund, hilf mir und leih' mir
ein wenig Feuer! Mein Weib hat eben ein Kindlein
geboren und ich muß Feuer machen, um sie
und den Kleinen zu erwärmen*. Der Hirt hätte
am liebsten nein gesagt; aber als er daran dachte,
daß die Hunde dem Manne nicht hatten schaden
können, daß die Schafe nicht vor ihm davongelaufen
waren und daß sein Stab ihn nicht
fällen wollte, da wurde ihm ein wenig bange,
und er wagte es nicht, dem Fremden abzuschlagen
, was er begehrte. ,Nimm, soviel du brauchst!'
sagte er zu dem Manne. Aber das Feuer war beinahe
ausgebrannt; es waren keine Scheite und
Zweige mehr übrig, sondern nur ein großer Gluthaufen
, und der Fremde hatte weder Schaufel
noch Eimer, worin er die roten Kohlen hätte
tragen können. Als der Hirte dies sah, sagte er
abermals: ,Nimm, soviel du brauchst!' Und er
freute sich, daß der Mann kein Feuer wegtragen
konnte. Aber der Mann beugte sich hinunter,
holte die Kohlen mit bloßen Händen aus der
Asche und legte sie in seinen Mantel. Und weder
versengten die Kohlen seine Hände, als er sie
berührte, noch versengten sie seinen Mantel, sondern
der Mann trug sie fort, als wenn es Nüsse
oder Äpfel gewesen wären".

Hier wurde die Märchenerzählerin zum
drittenmal unterbrochen: „Großmutter, warum
wollte die Kohle den Mann nicht brennen?"
„Das wirst du schon hören", sagte die Großmutter
und erzählte weiter.

,>Als der Hirt, der ein so böser, mürrischer
Mann war, dies alles sah, begann er sich bei sich
selbst zu wundern: was kann dies für eine Nacht
sein, in der die Hunde nicht beißen, die Schafe
nicht erschrecken, die Lanze nicht tötet und das
Feuer nicht brennt? Er rief den Fremden zurück
und sagte zu ihm: ,Was ist das für eine Nacht?
Und woher kommt es, daß alle Dinge dir Barmherzigkeit
zeigen?' Da sagte der Mann: ,Ich kann
es dir nicht sagen, wenn du selber es nicht siehst'.
Und er wollte seiner Wege gehen, um bald ein
Feuer anzünden und Weib und Kind wärmen zu
können. Aber da dachte der Hirt, er wolle den
Mann nicht ganz aus dem Gesicht verlieren, bevor
er erfahren habe, was dies alles bedeute. Er
stand auf und ging ihm nach, bis er dorthin kam,
wo der Fremde daheim war. Da sah der Hirt,
daß der Mann nicht einmal eine Hütte hatte, um
darin zu wohnen, sondern er hatte sein Weib
und sein Kind in einer Berggrotte liegen, in der
es nichts gab als nackte, kalte Steinwände. Aber
der Hirt dachte, daß das arme, unschuldige Kindlein
vielleicht in der Grotte erfrieren würde, und

obgleich er ein harter Mann war, wurde er davon
doch ergriffen und beschloß, dem Kinde zu helfen
. Er löste sein Ränzel von der Schulter und
nahm daraus ein weiches, weißes Schaffell hervor
. Das gab er dem Manne und sagte, er möge
das Kind darauf betten. In demselben Augenblick
, in dem er zeigte, daß auch er barmherzig
sein konnte, wurden ihm die Augen geöffnet, und
er sah, was er vorher nicht hatte sehen, und
hörte, was er nicht hatte hören können. Er sah,
daß rund um ihn ein dichter Kreis von kleinen,
silberbeflügelten Englein stand. Jedes von ihnen
hielt ein Saitenspiel in der Hand, und alle sangen
mit lauter Stimme, daß in dieser Nacht der Heiland
geboren sei, der die Welt von ihren Sünden
erlösen solle. Da begriff er, warum in dieser
Nacht alle Dinge so froh waren, daß sie niemand
etwas zuleide tun wollten. Und nicht nur rings
um den Hirten waren Engel, sondern er sah sie
überall. Sie saßen in der Grotte, und sie saßen
auf dem Berge, und sie flogen unter dem Himmel
. Sie kamen in großen Scharen über den Weg
gegangen, und wie sie vorbeikamen, blieben sie
stehen und warfen einen Blick auf das Kind. Es
herrschte eitel Jubel und Freude und Singen
und Spiel, und das alles sah er in der dunklen
Nacht, in der er früher nichts zu gewahren vermocht
hatte. Und er wurde so froh, daß seine
Augen geöffnet waren, daß er auf die Knie fiel
und Gott dankte".

Als die Großmutter so weit gekommen war,
seufzte sie und sagte: „Was der Hirte sah, das
können wir auch sehen; denn die Engel fliegen in
jeder Weihnachtsnacht unter dem Himmel, wenn
wir sie nur zu gewahren vermögen". Dann legte
die Großmutter ihre Hand auf meinen Kopf und
sagte: „Dies sollst du dir merken; denn es ist so
wahr, wie daß ich dich sehe und du mich siehst.
Nicht auf Lichter und Lampen kommt es an, und
es liegt nicht an Mond und Sonne, sondern was
not tut, ist, daß wir Augen haben, die Gottes
Herrlichkeit sehen können".

Aus: „Wunder der Weihnacht", Verlag Kemper, Heidelberg.

Peterleins Weihnachtskerze

Eine kleine Weihnachtsbegebenheit
vor fünfzig Jahren

Eine Kirchenbeleuchtung gab's zur Zeit meiner
Kindheit noch laicht. Wozu auch? Die beiden
einzigen Male im Jahre, an denen man des
Abends zur Kirche ging, lagen ja in der lieben
Weihnachtszeit: am Heiligen Abend und am Altjahrabend
. Und da hatte ja jedermann sowieso
ein paar übrige Kerzlein in sich und bei sich; eins
steckte man sich in die Tasche, zündete es dann
in der Kirche an und klebte es mit einem Tropfen
Wachs vor sich auf die Bank. Und das war immer
ein gar schöner Anblick: die große Schwarzwald-
tanne hinter dem Altar im hellen Licht der Weihnachtskerzen
und, als hätte sie ihre Lichter verschwenderisch
ausgeteilt, überall bei den Frauen


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