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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1951-12/0012
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Die Markgraf Schaft

Tannenkirch — ein Markgräfler Dorf /Von Gisela Geus

Du darfst den Weg nicht scheuen, wenn du
mit mir willst. Es geht steil bergan und es ist
steinig und holperig von ausgefahrenen, Wagenspuren
. Aber ich rate dir doch, mit mir zu gehen.
Denn ich habe dir viel Schönes zu zeigen, rechts
und links des Weges und an seinem Ende. Und
wundere dich nicht, daß ich wie ein Kind mit
dem Finger auf dies und jenes deute und darüber
plaudern werde. Denn ich bin den Weg oft gegangen
und alles wurde mir vertraut. Hier, die
Wiesen zu beiden Seiten, sanft steigen sie mit
bergan, ein Bächlein huschelt halb im Ufergras
versteckt nach Riedlingen hinein. Jeder Schritt
führt höher und wirklich, mit jedem Schritt enthüllt
sich das Land wundersam. Drüben zieht
die Landstraße hinauf entlang eines grünen
Hanges mit Büschen und Waldbäumen. Wir sind
nun schon ein gutes Stück vorangekommen. So,
nun bleiben wir stehen und schauen zurück. Und
sieh doch, was wir gewonnen haben. Dort unten
hat sich Riedlingen vor: die großen Berge gedauert
, nur ein paar Häuslein klettern vorwitzig
aus der Gemeinschaft einen steilen Hang hinauf.
Dahinter die Berge dann, rund und sorglich
blicken sie herunter ins Dorf. Einer schiebt sich
vor den andern, um besser sehen zu können, und
so wandert unser Blick von den vordersten
Bergrücken weiter zu den nächsten und immer
weiter in eine stille, blaue Ferne hinein. Doch
nun komm, mich lockt die Höhe und ich möchte
b>ald in das kleine Dorf dort oben kommen. Es ist
nicht mehr allzu weit. Eigentlich müßte man
schon fast den Kirchturm sehen, denkst du? Aber
du wirst dich wundern. Gleich sind wir auf der
Landstraße; jetzt biegt ein schmaler Weg ab und
führt uns mitten durch Rebstücke. Dann Wiesen
mit Bäumen und nun, siehst du, dort hinter der
mächtigen Krone einer alten Linde, schaut der
halbe Kirchturm hervor. So verborgen liegt das
ganze Dörflein, aber mit wieviel Schönheit hat
es uns schon unterwegs begrüßt. Die Kirche hat
einen quadratischen, schweren Turm, auf dem
ein Storchennest sitzt. Ich liebe die kleine Kirche
sehr. Du mußt sie einmal am spaten Abend betrachten
, wenn die weißen Mauern im Mondlicht
schimmern, die schmalen Fenster blinken und die
Kastanien- und Tannenbäume rings um den
Kirchplatz so dunkel und reglos stehen, als hielten
sie lauschend den Atem an. Und um den
breiten Turm wandern die Sterne. Glaube mir,
es ist schön in meinem kleinen Dorf. Wir werden
durch seine Straßen wandern. Da zeige ich
dir hohe Häuser mit großen Toren und Steintreppen
zu den Eingängen, weite gepflasterte
Höfe, von Wohnhaus, Stall und Scheune umgrenzt
. Daneben winzige Häuslein hinter uralten
Büschen versteckt. Wir gehen an Gärten vorbei,
in denen der Sommer seinen ganzen Blütenreichtum
wirft. Alte Mauern aus schweren ungefügen
Steinen ziehen sich entlang der Straße um die
Gärten, schwer hängen die Zweige von breiten
Büschen darüber. Von der Kirche aus gehen alle
Straßen und Sträßlein bucklig bergab. Ich freue
mich darüber. Ich meine, das gibt zweierlei Bilder
: beim Hinabgehen ins Dorf und beim Heraufsteigen
. Ich muß dich noch zu den alten Brunnen
führen, die überall auf kleinen Plätzen stehen.
Runde und rechteckige Steintröge, zu denen
Frauen gehen, Eimer zu füllen, oder Männer, um
das Ackergeschirr zu reinigen. Kleine Buben
patschen mit beiden Fäusten in den Trog, daß
das Wasser hoch aufspritzt. Kühe trotten schwerfällig
über das Pflaster und senken die breiten
Köpfe in die Brunnen, Pferde traben munter
darauf zu und springen zuweilen in übermütigem
Lauf zurück zum Stall.

Ich habe dir jetzt nur kleine Dinge gezeigt —
du bist verwundert, daß mein Herz daran hängt?
Daß ich stehen bleibe vor den Gärten, den Brunnen
oder wenn eine Glucke mit ihren kugeligen
Bibbelkindern über die Straße läuft und Enten
sich in einer Pfütze vergnügen? Du denkst, daß
es all diese Dinge anderswo genau so gäbe? Aber
nun komm, ich will dir noch das Schönste zeigen,
ehe ich auf deine Fragen antworte. Wir steigen
durch die Reben auf den Berg. Und nun schau.
Da liegt nun das Dorf. Ist es nicht, als sei es an
einem einzigen Tag hineingestellt worden in das
Tal, gerade an die richtige Stelle? Hier und hier
und dort sind die Häuser unter breiten Dächern
eng zusammengerückt, dazwischen kleine Wiesen
und Gärten. Der Kirchturm an der höchsten
Stelle schaut ringsum, als gebe er acht, daß die
Häuser nicht auseinanderlaufen. Aber da alles
friedlich ist, kann er ruhig auch über das Dorf
hinwegsehen wir wir. Sanft senkt und wölbt sich
das Land weit hin. Ernst und fast traurig blicken
die Schwarzwaldberge herüber mit ihren dunklen
Wäldern. Wenn wir geradeaus schauen, sehen
wir das Tal umsäumt vom Schweizer Jura. Am
Abend funkeln die vielen Lichter von Basel auf,
das vor dem Jura hingebreitet liegt. Wenn wir
nun aber im Abendschein der Sonne nach Westen
sehen, so ist die zarte Silhouette der Vögesen wie
ein Land der wundersamsten Märchen gegen den
schimmernden Himmel gezeichnet. Spürst du sie
in dir, die große Weite, verheißend und lockend?
Wenn du davon erfüllt bist, dann schau noch einmal
hinunter aufs Dorf. Ist dir dann nicht, als
kehrten deine Gedanken heim aus der Weite und
Ferne hinter und über dem Dorf? Wenn du aber
noch immer denkst, es seien nur kleine Dinge,
die ich dir zeige — nun, es ist, als würde aus
vielen einzelnen Tönen ein Lied, rein und schlicht
und innig, und ich kann nicht anders, als es lieben
und dankbar sein dafür, daß ich in einer so friedlichen
Geborgenheit leben durfte.

„Die Markgrafschaft*

Monatszeitschrift des Hebelbundes
stellt die Verbindung zwischen den Hebelfreunden in der
Heimat und in der Ferne dar. Wer sie abonniert, hilft
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