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Die Markgrafschaft
mußte nicht unvorteilhaft sein. Ihre Augen blickten
so freundlich, und sie streckte ihm ihre Händchen
so ungeniert entgegen, daß dem Jakob, dem
im Verkehr mit Stadt- oder Schloßleuten eine
begreifliche Ungelenkheit anklebte, mit einem
Mal alle Zurückhaltung, die er sich vorgenommen,
verging, so daß er ebenso seine Hand in die ihre
legte.
Wir müssen hier einfügen, daß die Haßmers-
heimer dem Fräulein, als es wieder zu sich gekommen
war, sogleich gesagt hatten, sie verdanke
zunächst ihre Rettung einem jungen Schäfer, der
nach Paris handle. Das war für die Tochter des
Amtsvogts, die erst aus der Modepension zurückgekommen
war, Aufschluß genug, und alle
Damores, Amyntores usw. der damaligen Moderomane
schwebten bereits vor ihren Augen, schon
ehe sie Astors ansichtig wurde. Sie glaubte gar
nicht anders, als irgend eine gütige Fee habe sie
extra zu dem Zweck in den Neckar fallen lassen,
damit einer der so beschaffenen Schäfer, wie sie
dieselben aus den Romanen kannte, sie herausholen
müsse. Sie war fest überzeugt, als sie
Jakob sah, das sei nicht seine richtige Figur, sondern
sozusagen nur eine Verkleidung, und dieser
Bauernbursche eigentlich eine Art verwunschener
Prinz, lediglich für die daheim furchtbar
gelangweilte Tochter des Amtsvogts von Zwingenberg
ins Neckartal gesandt, um mit ihr Romane
zu lesen, ihr auf der Flöte Schäferlieder vorzuspielen
und in Triften und Hainen mit ihr zu
lustwandeln.
Solch ein Vogel war damals in der Wyseri-
schen Herrschaft Zwingenberg nicht leicht aufzutreiben
.
„Aber ich habe Ihnen schöne Unannehmlichkeiten
gemacht, mon eher ami berger!", sagte sie
sehr freundlich.
„Mais non, Mademoiselle, vous ne m'avez pas
incommodee entierement pas; c'etait mon devoir,
de vous sauver", gab ihr Jakob französisch zurück
, dessen er völlig mächtig war; denn er hatte
es in der Überzeugung, daß man am Erlernten
nie schwer trage, von seinem alten, getreuen
Schulmeister Jeune gelernt, der, wie Jakob, einer
in die Pfalz eingewanderten Hugenottenfamilie
entstammte, und ihm stets ein väterlicher Freund
gewesen war. Französisch zu reden bedeutete
damals den Hochgrad der Bildung, und zwar so
sehr, daß oft leider ein französischer Lakai mehr
galt, als ein deutscher Gelehrter. Sie war viel
mehr erstaunt über Jakobs „welsche Brocken",
als die Haßmersheimer; denn es trieben dazumal
viele pfälzische und schwäbische Schafhändler
ihre Hämmel nach Paris. Das Mädchen aber
fragte freudig erregt wieder französisch:
„Wie heißen Sie, und wo ist Ihre Heimat?"
„Ich heiße Johann Jakob Astor aus Walldorf
bei Heidelberg", gab ihr diesmal Jakob deutsch
zurück und ungalant genug. Es wollte ihn schon
ein wenig verdrießen, hier vor den Schiffern ein
französisches Examen bestehen zu müssen, und
es reute ihn beinahe, seine Sprachkenntnisse verraten
zu haben.
Demoiselle von Erlenbaum schien den „Metzger
" ganz überhört und nur den Namen Astor
vernommen zu haben.
„Astor!", hauchte sie sentimental, „ein wunderschöner
Name! Ich wollte fast, ich selbst hieße
so, statt dem langweiligen ,Erlenbaum', denn so
könnte jeder Waldhüter heißen und man bricht
darüber fast den Hals".
Weiterem Zwiegespräch machte die Ankunft
des Amtsvogts ein Ende. Er ritt die Straße von
Zwingenberg daher „daß Kies und Funken stoben
und Roß und Reiter schnoben"; weit hinter ihm
kam in etwas langsamerem Tempo eine etwas
altmodische Kutsche, welcher starke Gefahr
drohte, über der Parforce-Jagd die Deichsel zu
brechen und die Räder zu verlieren, da die Straße
vom letzten Hochwasser her noch sehr ausgeschwemmt
war. Der Schiffmeister ging ans Ufer
und kam gerade recht, dem hartgeängstigten,
sonst einem unerbittlich strengen Herrn im Gebiet
des Grafen Wyser, die Zügel des mit Schweiß
und Schaum bedeckten Pferdes abzunehmen und
die ersten Fragen zu beantworten, die der Beamte
an ihn richtete. Derselbe ließ seine Augen schwer
besorgt nach dem Schiff schweifen.
„Wie stehts, Heuß?", fragte er keuchend, „ist
meine Tochter noch am Leben?"
„Euer Gestrengen brauchen sich nicht abzusorgen
", entgegnete der Haßmersheimer. „Eure
Tochter sind am Leben und bereits wieder wohlauf
. Wir haben sie und den Walldorf er Schäfer,
der um sie ins Wasser ging, noch zur rechten Zeit
aus dem Strom gefischt. Aber der junge Mann" —
Der Amtsvogt hörte nicht weiter. Er war bereits
mit einem Sprung auf dem Schiff und lag
im nächsten Augenblick in den Armen seiner
Tochter. Die Tränen standen dem sonst so harten
Mann in den Augen. Der Herr Amtsvogt war ein
hübscher Mann, wie zum herrschen geboren, von
durchaus feinem, vornehmem Wesen und eleganten
Manieren. Er war schon fünfzehn Jahre Gebietiger
von Zwingenberg, fast alleingewaltiger
Statthalter des Grafen, welcher nur dann und
wann' einmal zur Zeit der Hochwildjagden vom
kurfürstlichen Hof sich losmachte, wo es dann in
der sonst öden und toten Ritterburg von Nimrods
Söhnen aus der ganzen Pfalz und dem halben
Reich wimmelte.
Herr von Erlenbaum hatte nur diese Tochter;
von sechs Kindern war ihm nur Natalie geblieben
, sein Augapfel für die wenigen Stunden, die
er für seine Häuslichkeit übrig hatte. Seine
Freude war groß, sein Töchterlein am Leben und
ohne sichtbaren Schaden wieder zu finden. Er
ließ sie sogleich in dem bereitstehenden Wagen
unterbringen, welchen er nach Zwingenberg zurückfahren
ließ. Die Gerettete empfahl ihrem
Papa ihren Lebensretter vom Kutschenfenster
aus noch angelegentlichst, ehe sie von dannen
fuhr.
Jetzt erst wendete sich der Amtsvogt, nachdem
er aus der größten Sorge war, an Jakob und
erfuhr von diesem und den Haßmersheimern den
ganzen Hergang. Bei Nennung des Namens Astor
ging ein finsterer Zug über Erlenbaums Gesicht,
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