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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1951-12/0018
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Die Markgrafschaft

Trotz seiner Jugend war der Ritter schon weit
in der Welt herumgekommen, hatte manchen
Strauß für Kaiser und Reich ausgekämpft und
war auf den Turnieren ein gefürchteter Gegner.
Er war ein frommer und leutseliger Herr. Auch
besaß er ein Turmzimmer, an dessen runden
Wänden tannene Gestelle standen, die, lauter
Bücher zu tragen hatten. In ihnen pflegte er oft
bis gen Mitternacht zu lesen.

„Das Böse hat seinen Sitz in euch selbst",
sagte er zu den Dorfbewohnern, wenn er auf
seinem Rappen die Hauptstraße hinunterritt.
„Bekämpft euren Eigennutz, eure Mißgunst und
eure Selbstsucht in euch, dann habt ihr die
Hexen schnell ausgeräuchert". Sie glaubten ihm
nicht, ja einer ballte die Faust hinter ihm, der
Bauernsohn, den Gundula abgewiesen hatte. Er
ging von Haus zu Haus und flüsterte: „Der Junker
ist selbst behext. Er weiß nicht, was er
spricht. Das Unglück hat ihn schon gezeichnet.
Hört nicht auf ihn".

Bald darauf vernichtete ein jäher Hagelschlag
die Frucht auf der ganzen Gemarkung. Nur
Gundulas Roggenfeld blieb verschont, als wäre
ein riesiger Regenschirm darüber gespannt worden
. Nicht genug, in der Stallgrippe des Nachbarn
vom Dorfschmied wurden eines Tages Nägel
gefunden. Nicht lange danach ging eine Kuh
qualvoll ein. Auch sah der Schultheiß eines
Abends, als schon alle Dorfarbeit ruhte, wie
Gundula das Schmiedfeuer anfachte. Ihr Gesicht
war purpurn. Ihr Haar funkelte wie ein Sternenband
. —

Der Bauernsohn fand willkommene Rache:
„Die Gundula ist eine Hexe. Seht nur ihr Haar
hat die rote Hexenfarbe. Sie bespricht die Wunden
, wenn sich die Kinder blutig reißen. Sie
steht mit dem Teufel im Bund. Er verschonte ihr
Feld von den Hagelschlossen. Gundula aber hat
das Unglück über unsere Flur gebracht, so daß
wir leeres Stroh werden dreschen müssen. Wer
anders als sie warf die Nägel in das Futter des
Nachbarn? Weshalb buhlt sie des Nachts mit dem
Feuer? Die Kinder sind in ihrer Gewalt und den
Junker überraschte ich jüngst, als er lange mit
ihr sprach, während der Schmied den Rappen
beschlug, den der Leibhaftige aufgezogen haben
mag. Ein Gaul wie jeder andere ist das jedenfalls
nicht".

Seine Worte fanden eifrig Gehör. Endlich war
der Sündenbock gefunden. Der Not konnte gesteuert
werden, der Haß konnte sich entladen.

Gundula ahnte nicht, welches Unheil sich um
sie zusammenzog. Unbekümmert suchte sie Pilze
im Wald und merkte erst auf, als der Junker
über eine Lichtung ritt. Seine Augen erspähten
das Mädchen, das sich hinter einer Tanne verbergen
wollte, aber von der Bracke alsbald aufgespürt
und wütend verbellt wurde. Der Ritter
galoppierte durch den Bestand, daß die dürren
Ästchen von den Stämmen spritzten und rief
seinen Hund zurück.

Lange betrachtete er das Mädchen. Gundula
lehnte fast demütig an den Baum. Ihr Haar
schmiegte sich an seine rissige Rinde. Ihre Hände

umschlossen den Henkel des Körbchens, in dem
sie Steinpilze und Pfifferlinge gesammelt hatte.

Der Junker sprang von seinem Pferd und bot
Gundula die Rechte. Sie zögerte verschüchtert
einzuschlagen, da griff er nach der ihren und
ließ sie nicht mehr los.

„Schön seid Ihr, Gundula, potz Blitz, wie eine
Märchenkönigin in einem verwunschenen Waldreich
in Eurer Tracht!"

Sie errötete und blickte zu Boden. Tausendfach
summte es im Wald. Im Unterholz knisterte
es, ein starker Waldduft stieg in den durchsonnten
Spätsommertag.

Der Junker lachte herrisch und fragte: „Habt
Ihr vor mir Angst? oder warum seid Ihr so
schweigsam?"

„Nein", sagte sie kaum hörbar und fuhr dann
lauter fort: „Vater würde mich schelten, wenn er
mich allein mit Euch im Walde wüßte".

„Donner und Doria", rief er übermütig und
meinte begütigend: „Euer Vater weiß es nicht
und ich verrate es niemand".

Sie mußte über ihn lächeln. Ehe sie sich's versah
, schloß er. sie in seine Arme und küßte sie.

Sie ahnten nicht, daß der Bauernsohn unweit
lauerte. Er war Gundula in den Wald gefolgt, um
sie noch einmal zum Weib zu fordern, ehe er sie
ihrem Verderben preisgab. Nun gab es für ihn
kein Zurück mehr.

Eines Nachts, als Gundulas Vater über Land
war, zog ein gröhlender, wutschäumender Haufen
vor das Schmiedhaus, sprengte die Türe, riß
Gundula aus ihrem Bett und trieb sie, wie ein
wehrloses Stück Schlachtvieh in die Stadt. Ihre
Hände waren gefesselt. Sie trug nur ihr leichtes
Nachthemd. Endlich wurde sie in einen feuchten
Kerker geworfen, in dem es nach Verwesung
stank. Erschauernd zog sie ihr herrliches Haar vor
die entsetzten Augen und weinte in seine Fülle.
Kaum mehr spürte sie die rohen Stöße und Tritte
des aufgestachelten Volks, voran die ihres abgewiesenen
Freiers. Sie war erschöpft. Aber in
ihrer Seele bohrte der Schmerz. Die Dorfbewohner
, die Nachbarn, die Freunde des Vaters konnten
an ihr zweifeln und sie mit ihrem abscheulichen
Verdacht beschmutzen.

Verzweifelt schrie sie nach dem Vater. Niemand
hörte sie, nur die eigene Stimme hallte
entstellt zu ihr zurück. Sie schreckte zusammen
und bäumte sich auf, wenn sie an die Folterqualen
dachte, die, wie sie wußte, angewendet
wurden, um ein Geständnis zu erpressen. Gab es
keine Rettung? „Vater, Vater", schrie sie erneut
und sank weinend zusammen.

Sie zerriß sich fast die Handgelenke, um die
Fesseln abzustreifen. Vergeblich. Sie kroch auf
den Knien durch das Verließ, biß sie mit einer
Ratte zusammenstieß und entsetzt sich nicht mehr
von der Stelle zu rühren wagte. Die letzte Kraft
ihrer Seele faßte sie zusammen um zu beten...

Gegen Morgen hörte Gundula streitende Stimmen
. Dann polterte etwas Schweres die steinerne
Wendeltreppe hinunter. Es war der Kerkermeister
. Hinterher stapften gepanzerte Schritte.


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