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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1952-01/0007
Die Markgrafschaft 5

Hebel bei den Auslandsdeutschen / Von Arthur Reich, Hauingen

Erinnerungen eines heimatvertriebenen Lehrers

„Was du ererbt von deinen Vätern hast,
erwirb es, um es zu besitzen". (Goethe)

Nach Jahren allersehwersten Leides, nach
einer Zeit der bittersten Enttäuschungen habe
ich, wenn auch unter anderen Voraussetzungen,
wieder meinen Schuldienst aufnehmen können.
Fürwahr ein Ereignis besonderer Art! Ich habe
meine neue Heimat im schönen Wiesental gefunden
. Hauingen, das alte Dorf der Hebeltradition,
ist meine neue Wirkungsstätte geworden. Es war
auch ein glücklicher Zufall, daß meine erste
Unterhaltung in Hauingen ein Gespräch mit dem
Präsidenten des Hebelbundes, Pfarrer Nutzinger,
war. Schon diese erste Aussprache erbrachte den
Beweis, daß die Bodenständigkeit, das Heimatverbundene
, hier getragen und vertieft wird vom
Geist einer zielbewußten Pflege der Hebeltradition
, die ihre Verankerung im Hebelbund gefunden
hat.

Johann Peter Hebel, der große Sohn des alemannischen
Heimatlandes, hat durch seine Werke
Quellen starker Geistigkeit, die vor allem das
Urwüchsige der alemannischen Art berücksichtigen
, geschaffen.

Dieser große alemannische Heimatdichter hat
einen Ruf, der weit die Grenzen seiner Heimatgaue
überschreitet. J. P. Hebel war den vielen
Deutschen Polens kein Unbekannter. In Mittelpolen
, jener großen deutschen Enklave von
350 000 Siedlern, waren Hebels Werke gern gelesen
. Ja, sie trugen wesentlich zur Erhaltung des
väterlichen Erbes bei.

Die alljährlich herausgegebenen Kalender, der
Volks- und Hausfreundkalender, enthielten immer
wieder Erzählungen aus dem Schatzkästlein
Hebels, aber auch so manches Gedicht von ihm.
Hebel fand — und mit Recht — in der Unterrichts
- und Erziehungsarbeit der deutschen Schulen
Polens breiteste Berücksichtigung. Im deutschen
Bücherschatz der einzelnen Familien waren
immer wieder Hebels Werke zu finden.

Als ich einmal in den dreißiger Jahren gelegentlich
in einer alten deutschen Bauernsiedlung
des Lodzer Kreises weilte, hatte ich folgendes
charakteristische Erlebnis: Wir saßen in der
geräumigen und schmucken Bauernstube und
unterhielten uns angeregt. Plötzlich wurde im
Raum ein Schluchzen laut, das bei mir Befremden
auslöste. Der Hausvater, eine markante
Bauerngestalt, deutete auf die Ofenecke hin, wo
in gebückter Haltung, die Brille auf der Nase,
der 86-jährige Großvater der Familie mit einem
Buch in der Hand saß. Die Lektüre schien es dem
Alten angetan zu haben. Er war innerlich bewegt
und schluchzte zu unserem Erstaunen jäh auf.
Als ich fragte, was er denn lese, hörte ich vom
Hausherrn mit einer ihm eigenen Selbstverständlichkeit
, es sei Hebels Schatzkästlein. Ich erfuhr
dann auch, es sei gerade die köstliche Erzählung
von jenem wandernden Handwerksburschen, der
in Amsterdam aufgetaucht war und dort die elementare
Lebenserfahrung erwarb, daß auch die

Reichen auf dieser Erde keine dauernde Bleibe
haben.

Dieses für die Kulturpflege der Deutschen im
Osten bezeichnende Erlebnis stand mir plastisch
wieder vor Augen, als ich meinen Schülern in
Hauingen einiges aus dem Leben des großen
alemannischen Heimatdichters erzählte, um mit
ihnen dann gleichfalls die Geschichte vom
„Kannitverstan" zu lesen.

Wenn hierbei Erinnerungen an die alte Heimat
auftauchen, so lassen sie Bilder aufleben, die

Albert Schweitzer
trägt sich in das Goldene Buch des Hebelbundes ein

die Bestätigung bringen, daß die Großen des
Mutterlandes immer wieder aufrüttelnd und ermutigend
in den oft schweren Lebensgang deutscher
Menschen im Ausland eingriffen, ja, daß
ihre Werke ein segensreicher Kräftequell waren.

In diesen Erinnerungen werden geistige Bande
der alten zur neuen Heimat deutlich; sie machen
das Einleben leichter. Darum erneut und weiterhin
in alter Treue für J. P. Hebel, eingedenk
seiner Worte:

„Wo isch der Weg zue Fried un Ehr,
der Weg zuem gueten Alter echt?
Grad fürsi goht's in Mäßigkeit
mit stillem Sinn in Pflicht un Recht!"


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