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Die Markgrafschaft

Ins neue Land / Aus J. J. Astors Lehrjahren

3. Fortsetzung. Von Herr mann Albrecht

Ein Amtsvogt in Kurpfalz

Für seine Person zwar streng römisch, jedoch
mehr aus politischen, als religiösen Gründen,
hatte der Amtsvogt seine Tochter Natalie, statt
sie einer Klosterschule zu übergeben, wie es damals
üblich war, in eine weltliche Pension nach
Mainz getan. Sie hatte es ihm abgeschmeichelt,
und er war darin vielleicht auch seiner innersten
Neigung gefolgt.

Seine Frau lag schon seit drei Jahren auf dem
Geracher Kirchhof, das Hauswesen seitdem in
der Hand einer alten Tante seiner Frau, einer
herzensguten, aber gegen die Großnichte unendlich
schwachen Frau. Sie hatte schon früh das
Mädchen in jeder Weise verzogen und verzärtelt,
und vollends, seit Natalie aus der Pension zurück
war, in ihren Roman-Torheiten noch bestärkt,
umso mehr, als sie selbst, zwar äußerst sittenstreng
, doch aller angenommenen Frömmigkeit
gründlich abhold, schon früh vom verbotenen
Baum der französischen Literatur genascht hatte.
Als Natalie nun aus der Pension zurückkam, erklärte
sie der Tante, die Zwingenberger Gegend
sei doch „meschant" bucklig, der Neckar fließe
viel zu rasch und zu unordentlich. Die Bauernhäuser
sollte man alle niederreißen und in eine
gerade Linie stellen, oder noch besser, zerstreut
als Schäferhütten in den Wald hineinbauen; vor
allem sollte man den Leuten verbieten, die übelriechenden
Dunghaufen vor und neben das Haus
zu setzen. Am schönsten wäre es, wenn alle Leute
in Schäfertracht einhergingen, wenn sie, statt
Holz zu fällen und Kartoffeln zu pflanzen, Blu-
mengärtchen anlegten, Spiele im Wald machten
und schöne Musik dazu. Die Tante lachte aus
Herzensgrund und dachte, das sonst nicht auf
den Kopf gefallene Nättelchen werde diese Pensionstorheit
bald abstreifen; der strenge Papa
aber ergrimmte, freilich nur innerlich, denn
ernstlich konnte er der Tochter nicht zürnen, da
er sie ja selbst nach Mainz gebracht hatte. Aber
die Frucht dieser schäferlichen Ideen war eben
diese heutige Neckarfahrt gewesen. Natalie hatte
ohne Wissen des Vaters einen Nachen genommen,
und da sie ein wenig zu rudern verstand, ging es
auch eine Weile talab ganz gut. Aber der Neckar
hat bis auf den heutigen Tag seine „Naupen", wie
der Pfälzer sagt, und so hatte Demoiselle Natalie
ein unliebsames Bad bekommen. Der Amtsvogt
wußte nicht, worüber er sich mehr ärgern sollte:
über sich selbst, oder über seine Tochter, welche
nun ins Gerede der Leute kam und deren Spott
herausforderte. Hätte er seine Tochter nach gemeinem
Brauch in ein Stift getan, so wäre dabei
nichts weiter riskiert gewesen, als daß sie mit
einer guten Portion süßer Frömmigkeit, welche
auch ihm zuwider war, und einer ganzen Traglast
von Erbauungsbüchern und Heiligenbildern
heimgekommen wäre. Das Übermaß hätte sich
aber in der häuslichen Prosa und unter dem
gegenteiligen Einfluß der Tante sicherlich wieder
verlaufen. Ein Beamter war in dieser kitzligen

Zeit überhaupt oft in Verlegenheit: in Mannheim
hatte ein schwäbischer Poet ein Theaterstück
unter der Protektion des Herrn von Dalberg aufführen
lassen dürfen, worin sich das non plus
ultra aller Gottlosigkeit sollte abgespielt haben.
Der Münchner Hof liebäugelte insgeheim mit den
Feinden der Kirche; die Stützen der Pfälzer
Reaktion, die Jesuiten, hatten ihr Kollegium räumen
müssen. Überall schössen die Geister des
Aufruhrs und des Abfalls wie Pilze aus dem
Boden. In dem Amtsvogt selbst lauerte auch ein
Schlänglein; er fragte sich in stillen Stunden doch
manchmal, ob alles, was diese neue Zeit bringe,
vom Teufel sei, hütete sich aber dabei sehr wohl,
aus den vielen Büchern, mit denen der Markt
überschwemmt war, in Poesie und Prosa, sich
Licht und Weisung zu verschaffen. Vor sich selbst
und andern entschuldigte er sich damit, zum
Bücherlesen habe er keine Zeit. Das müsse er
der Tante überlassen. Einstweilen lag in München
noch alles im Nebel, drum war es gut, den
alten Kurs noch fest einzuhalten, und er hatte
mit der Pensionserziehung seiner Tochter in seinen
eigenen und fremden Augen, die sahen wie
er, einen rechten Mißgriff getan.

So ärgerte er sich über sich selbst, schämte
sich vor den Schiffern von Haßmersheim und beschloß
, dem Walldorfer Schafhändler ein anständiges
Trinkgeld in die Hand zu drücken und ein
anständiges Mittagessen auf den Tisch zu stellen,
dann ihn ohne weiteres zu entlassen mit der
Weisung, kein Aufhebens von der Sache zu machen
, damit sie nicht weiter unter die Leute
käme.

Er bog mittlerweile um's Waldeck und hatte
seinen Wohnsitz, die Burg Zwingenberg, vor
Augen, die, das enge Tal stolz beherrschend,
noch so recht ein Bild jener Zeit und jenes Geistes
darstellte, in dessen Bau sich Herr von
Erlenbaum befand. Zwingenberg mit seinem
prachtvollen, weiten Hinterwald, hatte, glücklicher
als die meisten Schwesterburgen am schönen
unteren Neckargestade, die Stürme von mehr
als zweihundertjährigen Empörungs- und Kriegszeiten
überlebt; Steinach, Stolzeneck, die Minneburg
dagegen schauen als Ruinen wehmütig ins
grüne Tal und auf den silberblitzenden Fluß.
Zwingenbergs rote Türme tragen ihre Hüte und
Kappen noch stolz auf dem Kopf, und die glänzenden
Turmfenster spähen noch scharfäugig
hinab auf den Strom und hinaus nach den Waldhöhen
und Biegungen der Berglehnen. Die Herrschaft
Zwingenberg, die sich nordwärts weit über
die Höhen des Odenwalds hin erstreckte, dort
vom Erbachischen und Kurmainzischen Gebiet
begrenzt, und ursprünglich ein Wachtposten von
Kurpfalz gegen die bischöflichen Gebiete im
Norden und Osten, sowie eine Zollsperre für die
Handelschaft Unterschwabens, war nach einem
langen Prozeß mit den Gölern von Ravensburg,
in den fernerhin unbestrittenen Besitz der Grafen

(Fortsetzung auf Seite 12)


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