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Die Markgrafschaft
tanen her jauchzt ein Peitschenknall in den kalten
Januarmorgen und beim Hersperger-Marti
raucht schon das „Chämmi". Da und dort bricht
der matte Lichtstrahl einer Petrollampe durch
die Ritzen der noch geschlossenen Läden, und in
den Höfen meldet sich das Hühnervolk mit lautem
Gegacker. Nun wird es nicht mehr allzulange
gehen, bis der Charakterkopf des alten
Malermeisters Strohmeier an einem bestimmten
Fenster des großen Hauses (rechts) erscheint, und
der Meister seine Tabakspfeife am Fenstergesimse
ausklopft. Er tut es immer an derselben
Stelle, und man sieht es dem Stein an, daß schon
manches Päckchen Burrus auf ihm seinen letzten
Schnauf tat. Heute noch, wenn ich an dem Haus
vorbeigehe, muß ich allemal hinaufschauen zu
jenem Fenster und die. Stelle suchen, wo ich
wohl tausendmal das Klopfen der Pfeife auf dem
harten Stein des Gesimses hörte.
Er war ein sehr gemütlicher Mann, der alte
„Strohmeier Moler" und hatte für uns Buben
immer ein Späßlein im Sack. Und wenn er uns
erzählte vom Bliß und vom Gägäg, vom Güntert
Hans und Änis Hänsli, dann waren wir Buben
allemal Auge und Ohr.
Nun kommt auch schon die alte „Linzigi'£, die
Botenfrau aus Hügelheim, mit ihrem Korbchaisli
beim Rößli um die Ecke. Trotz der Kälte macht
sie ein fröhliches Gesicht. Gewissenhaft besorgt
sie ihre Botengänge, „chromt" nebenbei noch
allerhand Neuigkeiten, ein lebendiges Tagblatt in
täglicher, zuverlässiger Ausgabe.
Ins „Rößli" biegen die ersten „Frühschnapser"
ein, um sich gegen die Kälte mit Feuerwasser zu
versorgen.
Papa Heitz liegt schon eine ganze Weile im
Fenster. Der Frost scheint ihm nichts antun zu
können. Beharrlich hält er seinen Posten. Der
Gysi Frieder hänselte ihn einmal deswegen und
frug ihn eines Morgens schalkhaft: ,,Hän-er scho
gmetzget, Nochber? Das wär früejh am Tag!" —
„Worum?" — „He, will Ihr scho e Sauchopf
zuem Fenster us hängge!"
Im Mayer-Lädeli (der zweitgrößere Giebel auf
der linken Seite) holten wir Buben unsere Zigaretten
. Damals zu ^; und 1 Pfennig das Stück.
Die Fuhrleute, die täglich mit schweren Sandfuhren
oder sonstigen Waren den „Stich" beim
„Rößli" nehmen mußten, ließen gewöhnlich vor
dem Laden ihre Rösser verschnaufen — Autos,
und besonders Lastwagen gab es ja damals noch
keine — und holten drinnen einen „Schick" für
10 Pfg. oder sie kauften sich für 30 Pfennig ein
Päckchen Stumpen.
Die Straße wird nun lebendig. Aus Türen und
Toren kommen Buebe un Maidli. Es ist Schulzeit
. Holzschuhe klappern auf dem Pflaster, und
da und dort entfaltet sich eine kurze Schneeballschlacht
. Von oben her kommt Küfermeister
Laier mit seinen beiden Söhnen am Küferwagen.
Eben sind sie ins Tor bei Germanns eingebogen.
Schwerfällig rumpelt ein Petrolwagen über die
holperige Straße und hinter diesem ziehen zwei
gutgenährte Braune den Mehlwagen der Kaisermühle
. Nirgends ist Hast und Jast. Das Leben
hat noch normale Formen.
Aber nun heißt es: es war einmal! Das Rad
der Zeit hat sich indessen sausend gedreht und
mit den gemütvollen Bildern jener Zeit restlos
aufgeräumt. Die Hauptstraße hinauf und hinunter
rollen ununterbrochen die modernen Verkehrsmittel
, und die alte, enge Straße kann diesen
Betrieb kaum mehr verkraften. Wer über die
Straße geht, muß höllisch aufpassen, daß er nicht
an der Stoßstange eines Autos hängen bleibt oder
von einem der stinkenden Vehikel überfahren
wird.
Auch die Bewohner der Häuser haben gewechselt
. Die junge Generation hat das Erbe der
Väter angetreten. Aber gut „Müllemerisch" sind
auch die Jungen geblieben. Schon werden in aller
Stille die Scheiben für das Fasnachtsfeuer geschnitzt
. Es geht gar nicht mehr so lang, dann
brennt auf der „Hohle" wieder das „Fasnachts-
füür" mit allem drum und dran, wie es früher
war. Die Unterstädtler und die „Türken" stehen
fest zur Tradition und solange dieser „Bast" noch
wächst, wird das alte Müllemer Leben nicht aussterben
.
Mit treuem Heimatgruß
Fritz Wolfsberger
€r läßt fid) md)t für dumm oerfaufcn
Der Ziebelewaie-Bur (seine Leib- und Magenspeise
hat ihm diesen Übernamen eingebracht)
war zwar mit Gütern, die der Rost und die Motten
fressen, reichlich gesegnet; aber mit seinem
einzigen Sohn und Hof erben hatte er kein Glück;
denn der entwickelte sich zu einem richtigen
Nichtsnutz, ging der Arbeit aus dem Wege wo er
nur konnte, und hockte schon als junger Bursch
in den Wirtschaften, um zu jassen, Viertele zu
pfetzen und Sprüch zu klopfen.
Eines Tages verschwand der Bursch. Er wollte,
wie er auf einen hinterlassenen Zettel gekritzelt
hatte, „die Welt kennen lernen".
Jahre ließ der Frieder nichts mehr von sich
hören. Eines Abends, Bauer und Bäuerin saßen
gerade beim „z'Obe", klopft's vorne an der
Haustür.
Und wer steht draußen? — der Frieder!
Die Mutter fällt ihm gleich um den Hals und
heult vor Freude wie ein Schloßhund; der Vater,
um erst einmal der Überraschung Herr zu werden
, steigt mit dem Weinkrug in den Keller und
bringt aus der Räucherkammer ein gehöriges
Stück Schüfeli mit nach oben, denn sie haben
nur Bibeliskäs auf dem Tisch, und die Rückkehr
des verlorenen Sohnes muß doch gefeiert werden.
„Wo chunnsch denn du jetz her?", nimmt der
Vater die Unterhaltung auf.
„Jo weisch, Vadder, i bi z'Fueß, per Schiff
un Bahn rund um die ganzi Welt g'reist".
„So, so — rund um d'Welt?", meint der Bauer
und kaut nachdenklich an seinem Brotranft. Auf
einmal richtet er sich steil hoch, blickt den Frieder
strafend an und sagt: „Mach doch nit gli
wieder Sprüch, Bueb! Wenn du rund um d'Welt
g'reist wärsch, derno hätt'sch hinte dur d'Chuchi-
tür zruck chu müesse, un nit vorne dur d'Huus-
türe!" W. G. S.
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