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Die Markgrafschaft
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Die Letzten von Rötteln"/ Ei ne trinkfeste Geschichte
Sie waren zwei dicke Freunde gewesen fast
ein Vierteljahrhundert ihres Lebens hindurch;
d. h. dick war nur der eine von ihnen und von
entsprechend gedrungener Statur, während der
andere hochgeschossen und hager war. Natürlich
hatten sie, die man immer in innigem Verein beieinander
sah, im Volksmund nur den Namen Pat
und Patachon bekommen. Der Größere war früher
Wirt, aber sich selbst der beste Kunde seines
Geschäfts gewesen, und der zweitbeste war der
kleine Dicke, ein pensionierter Zollbeamter. Der
lebte von seiner Frau geschieden, die, wie er nicht
müde wurde zu berichten, eine böse Xantippe
gewesen sei. Dagegen war dem Wirt das Eheweib
frühzeitig verstorben, wohl aus Gram über ihn,
durch den die Wirtschaft immer mehr verluderte,
mochte sie auch noch so fleißig hinter allem her
sein. Und als diese seine Frau die Augen schloß,
gingen ihm die Augen dafür auf, daß er die Wirtschaft
allein gewiß nicht forttreiben könne, und,
da er kinderlos war, verpachtete er sie, blieb
aber noch immer mit seinem alten Kumpanen
zusammen der beste Gast im ,,Leuen". Aber nicht
nur in diesem; zur Steuer der Wahrheit muß
gesagt sein, daß sie, die nun beide Ruheständler
waren und also Zeit genug dazu hatten, öfters
auch gemeinsam Ausflüge unternahmen, deren
Ziel immer irgendeine gutrenommierte Wirtschaft
im Markgräflerland war. So konnten sie,
da sie auch von finanziellen Sorgen nicht geplagt
waren, ihre alten Tage in ungestörtem Frieden
miteinander verleben; allein es ist nichts vollkommen
auf dieser Welt. Den alten Zöllner wandelte
oft ein Heimweh nach einem Weibe an, und
den alten Leuenwirt überkamen bisweilen Gewissensbisse
über seine verstorbene Frau, die
ihm manchmal des nachts im Traum erschien in
schrecklich warnenden Gesichten, ihm das volle
Glas vom durstigen Munde riß und es an die
Wand warf, daß es zerbrach. Dann hatte der
Große am nächsten Tag seinen „Moralischen" und
versprach sich hoch und heilig, fernerhin ein
besseres Leben anzufangen, und das währte solange
, bis am Abend der Dicke kam, ihm alle
Bedenken zerstreute und ihn am Arm mit zum
Wirtshaus nahm. Dort trank dann der Leuenwirt
sowohl seine Gewissensregungen als auch seine
guten Vorsätze hinunter, indes der Dicke mit der
Wirtin und der Kellnerin karessierte, und so war
alles wieder gut. Es gab nie einen Streit zwischen
den beiden, höchstens eine Meinungsverschiedenheit
darüber, welche der Gaststätten man
aufsuchen solle; denn der alte Kenner und Wirt
war auf die Qualität des Weines, der Zöllner a. D.
aber auf diejenige der Weiber in dem betreffenden
Lokal erpicht.
Eines schönen Herbsttages aber waren sie sich
einmal von vorneherein einig, daß sie sich als
Ziel ihrer Wanderschaft das Röttier Schloß vornehmen
wollten, um neben Wein und Weib auch
noch ein wenig in großer Vergangenheit zu
schwelgen. Darunter verstanden sie neben der
Geschichte der alten Burg — denn sie hatten auch
schon von den „Letzten von Rötteln" gehört —
vor allem ihre eigene Vergangenheit. Denn es
war an diesem Tag gerade 25 Jahre her, seitdem
sie sich kennen gelernt und ihren Freundschaftsbund
geschlossen hatten, und dieses Silberjubiläum
einer unverbrüchlichen Kameradschaft mußte
nach ihrer Meinung gebührend gefeiert werden.
Zum Glück hatte der Burgwirt an diesem Tag
auch geschlachtet, er lief noch in seiner blutigen
Schürze herum und war eigentlich nach diesem
arbeitsreichen Tag nicht sonderlich über diese
Kundschaft erfreut. Das bekümmerte die beiden
feuchtfröhlichen Jubilare wenig, sie taten sich
vielmehr gütlich bei frischer Hausmacherwurst,
die einen gehörigen Durst auslöste. Die übrigen
Gäste verzogen sich bei sinkendem Abend langsam
nach Hause, aber unsere Zwei hatten es sich
nun einmal in den Kopf gesetzt, daß sie „die
Letzten von Rötteln" sein wollten. Und sie wichen
und wankten nicht. Es ging schon auf Mitternacht
, und die trinkfesten „Letzten von Rötteln"
waren selig und bestellten sich noch einen Liter
vom köstlichen Markgräfler. Das sei aber der
letzte, den er ihnen ausschenke, bedeutete ihnen
energisch der Wirt, und auch die Kellnerin mit
ihrer blendend weißen Schürze, die in einer Ecke
saß und gähnte, meinte, es sei jetzt wahrhaftig
Zeit zum „Fiirobemache" und zum Aufbruch.
Allein die heiteren Festtrinker behaupteten mit
nur noch größerem Eigensinn, daß die Letzten
von Rötteln nicht so schnell das Feld räumten. Es
half nichts, daß ihnen der Wirt damit Angst zu
machen versuchte, daß um Mitternacht das weiße
Fräulein, das einen Schatz hüte, mit einem Licht
umgehe und daß ihnen am unteren Tor auch der
alte Scharfrichter mit seinem blutigen Schurz
begegnen könne, und mit denen sei nicht zu
spaßen. Aber dieser Bericht war nur Wasser auf
die Mühle der Zechbrüder; der Dicke meinte, das
Fräulein käme ihm gerade recht, er würde sie
dann als Schatz hüten, und der Altleuenwirt sagte,
er wolle dem Scharfrichter schon heimleuchten.
Es nutzte auch nichts, daß der Wirt der Burgschenke
zu seiner Frau sagte, sie müßten wohl
jetzt zu Bett gehen, die Gäste würden heim wollen
. Sie merkten auch nichts, als die Kellnerin
im übrigen Teil des Lokals bereits die Stühle auf
die Tische stellte und die späten Gäste beim
Kehren der Stube in ungemütlichen Staub hüllte.
Der Zöllner schlug ihr vor, er wolle sie nachher
heimbegleiten, aber dies Anerbieten wurde deutlich
genug abgelehnt. Nachdem sie dann endlich
umständlich bezahlt hatten, verabschiedete sie
sich und ging allein nach Hause. Als es gleich
darauf von der nahen Kirche her Mitternacht
schlug, drehte der Wirt kurzerhand das Licht ab
und bot Feierabend. Nun endlich erhoben sich die
alten Zechbrüder schwerfällig von ihren Sitzen
und wankten schimpfend hinaus. Draußen war es
schier noch dunkler als in der unbeleuchteten
Schenke, und sie hatten Mühe, sich durchs untere
Tor durchzufinden. Und als sie, ineinandergehakt,
in den nahen Wald eintraten, da war es gar so
stockfinster, daß man weder die Hand vor den
Augen noch den schmalen Fußpfad sehen konnte!
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