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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1952-01/0014
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Die Markgrafschaft

Sie versuchten, sich sorgfältig vorwärtszutasten;
gleichwohl aber tat der Große alsbald einen Fehltritt
und rutschte einige Meter den steilen Hang
hinunter, der Dicke war gleichzeitig über eine
Wurzel gestolpert und kriegte eben noch einen
Baum zu fassen, an dem er sich halten konnte.
Der Leuenwirt begann zu schimpfen und zu fluchen
, weil er beim Bemühen, wieder auf den Weg
heraufzukommen, immer wieder abrutschte, während
der Zöllner dem Baum, an dem er sich festklammerte
und den er offenbar im Trunk für ein
Weibervolk hielt, Liebeserklärungen machte. Jäh
aber verstummte ihrer beider Lallen, denn auf
dem Weg von unten her näherte sich ein weiße
Frauengestalt mit einem surrenden Licht, das bald
heller, bald dunkler wurde. Vor dieser weißen
Frau überkam sie dann doch eine schlotternde
Angst, als sie nun ganz bei ihnen stand und sie
mit ihrem magischen Licht beleuchtete und auf
gut alemannisch ansprach: ,,So, do lieget er, ihr
elendige Sufbrüeder. Gschieht euch ganz recht,
mer sott euch grad so loo liege, bis der wieder
niechter sind. Aber wartet numme, ich hol öbber
vom Schloß oben abe". — Und damit verschwand
die weiße Gestalt, der sie nicht ins Gesicht hatten
schauen können, weil sie durch ihr Licht geblendet
waren. Diese Erscheinung aber und ihre vermeintliche
Drohung, daß sie etwa noch den
Scharfrichter vom Schloß zu ihrer Bestrafung
herbeiholen würde, wirkte entschieden ernüchternd
auf die beiden Kumpane, und sie hatten
nur noch das Bestreben, so schnell wie möglich
von dieser unheimlichen Stätte wegzukommen.
Der Dicke reichte, sich mit der Linken am Baum
festhaltend, dem Wirt in der Tiefe die Rechte,
und zog ihn vollends auf den Weg herauf. Arm
in Arm suchten sie den Waldpfad weiter zu verfolgen
, aber nur mühsam und ständig unterbrochen
von Stolpern und Rutschen kamen sie vorwärts
. Da vernahmen sie auch schon die nahenden
Schritte der verhängnisvollen Gestalten mit
dem surrenden Licht hinter sich. Eilig drückten
sie sich hinter eine „Hurst" auf der Seite des
Wegs, versteckten sich und hielten sich mucksmäuschenstill
. Da kamen sie auch schon den Wald
herab, die weiße Frau und der Scharfrichter mit
dem blutigen Schurz — denn daß sie es waren,
daran war für die beiden kein Zweifel mehr —
und gingen an ihnen achtlos vorüber. Erleichtert
atmeten sie auf nach diesem überstandenen
Schrecken, wollten sich auch wieder erheben
von ihrer unbequemen Duckstellung, aber das
fiel schwer. So legten sie sich einfach auf den
Boden und beschlossen, hier ein Stündchen auszuruhen
; aber noch waren sie nicht in den Schlaf
gesunken, als die eine Gestalt, die des Scharfrichters
, wieder von unten heraufkam und vor
sich hinbrummte, er möchte jetzt doch grad wissen
, wo die zwei Saufbrüder hingekommen seien.
Die aber verrieten ihre Stellung nicht und äugten
nur schlaftrunken hinter ihrer Hurst vor und
waren froh, daß die unheimliche Erscheinung
weiterging dem Schlosse zu. Dann aber befiel sie
ein tiefer Schlaf, und sie schnarchten um die
Wette, bis sie durch ein Rütteln unsanft geweckt
wurden. Als sie ihre Augen erschreckt aufschlugen
, war es schon Tag, aber kein Scharfrichter

mit blutiger Schürze und keine weiße Frau stand
über ihnen, sondern ein Mann in grüner Kleidung,
der sie fragte, wer sie eigentlich seien und was
sie da suchten. Sie stammelten, daß sie doch „die
Letzten von Rötteln" seien, aber der Förster
meinte, sie seien doch wohl die Letzen von
Rötteln und es wäre weger besser, sie machten,
daß sie heimkämen. Diese Aufforderung entsprach
auch ihrem eigenen Wunsch, denn es war recht
kühl geworden gegen den Morgen, und ein heftiges
Frösteln lief ihnen über den Rücken. Sie
trollten, um warm zu bekommen, mit schnellen
Schritten ihren Behausungen zu, und es war nicht
zu verwundern, daß als Folge dieser nächtlichen
Abkühlung sich der Wirt einen bösen, hartnäckigen
Husten, der Zöllner aber gar eine Lungenentzündung
mit hohen Fiebern zugezogen hatte,
in denen er oft von einer weißen Frau phantasierte
. Aber sie kamen beide noch einmal davon,
denn sie waren wirklich unverwüstlich, die
„Letzten von Rötteln". Als sie nach Wochen, soweit
genesen, wieder ihren ersten gemeinsamen
Ausgang machten, wunderten sie sich, daß die
Kinder mit Fingern auf sie deuteten und ihnen
nicht mehr Pat und Patachon, sondern „die Letzten
von Rötteln" nachriefen. Damit wurde ihnen
jener Ausflug in Erinnerung gebracht, dessen sie
sich nachträglich noch schämten. Und diesmal war
die Reihe am Dicken, einen Moralischen zu haben
und den ernstlichen Vorsatz auszusprechen, sie
wollten sich doch bessern, denn mit der weißen
Frau und dem Scharfrichter sei wahrhaftigen
Gotts nicht zu spaßen. Und sie haben tatsächlich
ein solideres Leben angefangen, aber den Namen
„Die Letzten von Rötteln" haben sie behalten bei
alt und jung, und das war gut so, denn dieses
Schlötterli war ihnen eine stete Mahnung, nicht
noch einmal diese bedenklichen Rollen zu spielen.

Richard Nutzinger.

(Fortsetzung von Seite 8)

Ins neue Land / Aus J. J. Astors Lehrjahren

von Wyser gelangt, welchen es als Amtssitz und
Jagdschloß diente.

Der Herr Amtsvogt von Erlenbaum war mit
der Burg völlig verwachsen, als sei sie sein ererbter
Stammsitz. Dem strengen und diensteifrigen
Beamten einer Gegend, die, wie reichsbekannt
, von Wilderern und allerlei Diebsgesindel
stark heimgesucht wurde, waren die massiven
Schloßtürme, so wie sie waren, gerade recht;
hier waren all' seine Akten hinter den vergitterten
Fenstern und den dreifach verriegelten
Türen in vollkommener Sicherheit, noch mehr
aber die Diebe selbst, die sich an herrschaftlichem
oder Privatgut vergriffen hatten.

Er hatte darum bei seinem Dienstantritt alles
im Schloß gelassen wie es war; nur auf Betreiben
seiner Gemahlin und insbesondere der Tante
waren einige Stuben seiner Dienstwohnung
modernisiert worden; das „altfränkische" Täfelwerk
der Stuben wurde herausgerissen und die
nackten Wände wurden mit Tapeten überklebt,
die eichenen gebräunten Decken erlitten dasselbe


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