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Die Markgrafschaft

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Schicksal oder wurden mit weißer Ölfarbe überstrichen
. Statt der Butzenscheiben hatte man
größere, viereckige in neue Bleizüge gefaßt. In
diese Räume kam dann statt der geschnörkelten
Schränke, Tische, Stühle und Truhen modernes
Mobiliar mit gebauschtem Bauch, geschwungenem
Aufsatz und Bockspedal, mit Messingbeschlag
und Goldleisten. Die ehemalige natürliche
Finsternis, durch die Butzenscheiben und
das braune Getäfel bewirkt, wurde jetzt durch
eine neue künstliche mit Hilfe schwerer Stoffe
ersetzt.

Herrn von Erlenbaum war die Gegend nicht
zu bucklig, wie seiner Fräulein Tochter; denn es
wußte niemand besser als er, wieviel köstliches
Wild die waldigen Höhen und die kühlen, feuchten
Gründe bargen. Ihm war der Neckar besonders
wertvoll, um den Überschuß der Brenn- und
Nutzhölzer der Waldungen nach den Märkten
der Pfälzer Ebene zu verschiffen. Die Zwingen-
berger Hauptstraße war ihm gerade recht so,
trotz der Dunghaufen an der Straße; so hatte er
seine nächsten Untergebenen und sämtliche
Insassen des Dorfes unmittelbar vor Augen.

So bestand also ein gänzlicher Unterschied
zwischen den altmodischen Anschauungen des
Amtsvogts und den neumodischen der Demoi-
selle Tochter. In der Dorfgasse war es trotz der
Mittagszeit wie ausgestorben, denn das mobile
Zwingenberg befand sich auf der Stätte des
heutigen Unfalls oder vielleicht schon auf der
Streife nach dem Vogelbuben im Schollbrunner
Wald.

Nur zwei alte Weiber guckten neugierig aus
den Fenstern, und ein Kretin, der auf einer
Hausschwelle saß, glotzte den Reiter blödsinnig
an.

Etwa auf der Hälfte des steilen Burgweges
begegnete dem gnädigen Herrn der Gerichtskanzlist
, der eben nach beendetem Mittagessen
ins „Schiff" wollte, um in der Freistunde mit dem
Schiffwirt sein gewohntes Kartenspiel zu machen.
Der Schreiber wurde beordert, an den Herrn
Bender vom Insultheimer Hof auf der Stelle
amtlich die Anfrage zu richten, wieviel Gelder
er dem Schafknecht Johann Jakob Astor zum
Einkauf mitgegeben habe.

Der Kanzlist ließ also für heute seine Karten
beim Schiffwirt. Was der Fragebogen enthielt,
der, ohne dem Amtsvogt zu Gesicht gekommen
zu sein, mit dem allernächsten Neckarschiff nach
Heidelberg und von dort weiter ging, werden
wir später erfahren.

Nachdem Herr von Erlenbaum sein Pferd in
die Hand des Schloßknechts gegeben hatte, eilte
er rasch die Treppe hinauf. Oben wartete seiner
schon die Tante, eine siebzigjährige Matrone,
Frau, oder wie man damals sagte, Madame
Moorband, die zwar die Repräsentantin seines
Hauses, mit ihm aber nur in einem Stück eines
Sinnes: in der ungemessenen Liebe zur Natalie.
Sie war eine kinderlose Witwe, freigeistig bis
zum Exzeß, und es dürikte allen, die den Amtsvogt
und Frau Moorband näher kannten, wirklich
ein Meerwunder zu sein, daß sie sich miteinander
vertrugen und es unter einem Dach
miteinander aushielten. Die Tante, eine geborene

von Gleyberg, hatte, obwohl viel hinter französischen
Büchern, — auf deutsche hielt sie gar
nichts, die waren ihr zu holperig und zu sehr
sans facon — viel gesunden Hausfrauensinn. Sie
war trotz ihres Alters so emsig in der Sorge um
den Haushalt, besonders um die Küche und die
Lieblingsbissen des gestrengen Gebieters, daß der
Herr Amtsvogt wohl oder übel über ihren Unglauben
ein Auge zudrückte, besonders, da er
wußte, daß der alte Pfarrer von Gerach, wohin
man eingepfarrt war, sogar über ihren gänzlichen
Mangel einer österlichen Beichte in stiller Duldung
hinweg sah. Sie hatte seit Menschengedenken
nicht gebeichtet, schickte aber jedesmal in

Im alten Klemm Foto: Schneider, Müllheim

der Karwoche zur Bezeugung ihres guten Willens
eine ausgezeichnete Torte ins Geracher
Pfarrhaus.

Madame Moorband also empfing den Amtsvogt
oben an der Treppe mit der erstaunten
Frage, wo der Schäfer sei, der Natalie das Leben
gerettet.

„Soll ich denn den Walldorf er Schaf knecht
und die Schiffer von Haßmersheim alle ins
Schlafzimmer meiner Tochter schleppen?", entgegnete
ihr der Amtsvogt unwirsch.
„Wo ist Natalie und was macht sie?4 4
„Sie liegt zu Bett, ist ganz ohne Fieber, aber
sehr erschöpft; sie hat etwas Mokka getrunken,
kam dann in gehörigen Schweiß und schläft jetzt
wie ein Engel. Der Herr Amtsmedikus ist schon
von Mosbach her entboten. Der hiesige Feld-
scheer, welcher da war, sagt, es habe keine Gefahr
mit der Erkältung, wenn nicht der ausgestandene
Schrecken hintennach noch Nachteil
bringe. Eh bien, wir wollen das beste hoffen
und Gott danken, daß es so abgelaufen ist".

(Fortsetzung folgt.)


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