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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1952-03/0007
Die Markgrafschaft

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ist und Wachstum verheißt, und wenn es nur
sichtbar würde im Aufsatz eines Dorfschulkindes,
oder in der Diskussion akademischer Jugend, im
wissend vornehmen Verstummen eines Angeklagten
vor seinen dem Gestern dienenden Richtern
, wie in der wortlosen, „Eigensinn" genannten
, Opposition eines Jungen — „oft großer flam
von fünklin kam". Achten wir auf die „fünklin",
lieber Hebelbund, und Du, alter Heimatfreund,
lösche die Fünklein nicht aus durch Schelten und
Kritisieren, sondern warte in klugem Gewährenlassen
ihr volles Leuchten ab! Zugegeben, unsere
Zeit ist ruchlos, aber daß sie um ihre Ruchlosigkeit
weiß, ist schon ein Grund zur Hoffnung.
Gewiß unsere Jugend ist ehrfurchtsloser geworden
— den Gründen hierfür ist L. B. in der letzten
Nummer nachgegangen — aber sie ist auch
ehrlicher geworden, weil sie sich nicht mehr
so vieler Schleichwege zu bedienen braucht. Aus
dieser größeren Ehrlichkeit wird zweifellos —
man müßte den Hunger der Jugend nach großen
und echten Bindungen schlecht kennen — eines
Tages eine neue „Ehrfurcht" entstehen. —

Eine ernste Ursache der Weltangst ist der
plötzliche Abbruch fast aller Tradition auf fast
sämtlichen Lebensgebieten. Der Riß zwischen
gewohntem und ungewissem Dasein schmerzt
tief, macht unruhig und gereizt. Ja, es ist kaum
einer Generation der Abschied und die Losreißung
von einer Vergangenheit so plötzlich
aufgebürdet und so sauer gemacht worden wie
dem jetzt lebenden Geschlecht. Nun aber ist
ieder Versuch, frühere Gebilde am Leben erhal-
ten zu wollen, zwecklos und gefährlich. Auch das
Tarnen der Weltangst durch das heute so viel
angewandte Jungseinwollen um jeden Preis verliert
schnell seine Wirkung. Bleibt also nichts
übrig als neue Traditionen zu schaffen
, die — man muß sich zu dem Schluß
zwingen — besser sind als die alten, eben weil
sie neu sind, d. h. weil sie die gesunde Farbe
des Entschlusses und des männlichen Wagnisses
an sich tragen.

„Halt neuen Freunden deine Türen offen!

Die alten laß! Laß die Erinnerung!

Warst einst du jung, — jetzt bist du besser jung!"

Das sind herbe Tröstungen, und sie führen bis
hart an das Opfer des vernünftigen Denkens.
Aber haben wir nicht viel mehr an vernünftigem
Denken geopfert, um den heutigen die Weltangst
bedingenden Zustand herbeizuführen? Wo blieben
damals die Männer der „reinen Wissenschaft
", des kühlen wertfreien Denkens? Wo
bleiben sie heute? — So müssen wir, allein oder
in zweisamem oder dreisamem Wirken und sich
Verstehen Keimzellen der Hoffnung bilden, neue
Traditionsbeginne bauen, wirksame Gedankenabläufe
gründen, die sich in die kleinsten Adern
der Alltagswirklichkeit ergießen. Zum Beispiel
wo bleibt immer noch unter den höchst fragwürdigen
Unterhaltungsfilmen der Film „vom anständigen
Menschen"? Wann bringen wir die
Kraft auf, das Radio abzustellen, um die herrliche
Stille darnach zu genießen, die uns umgibt
wie eine kostbare Erinnerung an unsere Jugend,

wo es kein Radio gab und keine Weltangst, oder
das gute Buch oder das gute Gespräch oder das
gute Schweigen miteinander?

Bleiben freilich noch Krieg und Kriegsgeschrei
als fortzeugende Erreger der Weltangst. Liegt
hier nicht wenigstens teilweise eine Verwechslung
von Ursache und Wirkung vor? Es würde
sich eine Erörterung der Frage lohnen, ob der
Krieg immer Ursache der Weltangst oder nicht
vielmehr die Weltangst Ursache der Kriege war.
Man würde vielleicht erfahren, daß zwar das
vernünftige Denken noch wenige Kriege verhindert
hat, daß aber auf der anderen Seite die
Angst und das mit ihr verbundene Mißtrauen
und die Auswertung dieser Angst
durch Interessenten schon viele Kriege losbre-

mJfejen

&er Bauer Me
fiöfllein einßiannt'
er fefet; fein* felöer
un6 Kiefen instand

er pftuaet kn BoÄm
er egget unMnt-

un6 riitjit feine fiänAe
frülimorsens ~i—*

chen ließ. Darum ist es auch hier der Mut allein,
der durch Bezwingung der Weltangst den Krieg
verhindern kann und darum ebenso hoch einzuschätzen
ist wie der Mut, der sich aufmacht, den
Krieg auf dem Schlachtfeld zu bestehen.

Die Moralisten aller Zeiten suchten durch
Schelten auf Lüste und Laster die Krankheiten
ihrer Epoche zu heilen. Ohne jeden Erfolg. Nicht
der Überfluß an Freude, sondern der Mangel an
Freude öffnet dem Laster den Weg, und Burte
legt auch hier den Finger auf die Wunde, wenn
er sagt:

Sie göhn nit under, wil sie suufe,
Sie suufe, wil sie undergöhn.

wobei aber wohl zu bemerken ist, daß auch die
Flucht in die Narkose vor der Weltangst nicht zu
schützen vermag.

Nur wer die Kraft hat, Verwandeltes zu bejahen
, und die Bereitschaft, sich verwandeln zu
lassen aufbringt, steht dem Sinn der Welt nahe,
und darf den Mantelsaum dessen küssen, der
„als ein wissender Gestalter ihren Stoff in Händen
hält". Alfred Holler


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