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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1952-03/0012
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Die Markgrafschaft

Die alte

Bis vor wenigen Jahren stand diese alte, ehrwürdige
Linde, die uns hier der Fischer Fritz in
einem seiner trefflichen Holzschnitte festgehalten
hat, vor der Kogermühle. Sie war noch ein
Stück vom alten Müllheim und dürfte in ihren
jungen Jahren die Schrecken des dreißigjährigen
Krieges von Anfang an miterlebt haben. Viele
Generationen sind unter ihrem breitausladenden
Blätterdach durchgegangen, und sie hat manches
Liebespärchen belauscht, wenn in lauen Sommernächten
auf der rund um den Stamm gezogenen
Bank Gott Amor seine Pfeile schoß.

Der Stamm war ein einziges „Kropfnest" und
sah aus wie der Hals einer kaiserstühler Großmutter
. Aber „'s het si niemes drum agluegt".
In ihrem Schatten spielten die Kinder und hüteten
die Halbwüchsigen die Kleinsten. Mütterlich
breitete die Linde ihre starken Äste über die
jungen Menschlein und war ihnen kühle Zuflucht
in der Hitze des Sommers.

Im Schatten der Linde netzten die Winzerinnen
ihr „Rebstrauh" im Wasser des Mühlbachs,
um es nachher am Bachbord zu „trämpeln", das
heißt biegsam zu machen. Wollte es der Zufall,
daß gerade eine größere Anzahl Winzerinnen
diese Arbeit des „Netzens" ausübte, dann hörte
sich dies allemal an, als ob eine Herde Gänse
zum erstenmal ins Grüne gelassen worden wäre.
Unter der Linde war dann Sprechstunde.

Linde

Sie stand am richtigen Platz, diese alte Linde.
Trat der müde Rebmann von seiner schweren
Arbeit im Reckenhag den Heimweg an, dann lud
ihn die Linde ein zur kurzen Rast unter ihr
kühles Dach. Zu beiden Seiten plätschern die
Wasser des Mühl- und des Klemmbachs. Über
ihm summen die fleißigen Immlein, und aus den
naheliegenden Höfen hört er das Muhen der
Rinder. Hoch über dem Blauen steht schon die
bleiche Sichel des Mondes und vom Zwiebeltürm-
chen des Margarethenkirchleins kündet die Glocke
„Betzyt". Vom hohen Dom der Platanen schreien
junge Raben herüber und aus Mauerlöchern im
schadhaften Giebel der Kogermühle hört er das
geschwätzige Tun der Stare und Spatzen. Der
letzte „Spritziwagen" fährt polternd die holperige
Hachberggasse herunter, und einige Schritte hinter
dem Gefährt entdeckt er die Gestalt der alten
„Grasere". Nun nimmt der alte Rebmann Abschied
von der Linde. D' Grasere hat ihn nun
ebenfalls entdeckt, und indem sie ihm in ihrer
humorvollen Art ihr „gueten Obe!" zuruft und
ihn frägt, „öb er emend no uf eini wartet", wendet
er sich lächelnd dem Heimweg zu, während
sie über die Klemmbachbrücke dem nächsten
Gehöft zustrebt.

Im Juni aber, wenn sie aus tausenden von
Blüten ihren Duft verströmte, und am Abend
vom hohen Gezweig das Lied der Amsel erklang
, — dann war der Platz unter der Linde
allemal wie eine Insel des Friedens. F. W.

Das Zauberwort

Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.

Als der Frieder auszog in den großen Krieg,
trug er in seinem Brustbeutel ein Heidesträußlein
aus seinen geliebten Schwarzwaldbergen.
Dieses Heidesträußlein war mehr als ein gutes
Gedenken. Davon sagte ein Brief, der nach
langer, langer Zeit daheim ankam und in dem
der Frieder schrieb: „Das Heidesträußlein trage
ich immer noch im Brustbeutel bei mir. Freilich
ist seine Farbe verblaßt, die Blüten sind verdorrt,
das Ganze ist zu einem Häuflein Streu geworden
. Aber das würde nur einer sehen, der nichts
von dem Sträußlein weiß. Für mich blüht es
immer noch, und es wird ewig weiter blühen,
solange es das Klopfen meines Herzens spüren
wird, denn es ist für mich nichts anderes als
Heimat".

Kein Brief des Frieders ging nach Hause, in
dem nicht von der Heimat die Rede war, auch
wenn manchmal nur in einer einzigen Zeile
ihr Bild vor dem geistigen Auge auftauchte. Er
schaute sie in ihrem friedlichen Glanz wie in
ihrer tiefen Not. Denn er war kein Schwärmer,
der sich nur an dem Schönen ergötzte und all
die Sorgen und Bitternisse, Schmerz und Leid
nicht gesehen hätte. Ganz nüchtern sah er das

Ende, wie es kommen mußte, voraus. „Werden
wir wieder einmal durch unsere Heimat wandern
?", heißt es in einem Brief. „Ich habe so oft
Sehnsucht danach. Aber, ich glaube, wir müssen
uns ganz umstellen. Das gute bürgerliche Leben
ist endgültig vorbei. Ich meine damit jenes Leben
im guten Sinne, das nicht am Sattsein sich
genügen ließ, sondern das die beste Tradition
wahrte und wesentlich zur Verirmerlichung und
Vertiefung des deutschen Gemüts beitrug.
Manchmal ist mir, als würden wir wieder ganz
von vorn anfangen müssen, Dazu wird es einer
großen Kraft und tiefen Seele brauchen. Denn
wir wollen doch leben und nicht nur vegetieren".

Das Leben war für ihn immer etwas Hohes,
Heiliges, Ehrfürchtiges. Wie konnte er sich erfreuen
an dem kraftstrotzenden Leben, das ihm
der Anblick eines Pferdegespannes bot, wenn es
in der kühlen Luft eines frühen Morgens
dampfend vor einem Wagen zog! Wie achtete er
aber auch ebenso das kleine, unscheinbare Leben.
Einmal schrieb er aus einem Unterstand: „Nur
wenig Raum gibt's hier unten zwischen den
Wänden aus Beton, der immer etwas Kaltes,
Totes an sich hat. Man sollte meinen, hier unten
in dieser engen viereckigen Kammer sei nichts
vom Leben zu verspüren. Doch da hockt gerade
eine Spinne auf unserem Kalender, den wir an
die Wand gehängt haben. Sie ist unsere Gesell-


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