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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1952-03/0014
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Die Markgrafschaft

schafterin schon all die Tage und Nächte hin.
Keiner von uns möchte sie töten. Es ist merkwürdig
, daß man in diesem Bereich, wo der Tod
eine vielfache Ernte hält, das Leben so stark ist,
daß man es selbst im kleinsten zu schützen versucht
. Neben der Spinne haben wir noch einen
großen, schwarzen Käfer bei uns, der mit Vorliebe
unter einem kleinen Haufen von Scherben
hockt, die er in stundenlanger Arbeit hochlupft,
um darunter herum zu krabbeln. Dabei vollführt
er einen Heidenkrach, da die Scherben in einem
schmalen Schacht liegen, der wie ein Schalltrichter
wirkt. Ja, das ist eine eigenartige Gesellschaft
, und wir würden auch lieber die Vögel
unter dem Himmel singen hören.

Ist's nicht unser Johann Peter Hebel gewesen,
der neben dem bekannten alemannischen Gedicht
„Das Spinnlein" in seinem „Schatzkästlein"
von den Spinnen schreibt: ,Muß man nicht über
die Kunst und Geschicklichkeit dieser Geschöpfe
erstaunen, wenn man ihnen an ihrer stillen und
unverdrossenen Arbeit zuschaut, und an den
großen Schöpfer denken, der für alles sorgt und
solche Wunder in einem so kleinen und unscheinbaren
Körper zu verbergen weiß?' Hebels
Betrachtung hatte ich schon oft daheim im
Markgräflerland gelesen, aber so vielbedeutend
war sie mir noch nie wie heute in der Ferne und
in einem Raum, in den eine Spinne ein Stück
Leben hineinträgt. Das sieht so friedlich aus.
Doch wie schnell ist der Spinne Netz zerrissen —
und immer wieder muß sie von neuem aufbauen,
und unverdrossen tut sie das. Sollte sie uns nicht
ein Gleichnis sein in dieser Zeit?"

Neben solch ernsthaftem Sinnieren stieg in
manchen Briefen das Lied der Heimat wie das
einer Lerche jubelnd in das Blau des Himmels
empor. „Es kann geschehen, daß mitten in der
tobenden Hölle der bestirnte Himmel zu dir
spricht, daß die liebsten Menschen neben dir
stehen, daß die ferne Heimat aus Lärm, Qualm
und Rauch auftaucht". Und wie tauchte die Heimat
auf! Wie sie der Frieder daheim nie geschaut
. Dort hatte er sie ständig um sich, er
werkte täglich in ihr. Und es ging ihm mit ihr,
wie es uns allen mit etwas geht, was wir immer
bei uns haben. Sie war ihm etwas Alltägliches
geworden, und der feine Blütenstaub, von dem
Hebel in seiner „Sonntagsfrühe" so zart und
weise spricht, war „verwüscht". Aber jetzt in
der Ferne, da erstand die Heimat nicht nur in
ihren großen, markanten Linien, sondern auch
in ihren kleinsten und feinsten Dingen wurde
sie ihm neu. „Da schaust du das Wogen der Gräser
im Wind droben am Brenntenbuck neben
dem weiten Blick auf das stolze Basel. Du meinst
den weichen Grasteppich unter deinen Sohlen zu
verspüren auf dem Weg von der Sirnitz zum
Kreuzweg. Du wanderst im Geiste von Dorf zu
Dorf im Markgräflerland, du beachtest nicht
nur die sprudelnden Brunnen und die hohen
Giebel, das Schaffen der Mannen und Frauen in
Haus und Hof, in Feld und Reben, du siehst auch
den Nägelistock in dem von der Bäuerin so liebevoll
gepflegten Kraut- und Blumengarten beim
Haus oder die ausgetretenen Stufen der Kellerstiege
, über die schon so manches Chrüsli heraufgeholt
worden ist. — Das ist kein Heimweh, an
dem ich leide. Nein, das ist die Kraft der Heimat,
die in der Ferne und unter der Last der Katastrophe
, die über uns hereingebrochen ist,
stärker ist als im Anblick des Blauen und Bel-
chen. Das Wunden Stillende und Heilende ist
beschworen durch die Geister der Heimat, die
das Herz behüten".

Und als die Waffen schwiegen, keine Briefe
mehr gingen und kamen, jede Verbindimg mit
den Lieben daheim abriß und es das härteste Los
zu tragen galt, da schrieb der Frieder nach einer
langen Zeit des Hangens und Bangens und der
Überwindung seine Gedanken in ein Notizbüchlein
nieder. Das Schreiben fiel ihm schwer, fast
so, als müßte er wie ein Erstkläßler zu kritzeln
anfangen. Aber wieder, ja vielleicht noch stärker
als zuvor, war die Heimat das Zauberwort. Ihr
galt alles Sehnen und Hoffen. So schrieb er im
vergangenen Sommer in sein Büchlein, wie er
die Heimat im Geiste geschaut hat: „Wieder einmal
— wann wären sie's nicht — sind die Gedanken
in der Heimat. Jetzt werden wohl Roggen
und Weizen geschnitten und heimgefahren.
Über der Rheinebene liegt das Flimmern heißer
Sommertage. An den Häusern in den Dörfern
und Städtchen sind tagsüber die Fensterläden zu.
Die Hühner hocken in den Höfen im Schatten
von Bäumen, Treppen und Wagen. In den
Reben wächst — wie ich mir bei diesem sonnigen
Sommer einbilde — ein guter Jahrgang. Ob
ich bei seiner Ernte helfen kann, wie einst
früher in jedem Herbst? Wird der Heimatort
noch schlimm unter den Kriegsereignissen gelitten
haben? Wie wird heute der Ort aussehen?
Wer wird für immer aus den Reihen seiner Bewohner
geschieden sein und zum langen Schlaf
auf dem Gottesacker ruhen? Ich schaue die Lieben
daheim, die Nachbarn, so viele Freunde und
Bekannte vor mir, ich schaue das Leben draußen
und drinnen, wie es einstens gewesen war. In
allen Einzelheiten steht es vor mir. Und all ihr
Wege im Heimatland, nach dem Eggener- und
Kandertal, nach Sulzburg und Staufen, hinauf
ins Oberland und hinab in den Breisgau, vom
Klotz am Rhein bis zum Münsterturm in Freiburg
! Wird der Bach in den Matten ob Schallsingen
und Eggenen noch so verborgen und verträumt
rauschen, wenn der Abend seinen Mantel
um den Blauen legt, der Wind leise die Pappeln
biegt und von einem frisch gefahrenen Acker
den Geruch der Heimaterde herüberträgt? —
Sieht der Bauernhof, der hier weit über Äckern
und Feldern auf sonniger Höhe liegt, nicht aus
wie die Johannisbreite? Was war das einst ein
beglückendes Gefühl, wenn man aus dem Wald
heraustrat und die Paßhöhe erreichte. Da glänzte
Bürgeln auf der Höh' in seinem ganzen Stolz,
der Turm der Sausenburg grüßte herüber, und
die Beiden Gleichen ließen die Gedanken weiterspinnen
ins Kander-, Rhein- und Wiesental. Zu
Füßen aber atmeten all die Dörfer in den Tälern
Markgräfler Fleiß, Zähigkeit, Gemüt und Freundlichkeit
. Und du Breite selbst mit deinem Hof,
den Obstbäumen ringsum, deinem Garten voll


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