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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1952-03/0018
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Die Markgrafschaft

Sei es, daß der reichlich genossene Ungsteiner
Wein den Jakob besonders aufregte, — denn zu
Hause gab's nur Apfel- oder Birnenmost —,
oder ob durch eine rasche Bewegung das Wundpflaster
auf Astors Kopf sich losriß, kurz, Jakob
fing plötzlich an stark zu bluten, und der Vogt
lief, Wasser zu holen. Aber das Bluten wurde
stärker und Jakob überlief ein starkes Frösteln;
es war richtiges Wundfieber. Der Schäfer wurde
immer blässer und wurde in die Oberstube ins
Bett geschafft, wo er alsbald einschlief. Man
hatte auch schon nach dem Strümpfelbrunner
Feldscheer geschickt. Mittlerweile aber war
schon einer der drei Zwingenberger Abgesandten
angekommen, welche den Schäfer suchen sollten.
Spornstreichs lief er nach erspähter Sachlage
wieder bergab dem Schloß zu.

Es war jetzt nachmittags vier Uhr; ein heftiges
Gewitter trieb die Leute heim vom Feld,
und wie die Wolken flogen, so jagten sich in den
engen, dumpfen Wohnstuben der Schollbrunner
schauerliche Gerüchte über das Geschehene;
insbesondere hatte man den grauen Henner
stark im Verdacht, er habe es auf die Ermordung
des Walldorfer Schäfers abgesehen gehabt,
und es sei ein Glück gewesen, daß er diesen in
der Hecke gefunden.

Der Vogt bekam in seiner Wirtsstube guten
Besuch; denn die Mannen im Ort wollten über
das große Tagesereignis das Neueste und Zuverlässigste
erfahren, und das war nur bei Damian
zu vernehmen.

Der Strümpfelbrunner Feldscheer aber kam
unterdessen von hinten in's Haus hinein, wußte
von der ganzen Sache noch nichts, nur, daß in
des Vogts Haus ein fremder Schafknecht liege
mit einem großen Loch im Kopf. Die Magd sagte
ihm unter der Küchentüre, der Schäfer liege
oben in der Gaststube; der Feldscheer ging also
hinauf, besah den schlafenden Schäfer, packte
sein Etui aus — Vogt und Vögtin hatten unten
zu tun — und hätte dem bewußtlosen Jakob das
halbe Haupt kahl rasiert, wäre nicht in dem
Augenblick der Vogt dazu gekommen, und hätte
er nicht, während der Bartkünstler das Messer
auf dem Streichriemen hin- und herzog, die Andeutung
fallen lassen, der Schäfer stehe in besonderer
Affektion des Amtsvogts von Zwingenberg
. So und so sei es gegangen, und der junge
Mann habe sein Glück gemacht, falls er mit dem
Leben davonkomme, woran wohl nicht zu zweifeln
sei. Das war freilich eine andere Sache; der
Feldscheer steckte das Rasiermesser wieder ins
Futteral, untersuchte die Wunde sorgfältig, und
ging mit dem Patienten so sänftiglich um, als
hätte er einen verkleideten Prinzen unter den
Fingern. Er erklärte die Wunde für nicht tödlich
, wusch sie mit einem Heilwässerlein nochmals
aus, legte schwarzes Heftpflaster darauf,
und versprach dem Vogt, am andern und den
folgenden Tagen wieder zu kommen, bis der
Patient geheilt sei. Nachdem er noch eine genaue
Krankendiät vorgeschrieben, begab er sich zu
den Bauern in die Wirtsstube hinunter und gab
denselben einen genauen Bericht des Falles, alle

Möglichkeiten erörternd, die etwa noch eintreten
könnten. Er war damit noch nicht zu Ende, als
eine Kutsche anfuhr, welcher der Mosbacher
Amtsmedikus entstieg. Dieser ließ den noch
immer bewußtlosen Jakob einfach wohlverpackt
in die Kutsche bringen und fuhr mit demselben
nach kürzestem Aufenthalt Zwingenberg zu. Der
Amtsmedikus hatte von der Tante Moorband
gemessenen Befehl, den Flüchtling „lebend oder
tot" aufs Schloß zu schaffen, sonst gäbe es mit
dem Nättelchen ein Unglück.

Der neue „Anstand"

Als Astor am andern Morgen mit etwas
Kopfweh und etwas Brennen der Wunde, sonst
aber völlig wohl, zu sich kam und seine Augen
aufschlug, kam er sich buchstäblich vor, wie ein
verwunschener Prinz. Er konnte sich nicht denken
, wo er sei. Er befand sich in einem großen,
etwas kühlen und dunklen, aber schön möblierten
und tapezierten Zimmer. In der Ecke hing
ein hoher und breiter Spiegel, an der Wand, dem
Bett gegenüber, stand ein gepolstertes Kanapee,
davor ein Tisch und Stühle mit goldkanellierten
Bocksfüßen. Auf einem Stuhl befanden sich Kleider
, aber nicht die seinigen, auf dem Tisch lag
seine Geldkatze, auf dem Teppich unter dem
Tisch der Phylax. Sobald dieser merkte, daß
sein Herr wach sei, erhob er sich, streckte sich
und kam ans Bett, Jakobs Hand zu belecken.
Ein Blick durch das Fenster, das mit langen, rotseidenen
Vorhängen fast ganz verdeckt war,
zeigte als Gegenüber einen Streifen von dunkelgrünem
Nadelwald. Neben dem Bett auf dem
Nachttischchen guckte unter dem Lichtstock eine
Ecke von einem zusammengefalteten Briefchen
hervor; als Jakob es entfaltete, duftete es ihm
wie lauter Rosen entgegen. Mit zierlichen Buchstaben
stand unter einem gemalten Rosen-
bouquett, aus welchem ein Amorettenkopf hervor
sah, geschrieben:

„L'Amour, petit coquin,
l'Amour artificieux,
l'Amour nous a sauve,
que nous soyons heureux".

Der Schäfer griff sich an den Kopf, den er
sich zwar gestern angestoßen hatte, auf den er
aber sonst nicht gefallen war; er wußte sich das
alles nicht zusammenzureimen. Er wußte nur,
daß er gestern nach dem gehabten Abenteuer,
auf dem Schollbrunner Feld mit dem dortigen
Vogt zusammengetroffen sei, daß dieser ihn mit
nach Hause genommen und ihm vielen und starken
Überrheiner Wein eingeschenkt habe. Es war
ihm dunkel, als habe man ihn in einen Wagen
geladen und weit fortgeführt; wohin, wußte er
nicht. Sein Trost war, daß er seine Geldkatze auf
dem Tisch erblickte. Er fuhr aus dem Bett auf
und merkte jetzt erst, daß er statt seines grobleinenen
Hemdes ein sehr feines mit gefalteter
Busenkrause und mit solchen Manschetten anhabe
. An Stelle seiner Knielederhose, die der
Schäfer Johann Jakob Astor gestern noch getragen
hatte, lag ein Paar Beinkleider vom feinsten
hellblauen Tuch, und statt seiner groben Woll-


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