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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1952-03/0019
Die Markgrafschaft

17

Strümpfe blieben ihm ein Paar weißseidene in
den Händen. Wohl oder übel mußte er beides
anziehen und knöpfte einstweilen das Hemd am
Hals und an den Ärmeln zu, aber nota bene nicht
mit den gewohnten Messinghaften, sondern,
nachdem er sich gründlich gewaschen hatte, mit
Knöpfchen, die ihm von Gold dünkten. Weste
und Rock waren vom selben Stoff wie die Beinkleider
, nur waren sie noch mit feinem, schwarzen
Samt ausgeschlagen und hatten silberne
Knöpfe. Vor dem Bett aber stand ein Paar feinlederne
, schwarzlackierte Stiefel, deren Umschlag
von feinstem gelben Leder war. Er trat nun vor
den Spiegel und staunte sich selber an; es war
sein eigenes Gesicht, und die Haare hingen ihm
noch ziemlich wirr über's Haupt herunter, aber
es war eigentlich doch nicht mehr ganz er selber,
denn Kleider machen einmal andere Leute. Jetzt
scheitelte er mit einem daliegenden Kamm sein
Haar, das Pflaster der Wundstelle sorgfältig
überdeckend und die dichten, langen Strähnen

dn tot Kfcttgionsftunde

Sie sinn an der Gschicht' vom Ischarioth,

dem gringe Verräter un Sünder.

Der Lehrer schließt ab: „So, un jetz wott

i no ne schön Sprüchli, ihr Chinder.

Wer weiß mer eins?" Der Gusteli zwängt:

„Ich, ich" — un loßt druf ertöne:

„Der Judas ging hin und hat sich erhängt".

„Aber, Bueb, das isch keis vo de schöne.

Ne lehrriich Sprüchli möchti jetz".

Der Gusti git" Wieder sii Zeiche.

„Henu so denn, Gusteli, also schwätz!"

„Gehe hin und tue desgleichen!" R. N.

hinters Ohr streichend. Darauf öffnete er das
Fenster; er sah einen Fichtenwald vor sich, welcher
eine steile Höhe bedeckte, die sich in den
tiefen dunklen Graben hinabsenkte und, wie es
schien, das ganze Haus umzog; an einer Ecke des
Hauses rechts befand sich ein hoher Turm. Der
„verwunschene Prinz" war aber nach diesem
Ausguck aus dem Fenster noch gerade so klug
wie zuvor.

Da öffnete sich die Zimmertüre, und Jakob
schaute in das freundliche, erstaunte Antlitz
einer alten Dame, das ihm so völlig unbekannt
war, wie alles um ihn herum; er wußte auch
nicht, in welcher Tageszeit er sich befinde, denn
zum Besitz einer Taschenuhr hatte er es noch
nicht gebracht. Er war daher recht froh, endlich
ein Menschenantlitz vor sich zu sehen und jemanden
zu finden, der ihm Aufschluß über alle
ihn umgebenden Rätsel verschaffe.

„Mais, mon eher amü", sagte die alte Dame,
die Zwingenberger „Tante", auf Astor zugehend
und ihm die Hand reichend, „was haben Sie doch
gemacht? Wo haben Sie die Kraft hergenommen,
sich von Ihrem Krankenlager zu erheben und
sich anzukleiden? Der Herr Amtsmedikus haben
verordnet, obwohl Ihre Kopfwunde nicht lebensgefährlich
sei, sich doch einige Tage ruhig im
Bett zu halten!"

„Mit meiner Krankheit", entgegnete Jakob
verlegen, denn er meinte, nur der Wein habe
ihn betäubt, „wird's nicht so gefährlich sein; ich
spüre außer ein wenig Kopfweh keine Schmerzen
mehr. Aber sagen Sie mir, beste Madame,
wo bin ich? Wie bin ich hierher gekommen in
dieses vornehme Haus und in dieses Zimmer?
Will etwa jemand hier seinen Spaß mit mir
treiben?"

„Aber, ich bitte Sie, mon jeune berger", erwiderte
die Dame, was fällt Ihnen ein, und wie
kommen Sie nur auf solche Gedanken? Wer
könnte den edlen Lebensretter unserer geliebten
Natalie zum Gegenstand gemeinen Spottes
machen? Sie befinden sich — wo könnte es anders
sein? — im Schloß zu Zwingenberg; der
Amtsmedikus hat Sie von Schollbrunn gestern
Abend in eigener Person hierher gebracht, nachdem
Ihnen dort über dem Essen Ihre Kopfwunde
wieder aufgebrochen war, und dies die
guten Wirtsleute daselbst in nicht geringe Sorge
versetzt hat. Danken Sie es, mein Lieber, dem
Himmel und Ihrer guten Natur, daß es noch so
abgelaufen ist. Hier, in der Wohnung des Herrn
von Erlenbaum, meines neveu per alliance, befinden
Sie sich jetzt, und es geziemt sich nicht,
daß der Lebensretter unserer lieben Natalie in
gemeiner Schäferkleidung einhergehe, um so
weniger, da mir Natalie, welche sich ganz wohl
befindet und ebenfalls außer aller Gefahr ist,
schon berichtet hat, Sie seien ein Mann von
Bildung, d'une bonne education".

Astor war ganz außer sich über alles, was
er hörte, und konnte doch nicht böse sein. Es
wehte ihn in der Nähe der alten Dame so freundlich
und so warm an. Es half nichts, daß er sich
selbst vorhielt, er sei nur der Sohn des Metzgers
Astor; diese Frau da erklärte ihn für einen
Mann von Bildung und guter Erziehung, und er
war halb geneigt, es zu glauben. Er war ja in
manchen Zweigen menschlichen Wissens — angeleitet
durch seinen Lehrer Jeune — etwas
bewandert, besaß sogar einige Kenntnisse der
damaligen neusten deutschen Literatur, wobei
ihm der Pfarrer von Walldorf Vorschub geleistet
hatte. Er war einer der wenigen Deutschen, die
Klopstocks Messiade ganz durchgelesen hatten;
an dessen Oden hatte er sich erbaut, wenn er sie
auch nicht ganz verstanden hatte; Höltys und
Bürgers Gedichte konnte er fast alle auswendig.

So war die Kleidung, die Jakob soeben angetan
hatte, ganz die für ihn passende; er trug sie
jedenfalls mit mehr Fug und Recht als derjenige,
welchem sie ursprünglich angemessen worden
war. Derselbe, von gleicher Statur wie Astor,
war ein Großneffe der Frau Moorband von
Mainz; er hatte in Heidelberg studiert und war
unter Hinterlassung einer bedeutenden Garderobe
und einer noch bedeutenderen Portion
Schulden mit einer Mannheimer Christin durchgebrannt
. Die Großtante und Onkel Amtsvogt
hatten das Vergnügen gehabt, die hinterlassenen
Habseligkeiten mit schwerem Geld auszulösen.
Da nun Jakob wirklich etwas ist und auch äußer-


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