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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1952-04/0004
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Die Markgrafschaft

Ostern mit Hebel / Richard Nutzinger

Das eigenartigste Ostern in meinem Leben
habe ich vor sieben Jahren gefeiert und habe da
auch wirklich erlebt, was es um die Osterbotschaft
Großes und Gewisses ist. Seit fünf Monaten
war ich durch die Gestapo in Schutzhaft gehalten
hinter, den Mauern des Lörracher Gefängnisses
und sah meiner Aburteilung wegen „staatsfeindlicher
Äußerungen" entgegen. Der Oster-
samstag war da, und meine Leidensgenossen in
der Gemeinschaftszelle baten mich, daß ich ihnen
morgen eine Osterpredigt halten möchte. Ich
lehnte diese Zumutung aufs entschiedenste ab;
mußte ihnen doch die Osterbotschaft in dieser
unserer Zwangslage fast wie ein Hohn vorkommen
; und dazu kannte ich die mehr oder weniger
christentumsfeindliche Einstellung meiner Zellenkameraden
aus manchen Gesprächen zur Genüge.
Als aber nun der Ostermorgen anbrach, erhob
sich einer der Genossen meiner Schmach von
seinem harten Lager und rief mit vernehmlicher
Stimme den alten Ostergruß: ,,Der Herr ist auferstanden
!" — und, was ich nicht für möglich
gehalten hatte, alle andern antworteten ihm in
allem Ernst: ,,Der Herr ist wahrhaftig auferstanden
!" Mit großen Augen starrte ich auf diese
eigentümlichen Osterboten, die auf ihre Weise
mit diesen beiden Sätzen eine so eiridringliche
Verkündigung ausgesprochen hatten. Ich fügte
nur noch die mir geläufige Osterverheißung des
Auferstandenen an: „Fürchte dich nicht! Siehe,
ich war tot und bin wieder lebendig und habe
die Schlüssel der Hölle und des Todes".

Und gerade dies Wort von den Schlüsseln
wirkte auf uns Eingeschlossene um so eindrücklicher
. Zwei Tage darauf war ich ohne Verhandlung
auf freiem Fuß — ich weiß heute noch nicht,
warum man mich so plötzlich losließ. Mein erster
Weg führte mich über den Hebelpark, in den ich
bisweilen vom Gefängnis aus einen sehnsüchtigen
Blick geworfen hatte, vorbei am leeren Sockel
und an den Laufgräben, die die Anlage schändeten
. Und wie so oft hinter den Mauern, so
wünschte ich mir in diesem Augenblick erst recht
wieder, den Tag zu erleben, an dem der Dichter
wieder auf seinem Sockel stehen würde.

Und ein Jahr später war wirklich die Oster-
zeit gekommen, an dem wir unsern Hebel wieder
an seinem alten Platz aufstellen konnten,
und wir haben es damals in bitterer Notzeit und
seither immer wieder verspürt, daß es wie ein
Osterwind weht um diesen Platz und um diesen
Mann. Und manchmal setze ich mich für ein
paar Augenblicke auf eine Bank im Hebelpark,
von der aus das Standbild unseres Dichters das
Amtsgefängnis als nicht gerade schöne Kulisse
trägt. Aber für mich ist sie bedeutungsvoll, und
ich überdenke jene schwere Haftzeit und zugleich
mit beglückender Freude den österlichen Wandel
von damals zu heute. Und dabei wird mir immer
klarer bewußt, was für ein österlich froher Mensch
unser Hebel gewesen ist und immer mehr geworden
ist, der auch uns Hebelleute getrost machen
will in unserer Aufgabe, sein Volk neu wachzurufen
zu einem aus Gottes Hand geschenktem,
reinen und fröhlichen Dasein.

Vogellied im Mai / Eine Morgenwanderung

Zu keiner Zeit des Jahres ist das Vogellied so
mannigfaltig wie im Mai. Wer es in seiner ganzen
Pracht erleben will, muß früh aufstehen.

Noch ist die Sonne nicht aufgegangen. Aber
schon singt der Girlitz auf der hohen Fichte
neben dem Dorfschulhaus sein klirrendes Lied.
Im blühenden Apfelbaum des Schulgartens orgelt
die Gartengrasmücke. Zaunkönig und Kohlmeise
belauschen wir am kresseumblühten Bach, dort
sehen wir auch die muntere Bachstelze. Heckenumsäumte
Wege führen ins Freie. Im hohen
Wipfel einer Fichte erklingt das flötenhaft getragene
Lied der Amsel. Schrill ist ihr Warnruf,
den sie bei Gefahr ausstößt. Übermütig klingt
das Tanzlied des Weidenlaubsängers, der nicht
ohne Grund „Zilp-Zalp" genannt wird. Den rot-
rückigen Würger hören wir, der andere Vogelstimmen
nachzuahmen versteht.

Im Kalksteinbruch kommen wir in das Reich
des Steinschmätzers. Ein lebhafter Geselle, verläßt
er in elegantem Balzflug den Steinbruch,
sobald wir uns nähern. Den schönsten Balzflug
aber führt der Baumpieper vor. Das Männchen
sitzt auf der höchsten Baumspitze. Plötzlich erhebt
es sich schräg in die Luft. Bereits bevor es

den Höhepunkt erreicht hat, beginnt es mit seinem
Gesang. Singend schwebt er im schönsten
Gleitflug abwärts. Etwas heiser erscheint uns der
Gesang der Grauamsel. Aus dem Gebüsch bei der
Mühle erklingt das „Ach, wie ist es doch so
schön!" der Goldammer. Rauchschwalben sausen,
Insekten jagend durch die Lüfte, hoch im Blau
der schwarze Mauersegler; wenn er da ist, dann
ist hoher Frühling.

Aus dem jungbelaubten Buchenwald erschallt
der abwechslungsreiche Gesang der Singdrossel.
Wie zart ist der perlende Koloraturgesang des
Rotkehlchens! Unbekümmert schmettert der Buchfink
seine Strophen in den Morgenwald. Der
Fitislaubsänger, den man nur schwer zu Gesicht
bekommt, ist erkenntlich an seinem aus durchweg
fallenden Tönen bestehenden Lied, indes der
Waldschwirrvogel seinen Namen seinem markanten
„sipsipsipsirr" verdankt. Der Schwarzspecht
lacht! Die Waldtaube gurrt: es jubiliert und
musiziert, es schmettert und es schallt. Auf dem
Heimweg dürfen wir noch dem „bückderück" der
Wachtel lauschen, und — wenn wir Glück haben
— im Gehölz am Bach der Königin des Maien:
Frau Nachtigall! Baader


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