Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1952-04/0010
8

Die Markgrafschaft

Ins neue Land / Aus J. J. Astors Lehrjahren

6. Fortsetzung. Von Herrmann Albrecht

Herr von Erlenbaum blieb aber ziemlich wortkarg
; die Anstellungsfrage wollte er nicht so
rasch erledigen. Es beschäftigte oder vielmehr
beunruhigte ihn offenbar eine Geschäftssache,
denn er griff mehrmals nach dem mitgebrachten
Aktenbündel; er blätterte darin, rechnete im
Kopf, legte es wieder neben sich, nahm es wieder
auf, blätterte und schüttelte unwillig den
Kopf, wie einer, der etwas herausbringen will
und bringts nicht fertig. Astor dagegen sprach
dem Frühstück tüchtig zu, beobachtete aber dabei
auch den Amtsvogt aufmerksam und schielte
in die Akten, auf deren vorderem Umschlag er
las: „Extraordinäre Neckarbau - Rechnung 1783".
Es klappte dem Herrn etwas nicht in der Rechnung
. Astor fragte darum frischweg, ob ein Fehler
in der Rechnung sei.

Die unbeschreibliche Verwunderung des Herrn
von Erlenbaum über die Frage des Gastes, der
gestern noch ein Schäferhemd angehabt, und die
Entrüstung über die Frechheit des jungen Menschen
, der sich herausnahm, ihn, den Zwingen-
berger Amtsvogt, über einem Rechnungsfehler
zu ertappen, wäre begreiflich, wenn nicht etwas
vorhanden gewesen, was Letzterer nicht wissen
konnte:

Der Schulmeister Jeune von Walldorf war
schon lange Jahre der Rechnungssteller und
Berater für alle Kirchenfonds und Gemeinderechnungen
weit und breit. Jakob hatte bei ihm
in der Schule nicht nur das Einmaleins und die
Regel de tri gründlich erlernt, sondern auch, seit
er beim Herrn Pfarrer ,,beten" gegangen, d. h.
konfirmiert worden war, dem Schulmeister in
freien Stunden, manchmal halbe Nächte hindurch
, Rechnungen stellen helfen, dutzende schon
ganz allein gestellt, und der Schulmeister hatte
bloß seinen Namen darunter geschrieben. Wäre
in Kurpfalz alles gewesen, wie es hätte sein sollen
, und hätte ein Reformierter im weltlichen
Dienst Aussicht auf Amt und Brot gehabt, ohne
Religions- und Gesinnungswechsel, der Schulmeister
hätte seinem Zögling und jungen Freund
selber geraten, in eine Kanzlei einzutreten. Wie
die Sachen aber einmal lagen, konnte ein Reformierter
nicht einmal Büttel werden. Zum
„Geistlichstudieren" aber waren für Astor keine
Mittel da.

Der Amtsvogt sagte endlich barsch: „Was
wollt' er von einer Rechnung verstehen?"

„Euer Gnaden", sagte Jakob ganz ruhig, obwohl
ihn der herrische Ton etwas wurmte, „erlauben
mir die Antwort, daß ich schon manche
und schwere Rechnung unter der Hand gehabt".

Der Herr Amtsvogt ließ ihn nicht weiterreden
.

„Er, Himmeldonnerwetter, wo denn?" fuhr
es heraus; der Aristokrat trat zurück und der
Bürokrat zeigte plötzlich seine Krallen.

„Zu Walldorf, bei unserem Schulmeister, der
alle Fonds- und Gemeinderechnungen stellt",
sagte Jakob wieder ganz gelassen.

Dem Amtsvogt ging ein turmhohes Licht auf;
diese Spur kannte er auch schon, er erinnerte
sich von Mannheim her, wie die kurfürstlichen
Kanzleibeamten schon vor vielen Jahren mit
geheimem Verdruß fast alle Fondsrechnungen,
die der Schulmeister von Walldorf aufgestellt
hatte, ohne ihre gewohnten Nörgeleien anbringen
zu können, hatten zurückgeben müssen. War der
Schäfer ein Zögling jenes Schulmeisters, so war
Astor für den Amtsvogt in diesem Augenblick
mehr als Goldes wert. Schon drei Tage saßen
der Forstschreiber und der Gerichtskanzlist über
der Herrschaftlich Wyser'schen Neckarbau-Rechnung
für die Auslagen, welche das Hochwasser
im Februar dieses Jahres verursacht hatte. Man
mochte rechnen wie man wollte, so blieb ein
Defizit von 372 fL, 35 kr., 1 Pf.

Der Herr Amtsvogt gehörte aber zu den Beamten
, welche sich auf ihre niederen Beamten
verlassen müssen, wie der Hauptmann auf den
Feldwebel. Er hatte seine Karriere nicht lediglich
seiner Tüchtigkeit als Beamter zu danken,
sondern mehr seinen äußeren Eigenschaften und
Umständen: einer hübschen, einnehmenden Gestalt
, — er war wirklich ein schöner Mann, —
dann der Gunst bei hochstehenden Frauen, der
Gewandtheit in den feineren Umgangsformen
und einer nicht geringen Fähigkeit, schwierige
Geschäfte auf diplomatischem Weg zu verledigen;
er hatte eine feine Spürnase in Geschäftssachen,
und all dem verdankte er seine Erhebung in den
Adelsstand. Der Sohn des einfachen Försters
Erlenbaum wäre sonst wohl in der Niederung
geblieben. Seine verstorbene Frau, eine geborene
von "Gleyberg, hatte sich aber als Mädchen in
den Kopf gesetzt, sie wolle und nähme keinen
andern als den Appellgerichts-Assistenten Erlenbaum
, und so erreichte er eine reiche adelige
Frau, die Amtsvogtei Zwingenberg und kurz
darauf selbst den Adel. Das Rechnungswesen
war ihm also ziemlich fremd und stets sein geheimes
Hauskreuz. Das Defizit lag ihm daher
schwer im Magen, da er in Geldsachen grundehrlich
war und ehrgeizig bis zum äußersten.
Er sprang vom Kaffeetisch auf, holte Tinte,
Feder und Papier herbei und sagte:

„Schreib" er mir einmal seinen Namen auf,
wann er geboren ist und wo!"

Astor strich mit seiner etwas schwieligen
Hand das Papier zurecht, prüfte die Kielfeder,
schnitt, da sie stumpf war, den Gänsekiel erst
zurecht, dann schrieb er mit festen, klaren
Zügen:

„Johann Jakob Astor, geboren den 17. July
1763, ehelicher, lediger Sohn des Burgers und
Metzgermeisters Jakob Astor in Walldorf".

(Forts. S. 10)


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1952-04/0010