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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1952-04/0013
Die M a r k g r a f s c h a f t

11

Büste, das weite Jaconet-Kleid, weiß mit Rosen
geblümt, das sich abwärts zur mächtigen, mit
breiten Volants garnierten Krinoline ausdehnte,
und über das Ganze ein wunderbar jungfräulich-
backfischlicher Reiz ausgegossen, das war die
Erscheinung, die dem „Schäfer" einen Augenblick
den Kopf und alle Sinne verwirrte. Es war
das Werk der Tante und ihr Triumph.

Aber auch Natalie fand Grund genug zum
Staunen, während sie sich ihrem Lebensretter
näherte und ihm die Hand reichte. Der vor ihr
Stehende hatte so gar nichts Schäferliches in
seinem ganzen Wesen; die hohe, kühngewölbte
Stirn, der energische Blick, die geschwungene
Nase, der festgeschlossene Mund mit dem selbstbewußten
Zug um die Winkel und das kräftigrunde
römische Kinn, — das alles und die dem
Walldorfer wie angegossen sitzende Modekleidung
machten doch auf das durchaus nicht
schüchterne Mädchen im Augenblick einen nahezu
verwirrenden Eindruck.

Trotz des harten Stoßes, den ihr Schäferideal
erlitten, hatte sie das Gefühl, das sei der rechte
Mann gewesen, welchen der Himmel ihr gesandt,
um sie zu retten. Sie reichte Astor ihr Händchen,
dann senkte sie die Augen und streichelte in
ihrer Verlegenheit den Kopf des Phylax, der mit
ihr und der Tante ins Wohnzimmer geschlüpft
war.

Frau Moorband mußte die Brücke bauen, auf
der die beiden verlegenen jungen Leute einander
näher treten konnten; sie begriff nicht, warum
ihr sonst so zungenfertiges Nichtchen auf einmal
schüchtern sei wie ein Bauernkind. Es war eben
doch lange her, daß sie selbst einmal einem
Herrn Moorband so verlegen gegenüber gestanden
war.

„Mais, monsieur Astor", hub sie an, sich auf
einen Stuhl niederlassend und Natalie bedeutend,
dasselbe zu tun, „nehmen Sie doch Ihren Platz
wieder ein und erzählen Sie meiner petit niece
hier noch einmal recht deutlich und ausführlich,
wie die Sache zugegangen ist. Gelt, Natalie, du
möchtest es aus dem Mund deines jungen Freundes
, du sauverer de ta vie, selber hören".

„Oh, oui donc, mon eher amü", hauchte
Natalie, „aber bitte, erzählen Sie es mir französisch
!"

Obwohl Astor des Französischen völlig mächtig
, war doch die Erzählung keine leichte Aufgabe
; schier noch schwerer auszuführen, als der
Vorgang im Wasser. Er half sich jedoch mit
guter Manier über die Klippen hinüber, besser
als über die wirklichen am Neckarufer, an welchen
er sich sein Haupt zerstoßen. Natalie wollte
nun auch die Wunde sehen, was ihr die Tante
nicht verwehrte, sondern im Gegenteil den Haarbusch
des Gastes ein wenig lüftete und Natalien
die gut geheftete Wunde zeigte. Um den Schaden
besser besichtigen zu können, faßte Natalie
Astors Kinn und streichelte dem Schäfer mit der
rechten Hand die Wange.

Jetzt erst gab Astor in Gedanken den Dienst
bei Herrn Bender endgültig auf, und die Häm-
mel, die er mittlerweile hätte kaufen sollen,

durften ein paar Tage länger leben; denn die
Tochter des Amtsvogts von Erlenbaum zu Zwingenberg
war doch eine andere Person, als des
Lammwirts Kathel zu Walldorf. Zur Handelschaft
freilich passen die Weibsleute nicht.

Das Ungewitter in der Kanzlei hatte ausgetobt
. Der Herr Amtsvogt kam wieder, und in
einer ganz anderen Stimmung, als er sie eben in
der Kanzlei gezeigt. Dieser Astor war ein unbezahlbares
Kleinod, und er bat der gescheiten
Tante, die diesmal viel schärfer gesehen, im
Stillen alle Unarten ab, die er ihr schon wegen
Nataliens Pensionserziehung und besonders
gestern abend an den Kopf geworfen hatte. Daß
es sich bei den beiden Frauenzimmern um etwas
viel wichtigeres handle, als die Anstellung des
Gastes auf Zwingenberg, ahnte er freilich nicht;

Voll Abend ist das Land
und Hirtenruf; vom Rand
des Hügels kommt ein Kind,
die Herden heimwärts sind.

Die ferne Stadt versank;
die Ströme gehen kaum.
Als auch der Wald ertrank,
blieb nur noch groß der Baum

und wie verwundert so:
lautlos von irgendwo
der Nebel um ihn steigt;
er aber wächst und schweigt.

L. B.

denn es war auch bei ihm schon gar lange her,
daß er seine Augen zu dem Fräulein von Geyberg
aufgehoben und, nach langem Seufzen und
Weinen des Fräuleins und vielen Demütigungen
und sauren Gängen seinerseits, endlich das Jawort
der Mutter erhalten hatte. Daß ein anderer
sich ein Gleiches herausnehmen könnte, stand
nicht in der Glaubenslehre des Herrn Amtsvogt.

Er suchte vielmehr, um seinem erfreuten
Herzen und zugleich seiner Reue gegen die Tante
Luft zu machen, nach einem Vorwand, den jungen
Menschen auf einige Zeit beiseite zu bringen. Er
gab daher Astor den Auftrag, die betreffende
Rechnung aus der Kanzlei heraufzuholen und im
Gastzimmer nochmals für sich durchzugehen, die
beiden Schreiber drunten aber ja nichts merken
zu lassen, daß er, Astor, den Fehler entdeckt
habe. Nättelchen aber bat er, eine Flasche Rotwein
und etwas kalte Küche hierher und desgleichen
für den Gast in dessen Stube besorgen
zu lassen. Natalie und Astor gingen. Der Amtsvogt
aber winkte der Tante, die auch fort wollte,
zu bleiben. Er ging in freudiger Aufregung mehr-


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