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Die Markgrafschaft

InS neue Land / Aus J. J. Astors Lehrjahren

7. Fortsetzung. Von Herrmann Albrecht

Sambugas nach Italien heimwehkranke Seele
gesundete allmählich im Hause seines mütterlichen
Oheims, des Dekans Gerssi zu Helmsheim. Dort
predigte Sambuga nicht nur, las nicht nur die
Messe, hielt auch Kinderlehre und besuchte
Kranke, sondern er studierte weiter, zeichnete,
malte, strich die Violine, machte Verse, pflegte
Blumen und Vögel und forschte nach Talenten
unter den Knaben des Dorfes und der Umgebung.
Manch einer hatte es ihm zu danken, daß er statt
der Pflugschar den Hirtenstab des Evangeliums
zu führen bekam. Im Jahre 1778 erhielt Sambuga
einen Ruf als Stadtkaplan nach Mannheim. Seine
Gottesdienste waren bald die bestbesuchtesten,
man fand die Wahrheit des Evangeliums in gewählter
, edler Sprache, man spürte den feingebildeten
Mann und dabei doch innig frommen
überzeugungstreuen Jünger seines Meisters. So
kam es, daß er bald zum Hofprediger ernannt
wurde.

An dem Tage, an dem die Metamorphose
Astors zum Kanzlei-Inspizienten vor sich gegangen
war, machte Sambuga mit seinem Neckar-
geracher Amtsbruder einen Spaziergang auf dem
Neckarsträßlein gen Zwingenberg. Ein frisches,
kühles Lüftchen strich dem Tal entlang, und die
gefiederten Waldsänger musizierten von allen
Bäumen und aus allen Büschen um die Wette.

Sambuga, ein angehender Dreißiger, war eine
Prälatenfigur, ein schöner, stattlicher Mann; seine
Stirn war hoch, mit den beiden sanften Vorsprüngen
über den Augenbrauen, welche die
Künstleranlage andeuten, etwas scharf gebogener
Nase, seelenvollen Augen, von innerer Glut
durchleuchtet, einem feinen Mund und weichem
Kinn. Er trug die eigenen dunklen Haare etwas
gepudert und in einen Haarbeutel geschlungen,
lange Sutane, schwarze Weste und Kniehosen,
seidene Strümpfe und Schnallenschuhe, den Hut
in der einen, den Stock mit Silberknopf in der
andern Hand. Alles an ihm war fein und sauber,
wie es einem Hofprediger ziemt.

Sein Begleiter, der Ortspfarrer, ist kurz geschildert
, wenn wir uns von dem allen das Gegenteil
vorstellen: eckige Stirn, helle, klare graue
Augen, ein kugelrundes Gesicht, ansehnliche
Länge bei großer Beleibtheit. Die Kleider waren
nicht ohne Staub, die Weste zeigte reichliche
Schnupftabakspuren, wie es eben an einem Landpfarrer
im Odenwald leicht gefunden werden
kann. Er tritt so seinen Schafen jedenfalls^
menschlich näher, als wenn er immer residenzmäßig
geschniegelt und gebügelt wäre. Puder
brauchte er nicht für seine Haare, denn die er
noch hatte, waren ohnedies weiß. Gegen den
Zopf trug er, seiner Zeit vorauseilend, einen ausgesprochenen
Widerwillen; das sei eine preußische
Erfindung. Doch lag in der ganzen Erscheinung
des alten Herrn so viel Gewinnendes, daß
er neben dem Jüngeren auch zu seinem Recht
kam.

Sambuga wendete sich in einer Gesprächspause
rückwärts, und ließ seine Augen auf der
auch in Trümmern noch schönen Minneburg
haften.

„Ja, lieber Herr Amtsbruder", sagte er, „auch
hier sehen wir, wieviel sich in den letzten zwei,
drei Jahrhunderten geändert hat: Es war eine
Zeit, da gab es noch keine Burgen und die Kaiser
waren der Kirche grimmige Feinde. Und
dann kam eine Zeit, der Kaiser setzte die Päpste
ein und ab, dann wieder setzte der Papst den
Kaiser ab, die Konzilien den Papst und der
Papst die Konzilien. Der fiel und jener stand,
und umgekehrt, aber die Kirche blieb. Ich kann
mir eine Zeit denken, wo die Kirche wohl ein
geistlich Oberhaupt, aber keinen weltlichen
Kirchenkönig mehr hat und das Reich keinen
Kaiser mehr: die Kirche wird doch bestehen,
wenn nur die Schrift stehen bleibt, jenes Evangelium
, welches wir dem geplagten Menschenvolk
in Palast und Hütte predigen sollen".

Der Geracher horchte hoch auf: solche Gedanken
waren ihm auch schon manchmal gekommen
, nur nicht aus Anlaß des alten Gemäuers da
oben, welches er alle Tage verwünschte, denn er
fand, das hohle Gebäu verunziere die ganze
Gegend, und er gab seinen Bauern recht, wenn
sie dasselbe als Steinbruch benutzten. Er schaute
den Hofprediger ein wenig von der Seite an;
Sambuga aber fuhr fort:

„Und sehen Sie, lieber Herr Pfarrer, was dem
heiligen Vater kürzlich zu Wien von Seiten des
Grafen Kaunitz passiert ist, das und noch schlimmeres
kann unsern hohen Herrn, den geistlichen
Kurfürsten, Bischöfen und Prälaten über kurz
oder lang auch widerfahren; aber die Kirche wird
darüber nicht zu Grunde gehen".

„Ich meine", sagte der Pfarrer lächelnd, „daß,
wo wie bei uns in Kurpfalz, im gleichen Raum
nacheinander katholischer und evangelischer Gottesdienst
ist, man den Protestanten das Gottesdiensthalten
doch nicht mehr erschweren kann.
Daß in Österreich etliche dutzend Klöster zuviel
waren, bestreitet wohl auch bei uns kein Mensch
mehr. Das hätte die römische Kurie bedenken
sollen".

„Und ich sage Ihnen, liebster Herr Pfarrer",
fuhr Sambuga lebhafter fort, „ich war zweimal
in meiner Heimat Italien, — denn ich betrachte
es immer noch als meine Heimat, wenn ich auch
in Walldorf geboren bin — in Rom und besonders
in Toskana hat man über die Tat Clemens
des XIV. gejubelt. Es ist dort viel reinere Luft,
als vor 73; man hatte eben den Bogen zu straff
gespannt".

„Das sollte doch die Tante hören", sagte der
Pfarrer; er selbst hatte allerlei solche Gedanken
in petto, äußerte sie aber nicht einmal von seiner
Schwester, denn diese wäre darüber erschrocken.
Nur bei der „Tante" sprach er sich bisweilen aus,


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