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Die Markgrafschaft
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gesunde Kraft zur Selbstkritik, daß er entschlossen
ist, dem Hebeltag eine andere Form zu geben,
wenn die bisherige Form den Zielen des Bundes
nicht mehr dient oder ihnen abträglich ist.
Am ernstesten zu nehmen sind diejenigen
Gegner des Hebeltages und Umzuges, die in der
Inflation der äußeren Mittel und Aufwendungen
im Aufgemachten, Organisierten überhaupt,
Hindernis und Ballast des Geistes sehen, den sie
allein betont und dem sie allein an einem Feste
gedient sehen möchten. Diese Männer und
Frauen sind „der letzte Rest Gottes unter den
Menschen" oder — wie wir sie lieber nennen
würden — der erste Vortrupp derer, die im Ekel
und Überdruß am Wust der Materie dem Geist,
der Menschlichkeit eine neue stille Heimstätte
bereiten möchten. Diese Gegner behandelt der
Hebelbund mit besonderer Zartheit und Auszeichnung
: — denn sie sind seine besten Mitglieder
von morgen. „Im Geist ist Heil".
Vom alemannischen Dichter zum Kalendermann
Wir haben im FebruarhefJ; bereits darüber
berichtet, wie im Frühjahr 1802 bei Hebel der
Quell der alemannischen Dichtkunst versiegt zu
sein scheint, und nun Hebel daran denkt, sich
einen Verleger für seine alemannischen Lieder
zu suchen. Dabei verfällt er auf Basel und wendet
sich zuerst an den dortigen Buchdrucker
Haas, erlebt aber eine Enttäuschung, denn Haas
verlegt nicht selbst, sondern druckt nur.
„Dunderschieß, hani's nit gsait, daß der Haas
keini Eier leit", schreibt Hebel scherzend um die
Osterzeit 1802 an den Vogt Günttert in Weil.
Seinen Freund Zenoides in Rötteln fordert er in
einem sehr aufschlußreichen Brief vom April 1802
auf, doch nach der anstrengenden Arbeit der
Osterfeiertage einen Spaziergang nach Basel zu
machen und, bewaffnet mit den nötigen Unterlagen
, bei dem Buchhändler Samuel Flick anzuklopfen
. Höchst amüsant ist, welche Instruktionen
Hebel dem Friedrich Wilhelm Hitzig mit auf
den Weg gibt, die auf Hebel als einen gewiegten
Geschäftsmann schließen lassen. Er schreibt:
„Stelle dem Buchhändler die Lockfalle. Das heißt:
du übergibst ihm denselben Bogen (einige Probegedichte
) und beobachtest ihn, während er liest,
besonders die Bewegung der Muskeln um Mund
und Nase. —
Dann kommt's auf die Hauptsache an. Was
bietet er für den Bogen gedruckt? —1 Bietet er
in einem oder dem anderen Fall weniger als ein
Louisdor auf den Bogen, so brichst du ab, und
sagst ihm, daß ich's eher umsonst werde drucken
lassen, aber nicht bei ihm, denn ich sey gar nicht
aufs Geld erpicht und arbeite bloß aus Lieb-
haberey. Bietet er aber ein Louisdor oder drüber
soviel er will, so sagst du ihm, daß ich's, so wie
du mich kennst, schwerlich darum tun werde,
denn ich sei verteufelt interessiert, und ich will
es, wenn du gerne magst, ohne es dir gerade
zuzumuthen, deinem eigenen Augenmaß überlassen
, ihm ein höheres Gebot nach der Stimmung
, die du an ihm bemerkest, zu proponieren".
in diesem gleichen Brief deutet aber auch
Hebel zum ersten Mal an, daß er mit einer neuen
Arbeit beauftragt sei: ,,Brauer macht mich mit
Gewalt zum Schriftsteller. Ich habe jetzt mit
Professor Böckmann den Landkalender zu befrachten
; wird etwas Schönes werden. Ich propo-
nierte geschmackvolle Nachahmung des Hinkenden
Bott: Geschichte der neuesten'Jahre, Chronikenartikel
etc., populär-ätsthetisch und moralisch
fruchtbar vorgetragen, mit niedlichen Holzschnitten
. Aber es hilft nichts. Das Consistorium schreibt
vor, und viele Köche versalzen den Brei".
Der Kalendermann fängt also damit sein
Werk an, und er hat sich durchgesetzt und sich
den Brei von den vielen Köchen nicht versalzen
lassen, sondern den Kalender so gestaltet, daß er
bald freundlichen Eingang fand und gerne gelesen
wurde. Diese Arbeit hat ihn ja dann 12 Jahre
lang in Anspruch genommen, besonders seit ihm
im Jahre 1807 dann die Hauptschriftleitung des
Kalenders übertragen wurde. Schließlich hat ihm
aber eine ungerechtfertigte Kritik im Jahre 1814
die Freude daran versalzen, aber noch 1819 finden
wir im „Rheinländischen Hausfreund" Beiträge
aus seiner Feder. Und als dieser „Rheinländische
Hausfreund" ist er einem viel weiteren
Kreise bekannt und eher berühmt geworden als
mit seinem Erstlingswerk, den alemannischen
Gedichten. Denn die Markgräfler haben sich
offenbar sehr zurückhaltend gegen diese Dichtung
in ihrer Mundart benommen und anscheinend
nicht viel davon gehalten, auch dann noch
nicht, als Hebel durch diese Kinder seiner alemannischen
Muse bereits in der literarischen
Welt anerkannt war. In meiner Familie hat sich
eine mündliche Überlieferung erhalten. Meine
Ururgroßmutter war das Annemeili Flury vom
,, Ochsen" in Lörrach, der Stamm Wirtschaft
Hebels in seinen Vikars jähren. Dieses Annemeili,
das dann eine Frau Krafft in Fahrnau wurde,
hat Hebel in seinem „Morgenstern" verewigt,
und der Dichter wollte ihr mit der Dedikation
eines Gedichtbandes eine besondere Freude machen
und rief ihm gelegentlich eines Besuches in
Fahrnau entgegen: „Annemeili, i ha der öbbis",
worauf das Annemeili nur die skeptische Antwort
hatte: „Das wird öbbis Rechts sii".
Wir wissen heute, daß es nicht nur „öbbis
Rechts", sondern etwas vom Vollkommensten
und Schönsten ist, was Dichter in Mundart geschaffen
haben. Wieder und wieder lernen's
unsere Kinder, und der Reichtum dieser alemannischen
Lieder wird nie ausgeschöpft werden.
Wir Markgräfler haben hier etwas nachzuholen:
daß Hebel in noch viel stärkerem Maße und
tieferem Sinne unser Hausfreund werde. Ein
Schweizer erzählte einmal auf dem ,Hebelmähli',
daß sein Vater alle Alt jähr abend seiner Familie
Hebels „Vergänglichkeit" vorgelesen habe. Das
ist etwas vom Hausfreund, wie wir ihn uns denken
und unsern Markgräflern wünschen.
Richard Nutzinger.
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