Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1952-06/0013
Die Markgrafschaft

11

Wenn Nättelchen sein werden könnte, so
wäre es schon der Mühe wert, ein paar Jahre
recht fleißig in der Kanzlei zu arbeiten, und
dann als in Aussicht genommener Mosbacher
oder Eberbacher Amtskeller mit der Bitte um
die Hand der Tochter vor den Amtsvogt zu
treten.

Astor überflog auf dem geflügelten Rößlein
Fortuna jetzt schon alle Berge und Täler, die
noch auf seinem Weg lagen, und trieb sich noch
länger, in frohe und wirre Träume verloren, im
Wald umher. In seinem Herzen war ein Konzert,
schöner als das der Vögel im Buchenwald.

Als er heimkam, begegnete ihm Natalie, die
eben aus dem Burggärtchen kam und sich einen
Blumenstrauß für den Kirchgang gepflückt hatte.
Sie war schon in voller Sonntagstoilette, und als
sie hörte, wo er gewesen, machte sie ihm die
liebenswürdigsten Vorwürfe, daß er ihr gestern
abend nichts von seinem Vorhaben gesagt habe,
einen Morgenspaziergang zu machen. Da wäre
sie doch gern auch mitgegangen. Am nächsten
Sonntag oder an einem schönen Werktagmorgen
müsse er mit i h r gehen; denn das habe sie noch
in allen Büchern gelesen: ein Spaziergang im
Wald gehöre zum Allerschönsten, was man sich
denken könne. Nur sei leider die Gegend um
Zwingenberg zu buckelig; sie liebe das Bergsteigen
nicht, man werde zu müde. Da müsse
halt der Jean die Kutsche anspannen und sie im
Wald herumführen. Dabei steckte sie ihm eine
schöne Rosenknospe in den Brustumschlag seines
Frackes.

„Sie gehen doch auch mit zum heutigen Hochamt
?", fragte sie; „der Herr Hofkaplan zelebriert,
es und wird auch predigen. Wir müssen aber beizeiten
nach Gerach, denn heute wird die Kirche
sehr voll".

Astor hatte sich fest vorgenommen, am Trini- *
tatisfest dem reformierten Gottesdienst anzuwohnen
; aber die Verehrung, die er besonders
seit dem letzten Mittwoch für seinen Landsmann
, den Mannheimer Hofprediger hegte, und
die Neugier, denselben einmal predigen zu hören,
überwog doch bald in ihm. Eine solche Predigt
war schon einmal einen Gang in die katholische
Kirche wert. Es kostete daher keinen allzu großen
Kampf, in die Bitte des liebenswürdigen
Kindes zu willigen. So machte Astor denn nach
einer halben Stunde den Kirchgang mit der
Familie des Amtsvogts, welcher eine ungemessene
Freude an dem jungen Mann hatte, und auf
dessen Gescheitheit und Gewandtheit er auch
seinerseits allerhand Schlösser baute, nur freilich
keins, in welchem Astor und Nättelchen
miteinander Platz gehabt hätten.

Sambuga's Predigt war aber auch wirklich
den Gang wert, und es ist fraglich, ob der
Zwingenberger Incipient bei seinem Seelsorger
, dem reformierten Pfarrer zu Gerach, eine
gleiche zu hören bekommen hätte: es war eine
rechte Trinitatispredigt, voll Geist und Leben,
über den Schluß des Matthäusevangeliums: Mir
ist gegeben alle Gewalt. Sambuga pries in wundervoller
, klassischer und doch bibelmäßiger

Sprache die siegende Macht über alle Hemmnisse
geistiger und leiblicher Art, über die Herzen
aller Menschen, die wunderbare Gewalt des
Geistes Christi, der sich zuletzt doch alles werde
beugen müssen, ob willig oder nicht.

Herr von Erlenbaum hatte Jakob fest im
Auge. Er achtete mehr auf das erstaunte Gesicht
seines Incipienten, welchem man die tiefe Ergriffenheit
wohl ansehen konnte, als auf den Gedankengang
des Predigers, und es war, als
wollte der Amtsvogt, der sich mehrmals stolz
emporreckte, dem Incipienten zurufen: Gelt,
Männchen, so können's die Eurigen nicht, so habt
ihr keinen!

Herr von Erlenbaum ging gleich nach dem
Gottesdienst in die Sakristei, um dem Hofkaplan
die Hand zu drücken und denselben samt dem
Ortspfarrer auf das Schloß zum Mittagessen einzuladen
. Es half alles nichts, Sambuga mußte
zusagen.

Als der Hofprediger mit den Kirchgängern
ins Dorf Zwingenberg kam, gewahrte Astor zu
seiner großen Verwunderung schon von weitem
vor dem Gasthaus „Zum Schiff" ein Fuhrwerk,
von dem er tausend gegen eins gewettet hätte,
es sei dasjenige seines gewesenen Meisters, des
Herrn Bender vom Insultheimerhof. Benders
Bernerwägelchen kannte ja in Walldorf jedes
Kind auf der Gasse. Als aber die Gesellschaft an
dem gepflasterten Schloßweg angekommen war,
da standen droben etwa auf halbem Wege, an
der Brüstung der gewaltigen Böschungsmauer
anlehnend, zwei Gestalten, über deren Ähnlichkeit
mit seinem Großvater und Herrn Bender
Astor keinen Augenblick im Zweifel sein konnte.
Sein Herz fing an, mächtig zu hämmern, nicht
wegen des steilen Anstiegs, auch nicht aus
Freude; nein, alles was der Hofprediger eben so
sieghaft gesprochen hatte über die Gewalt Jesu,
zu binden und zu lösen, und wie Christus müsse
die Freiheit geben, eins zu tun und das andere
zu lassen — das drückte jetzt zentnerschwer auf
Jakobs Seele. Für ihn bedeutete der Großvater
mehr als Petrus mit seinen zwei Schlüsseln. Wie
der Kirchenschaffner gerade heute daherkomme,
diese Frage durchfuhr den Incipienten wie ein
Blitzschlag. Wie sollte er dem sicherlich schwer
Erzürnten ganz in kurzem klar machen, auf
welche Art er zu den neumodischen Kleidern,
zu seinem Zöpflein und heute in die katholische
Kirche gekommen sei? Sein Brief war gewiß
noch nicht in Walldorf angekommen. Und der
gute Herr Bender? Wie mochte der bös sein, daß
ihn der kaum gedingte Schafknecht so schnell
wieder verlassen, ja, ihm den Akkord gebrochen
und einen einträglicheren Unterschlupf gesucht?

Jakob getraute sich kaum, die Augen aufzuschlagen
, und kam sich in seinem feinen, blauen
Frack und dem Zöpflein im Nacken so ärmlich
vor gegenüber dem stolzen alten Bauersmann
mit dem großen Dreispitzhut und dem rauhen,
schwarzen Halbleinenrock, daß er viel darum
gegeben hätte, wenn er schnell und ungesehen
wieder in sein abgelegtes blaues Schäferhemd
hätte schlüpfen können.


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1952-06/0013