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Die Markgrafschaft
Der Hamster-Rolli
In den Hunger jähren nach dem letzten Krieg
machte sich eines morgens eine Arbeiterfrau aus
Lörrach auf, um für ihre Familie wieder Lebensmittel
einzuhamstern. Sie packte also auf ihren
„Chaltebach-Rolli" als Eintauschware ein Stück
Stoff, das ihr Mann als Arbeitslohn erhalten
hatte, setzte ihre beiden kleinen Kinder drauf,
das vierjährige Trudi und den zweijährigen
Seppli, und marschierte los dem Kandertal zu
über die Lücke. Alldort war ein Polizist postiert,
der ihr Gefährt mit mißtrauischem Blick
musterte, es aber passieren ließ. Nun gings durch
die Dörfer das Tal hinauf bis nach Hammerstein,
denn es war ein geflügeltes Wort geworden: Mer
göhn go Hammerste go hamstere! Ja, man hatte
diesem kleinen Dörflein des Kandertals den
hochtrabenden Namen „Hamsterdam" gegeben.
Und es ging unserer Arbeitersfrau nicht so wie
dem schwäbischen Handwerksburschen in Hebels
Erzählung in Amsterdam, daß sie bei den
Bauersleuten mit einem kalten Kannitverstan
abgetan wurde, zumal ihr Zustand unverkennbar
darauf schließen ließ, daß sie wieder ein Kind
erwartete. Mitleidige Menschen gaben ihr da ein
paar „Grumbiire" und dort ein Hämpfeli Mehl
ins Säckchen oder den beiden Kleinen ein Stück
Brot in die Händchen. Sie brauchte heute nicht
einmal ihren Stoff dafür einzuhandeln. So zog
sie am Nachmittag hocherfreut und mit belade-
nem Rolli wieder heimzu. Unterwegs fiel ihr
jedoch der Polizist auf der Lücke wieder ein, und
sie hielt es für geratener, durch den Wald auf
die Hohe Straße zuzudenken. Diese Waldwege
waren nun freilich böser zu befahren und die
Heimfahrt gestaltete sich dementsprechend langsamer
und schwieriger. Da auch ihre beiden Kinder
Arm in Arm eingeschlafen waren auf dem
Kartoffel- und Mehlsäckchen, mußte sie ihr
Gefährt recht behutsam lenken. Endlich war sie
dann über das Röttier Schloß wieder ins Wiesental
gekommen, und hier setzte sie sich nun neben
ihre Kinder nieder, um ein wenig auszuruhen.
Aber die Abendkühle und die schon langsam
einbrechende Nacht zwang sie bald, ihren Heimweg
wieder fortzusetzen. Auf der geteerten
Straße knarrte und giekste und holperte der
Rolli mit seinem bekannten „Ratetä, ratetä", daß
es weithin durch die abendliche Stille der Landschaft
zu hören war. Als sie eben an der Tum-
ringer Wiesenbrücke anlangte, schallte ihr mit
einem Mal ein vernehmliches „Halt!" entgegen,
und vor ihr stand ein Polizist, der sie gestreng
fragte, was sie auf dem Wägelchen habe. „He,
halt miini Chinder un öbbis zuem Esse für sie",
gab sie scheinbar gleichmütig, aber doch klopfenden
Herzens zur Antwort. Der Polizist erklärte
ihr kurz und bündig, das Hamstern sei verboten
und diese Lebensmittel müßten beschlagnahmt
werden. Auch auf ihre dringende Bitte, er möchte
sich doch „verbarmen" und ihr die paar Sachen
lassen und dafür den Stoff annehmen, ging er
nicht ein mit der Erklärung, das sei Beamtenbestechung
. Da setzte sich die arme, enttäuschte
Mutter, die kurz vor dem Ziel ihrer strapaziösen
Fahrt nun alles so Lebenswichtige wieder hergeben
sollte, auf das Gefährt neben ihre schlafenden
Kinder und weinte — und es war ein
recht herzergreifendes Bild, das auch den strengen
Polizisten nicht ungerührt ließ. Er zögerte einen
Augenblick und dachte wohl an die eigene Frau
und Kinder und daran, daß er ja übermorgen an
seinem dienstfreien Tag selbst werde solch eine
Hamsterfahrt unternehmen müssen. In dieser
Minute des Schweigens aber hörte er, wie wieder
solch ein Rolli daher ratterte, ja, er vernahm
deutlich, wie aus allen Richtungen diese Fahrzeuge
näherkamen. Vor solch drohender Übermacht
wich der Amtsgewaltige und sagte der
Frau, sie solle für heute ihres Weges weiterziehen
; er selber trat aber mehr ins Dunkel und
ließ unbehelligt alles passieren, was da in langem
Zug an ihm vorbeiratterte. Endlich war die
Karawane der Rolli bei ihm durchgezogen und
das harte Ratetä, Ratetä verklang in der Ferne
und hörte sich jetzt weich und mild an, als hieße
es: Dankeschön! Dankeschön!
Richard Nutzinger
Leser schreiben uns:
Berlin, den 28. April 1952
Ein freundlicher Zufall hat uns die Nr. 10, 3. Jahrgang
, vom Oktober 1951 nachträglich in unser Heim
geweht. Mit tiefer Rührung haben wir den warmherzigen
Nachruf gelesen, der unserem treuen Freund Hermann
Engler gewidmet war. Wie viele schöne Stunden haben
wir mit ihm einstmals in der Heimat und später hier
an Berlin verlebt. Nach seiner Übersiedlung nach Lohr
waren wir mit ihm durch einen fröhlichen Schriftwechsel
verbunden. Es kamen wenige Briefe, die nicht
ein nettes Gelegenheitsgedicht enthielten. In einem seiner
letzten Briefe schrieb er:
Ja, liebe Freunde, mit zunehmendem Alter muß man
.mit unliebsamen Enttäuschungen rechnen. Eine davon
will ich Euch zu Eurem. Ergötzen erzählen:
Ein noch junges Frauenzimmer
pochte leis an meine Tür.
So was freut bekanntlich immer,
und man kann ja nichts dafür!
Einen großen Blumenscherben
brachte sie voll Herzenstakt,
um mir selben zu vererben,
sorglich in Papier verpackt.
„Blumen", rief ich froh betroffen,
„jetzt, zu dieser Jahreszeit,
wo wir einerseits zwar hoffen,
andrerseits es aber schneit!"
„Dieses weniger, o Meister!",
sprach die holde Gönnerin.
„Nein, ich bringe andre Geister:
Schnittlauch ist es — Vitamin!"
Stumm ergriff ich den Behälter,
und sie lächelte voll List. — —
Ja, so geht es, wenn man älter
und nicht mehr gefährlich ist! —
Dr. E. Hertel
Herausgeber: Hebelbund Lörrach und Müllheim (Baden)
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