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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1952-07/0004
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Die Markgrafschaft

Geh' aus, mein Herz, und suche Freud

Das ist die Überschrift zu einem hübschen
Bild, das wir in der vorliegenden Monatsausgabe
der „Markgrafschaft" veröffentlichen. Daß dieser
Satz und das Bild, das verdeutlicht, was gemeint
ist, auch uns ein Anliegen von Bedeutung ist,
möchten wir hier unterstreichen.

Landauf, landab feiert man, und es werden
viele Freuden auf den bunten Jahrmärkten des
Lebens feilgeboten. Aber die erfahrenen Zeitgenossen
wissen ja nun auch, daß nicht immer
jene Dinge die besten sind, die am lautesten ausgeschrien
werden. Der Geschmack, der von
manchen Festchen mit den stereotypen Vorstandsreden
, den gegenseitigen Ehrungen und
Lobgesängen zurückbleibt, erinnert fatal an denjenigen
, den uns der übermäßige Genuß billiger
Bonbons bereitet.

Wir meinen, es sei der Feste längst genug;
die Freude daran hat sich schon mehr als einmal
kräftig überschlagen.

Ausgehen und Freude suchen ist eine schöne
Sache. Wenn man an einem Sonntag an der
Straße steht und sieht, was und wie da alles im
Begriffe ist, das Herz zur Freude auszuführen,
so wird einem bange über die moderne Metamorphose
dieses Wollens: Von Motorenlärm,
Staub, Benzingestank und Tempo ist die Luft
erfüllt. „Pa ist nichts mehr zu machen; im Zeitalter
der Technik kann man nichts anderes mehr
erwarten", resigniert der Chronist. Gut. Gehen
wir einmal auf die Berge, an irgend einen ruhigen
, schönen Fleck unserer Heimat, sagen wir
an den Nonnenmattweiher, der dort zwischen
Belchen und Blauen eingebettet ein Kleinod der
Natur bildet. In der friedlichen Einsamkeit der
Natur, denken wir, wird uns die Freude zuströmen
, die wir auf dem Rummel der Festplätze
nicht finden, ebenso wenig wie auf den von allen
Motorradteufeln befahrenen Landstraßen oder
in den Wildwest-, Mord- und Totschlagfilmen
unserer amerikanisch-hebräischen Filmfreunde.
Nach einer halben Stunde Aufenthalt an jenem
idyllischen Plätzchen geben wir es auf. Der
König Motor und die Zirkusreiterin Geschrei
beherrschen auch hier das Feld. Geratter und
Hupen, Gekreisch und wilder Samba-Slang übertönen
das Singen der Wälder. Es ist nichts mit
Romantik und so.

Das Herz ausgehen zu lassen, ist problematisch
geworden. Wer jetzt ausgeht, läßt es am
besten zu Hause. Die Statistik der Herzkranken
weist darauf hin.

Unter den wenigen Möglichkeiten, draußen
gute Freude zu finden, nennen wir eine. Sie ist
nur für Fußgänger und führt auf verwachsenen
Pfaden, die von Motorfahrzeugen und Samba-
Mädchen gemieden werden. Wir begegnen dort
selten jemand. Vielleicht hie und da einem alten
Wandervogel mit Rucksack und derben Schuhen.
Die Schuljugend ist inzwischen auch schon längst
mit dem Omnibus einige hundert Kilometer tief
in der Schweiz und bewundert auf dem Parkplatz
in Luzern die neuesten, nickelglänzenden

Amerikanerwagen. Weil der Lehrer morgen
bestimmt einen Aufsatz schreiben läßt, hört der
Sechsklässler noch ein bißchen auf das, was vielleicht
am Sempacher See und an der Teilskapelle
gesagt wird. Das genügt. Zehn Punkte.
Dem Lehrer geben wir aber — konservativ genug
— die alte Note „ungenügend".

„Geh' aus mein Herz und suche Freud", hieß
es einmal. Nach dem Gold der Freude, dem
echten, massiven Gold, nicht dem Katzengold
unserer Zirkusmanege, müssen wir heute tiefer
graben. Das ist sicher, aber ebenso sicher ist
auch, daß es unerschöpflich ist wie die Luft oder
der Himmel oder der unvergängliche Duft einer
Rose. L. B.

Ein alter Wandspruch

Es ist kein erschreckendes Mene-Tekel wie
zur Zeit des Königs Belsazar von Babylon, was
da an einer Wand zum Vorschein kam in meinem
alten Pfarrhaus — da wäre ja wohl auch solche
Gerichtswarnung nicht gerade am Platze — aber
es klang mir doch wie eine heilsame und beherzigenswerte
Mahnung, was ich da in diesen Tagen
zu lesen bekam. Und das kam so. Mein altes
Pfarrhaus, dessen gotische Eingangspforte die
Jahreszahl 1560 trägt, mußte wieder einmal
einer gründlichen Renovierung unterzogen werden
. Und als der Maler eine alte Tapete abriß
und die Tünche dahinter entfernte, wurden da
lateinische Buchstaben sichtbar, und mit Verständnis
und Liebe kratzte der Meister allen
Mörtel weg, bis wir das lateinische Distichon
lesen konnten:

„Vive diu, sed vive Deo, nam vivere mundo
mortis opus; viva est vivere vita Deo"

oder verdolmetscht, wobei freilich die Klangschönheit
verloren geht: „Lebe lange, aber lebe
für Gott; denn der Welt zu leben ist Werk des
Todes; lebendiges Leben bedeutet: Leben für
Gott".

Nun hätte ich natürlich auch gerne gewußt,
wer diesen Sinnspruch an die Wand anbringen
ließ, und es wird wohl zutreffen, daß bereits der
Erbauer des Hauses ihn anfertigen ließ, vielleicht
ihn selbst gefertigt hat. Denn er war ein feiner
Kopf, der damals 20jährige Diakon Johann Jakob
Grynäus aus Bern, der nachmals ein bedeutender
Theologie-Professor geworden ist, um den sich
die Fakultäten in Basel und Heidelberg gestritten
haben und der dann als Münsterpfarrer und
Antistes der Basler Geistlichkeit gestorben und
im Kreuzgang im Münster begraben ist. Seine
Grabtafel — heute noch zu sehen dort an der
Front gegen den Rhein — besagt, daß er 77 Jahre
alt wurde — also das: Lebe lange! hat sich an
ihm bewahrheitet — und rühmt, daß er ein
großer Gottesmann gewesen sei — und also ist
er auch der Aufforderung: Lebe für Gott! treulich
nachgekommen. R. N.


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