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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1952-07/0013
Die Markgrafschaft

11

„... und immer hör idh's rausdhen ..."

Es sind, seit ich in Baia war, schon viele Jahre
verflossen; es liegt so weit zurück wie ein halbvergessener
Traum, und dennoch hör ich in
manchen einsamen Stunden ganz deutlich das
Rauschen und Schäumen des wilden Ariesch im
engen Tal in Siebenbürgen, das Raunen und
Lispeln des Waldes sowie das tieftraurige Lied
der dortigen Motzen: „Muntii nostri aur poarta,
noi cersim din poarta'n poarta" (Unsere Berge
tragen Gold, wir aber ziehen bettelnd von Tor
zu Tor).

Meinen ersten Dienst trat ich in Braia de Ariesch,
einem kleinen Gebirgsdorf am rechten Ufer des
Ariesch, an. Meist kleine Holzhäuser, mit Schindeln
oder Stroh gedeckt, hockten zu beiden Seiten
einer breiten Straße. Hier und dort stand
auch ein altes gemauertes Haus. Wie Ritter im
Troß von Fußgängern nahmen sie sich aus. Am
östlichen Hügel stand die orthodoxe Kirche, aus
der an jedem Sonn- und Feiertag — die Orthodoxen
haben viele Feiertage — frommer Kirchengesang
erscholl und tiefer Glockenklang durch
die kristallklare Luft zitterte. Das Glöckchen des
katholischen Kirchleins aber, dessen weiße
Mauern aus dem Grün der Bäume des alten
Parks hervorleuchteten, schwieg die ganze Zeit
des Jahres. Nur einmal im Jahre, zu Allerseelen,
klagte es leise und traurig. Warum? Wonach?
Vergänglichkeit der Dinge?

Ich wohnte bei Frau Mihok, einer resoluten
Ungarin, die für mein leibliches Wohl sorgte,
aber auch an sich dachte, was schon ihr enormer
Körperumfang bewies. Sie bezog bei einer sehr
alten Frau frisches Tafelobst. Eines Tages, es war
an einem Donnerstag, und meine Hauswirtin war
nicht daheim, klopfte es ganz leise und zaghaft
an meiner Tür. Ich öffnete sie, und da stand vor
mir das alte, verhutzelte Weiblein, die Obstfrau.
Das erste Mal standen wir uns gegenüber. „Ich
bringe Obst", sagte sie, „aber die Hausfrau ist
nicht daheim". Ich bat sie, in meinem Zimmer
auf die Hauswirtin zu warten, die bald kommen
sollte. Sie trat ein. Diese Frau war keine Durchschnittsperson
aus der Gegend. Sie mußte einst
groß gewesen sein; jetzt war sie vom hohen Alter
tief gebeugt. Ihre Kleidung war zwar die aller
Bauernfrauen der einheimischen Bevölkerung.
Dennoch war sie, obwohl es kein Feiertag war,
reinlicher angezogen. Ihr Hemd, das sie als Bluse
trug, war nicht nur sorgsamer ausgenäht, sondern
auch blendend weiß und aus feinerem Leinen
. Nachdem sie sich auf den angebotenen Stuhl
gesetzt, betrachtete sie mich kurze Zeit und
fragte dann, ob es mich beleidige, wenn sie einiges
fragen würde. „Nein, bunica (Großmütterchen
), fragen Sie nur!" „Sind der Herr Deutscher
?" „Ja, ich bin Deutscher. Warum fragen
Sie mich das, bunica?" — „Weil..., weil ich
auch Deutsche bin. Ich kann zwar nicht deutsch
sprechen, bin aber Deutsche". — „Wieso, können
Sie denn kein Wort mehr?" „Doch!" und da
faltet die Alte die Hände und, ihre Blicke auf die

Ikone an der Wand gerichtet, spricht sie leise:
„Vater unser, der du bist im Himmel..."

Während ihre Lippen zitternd das Gebet
stammeln, fließen aus ihren blauen, müden
Augen Tränen und nehmen ihren Weg in die
tiefen Furchen ihres Gesichts. Die Worte sind zum
Teil unvollständig — ich glaube, sie spricht sie
wie ein kleines Kind, ohne jedes Wort zu verstehen
.

Sie beendet das Gebet. Lange schweigen wir.
Ich kann nicht sprechen, denn ein Knoten steckt

mir im Halse. Kein Gebet hat mich je so tief
ergriffen, wie das dieser unvollkommenen Worte.

„Wie und wann sind Sie in die Berge gekommen
, bunica?" „Wann? Vor 150 Jahren oder
mehr; fragen Sie die Steine, die Gräber, die
werden sprechen. Ich sehe, der Herr versteht
mich nicht so recht, ich werde erzählen. Ich war
noch klein, konnte aber schon das „Vaterunser",
das mich meine Mutter lehrte, als mir die Großmutter
von unseren Ahnen erzählte. Schon ihre
Eltern waren in Baia de Ariesch geboren, aber
diesen Ort nannten sie damals Offenburg.
Hier gruben sie nach Gold, hier bearbeiteten sie


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