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Die Markgrafschaft
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Hebels „Frau Meville,
Lange hat man hin und her gefragt, welcher
„Frau Meville" Johann Peter Hebel sein berühmtes
Lied „Erinnerung an Basel" zugeeignet
habe, wer die liebi, bravi Frau „dort ussen au"
z'Basel an sim Rhi gewesen sei.
Vor rund fünfzig Jahren hat Albert Geßler
(Basler Jahrbuch 1899) die Frage beantwortet.
Er berichtet, wie er in einer Hebelausgabe, die
im Besitze des Pfarrherrn J. J. Miville - Miville
gewesen war, einen Zettel mit folgender Aufschrift
gefunden habe: „Sie war die Frau des
Seidenfärbers St. Johannsvorstadt, letztes Haus
links, beim Gottesacker — gegenüber konnte man
an den Rhein in das Entenloch die Seide auszuschwenken
".
Mit Recht zweifelten die späteren Hebelforscher
Altwegg und Liebrich nicht an der Wahrheit
dieser Notiz, da auch das Miville'sche Familienbüchlein
(dessen jetziger Standort dem
Schreiber leider nicht bekannt ist) die Frau des
Seidenfärbers Achilles Miville als „eine ihres
Geschlechts seltene, kluge, schöne und geschickte
Frau" schildert.
In seinem letzten Buch (Vom alten Basel und
seinen Gästen) hat Daniel Burckhardt-Werthe-
mann wieder eine andere Frau Meville vorgeschlagen
. Ihm schienen allgemein lobenswerte
Charaktereigenschaften nicht genug, um von
einem Dichter besungen zu werden, und so
suchte er nach einer Frau, die durch eine besondere
Tat Hebels Anerkennung sollte gefunden
haben. Er dachte an Maria Magdalena Miville-
Lotz, die Witwe des anderen Seidenfärbers,
Johann Jakob Miville, die einst einen halberfrorenen
, schwerkranken, fremden Handwerksburschen
, wie ihren eigenen Sohn, mit aufopfernder
Liebe gepflegt und vor dem Tode errettet hat.
Daniel Burckhardt vergaß aber bei seinem
Vorschlag zwei wesentliche Dinge. Einmal stehen
in der letzten Strophe des Liedes, welche Frau
Miville selbst besingt, die drei Wörtlein „dort
ussen au". Dies außen bedeutet eine bestimmte
örtlichkeit; es ist die letzte Station des Hebel-
schen Spaziergangs vom Münster zur Rheinbrücke
und von da, über Petersplatz und Schanze,
zur St. Johannsvorstadt. Hebel denkt an das
Haus Nr. 2, welches schon dem Schwiegervater
von Frau Achilles Miville-Kolb gehört hatte,
jenes Haus „neben dem kleinen Lottergäßchen,
hinten auf die Schanz stoßend", oder das „letzte
Haus links beim Gottesacker" wie es Pfarrer
Miville-Miville nennt. Hebel hätte sich bestimmt
anders ausgedrückt, wenn er an die Behausung
von Frau Miville - Lötz gedacht hätte. Diese
wohnte nämlich im „Silberberg" an der Utengasse
, also im mindern Basel, jenseits des Rheins.
Zum zweiten vergegenwärtigte sich Daniel
Burckhardt nicht, daß Hebels Gedicht etwa ums
Jahr 1806 entstanden ist — in die Öffentlichkeit
gelangte es allerdings erst durch die Gesamtausgabe
, die 1834, sechs Jahre nach des Dichters
Tod, erschien —. Das Jahr 1806 bedeutete im
Leben von Frau Miville - Lötz nichts Außer-
die gueti Basler Frau"
gewöhnliches. Wohl hatte sie zwei von acht Kindern
verloren, dann war ihr zweiter Sohn Jakob
Christoph zu diesem Zeitpunkt von ihr getrennt,
da er sich in Italien zum Maler ausbildete, doch
lebte sie glücklich mit ihrem Gatten und ihren
übrigen Kindern. Erst zwei Jahre später, 1808,
starb ihr Mann auf einer Geschäftsreise in Budapest
und erst 1811/12 ereignete sich die von
Daniel Burckhardt erzählte Geschichte mit dem
Handwerksburschen.
Ganz anders stand es hingegen um deren
Schwägerin Frau Achilles Miville-Kolb in der
„Sante Hans". Ihr konnte und mußte Hebel zu-
Susanna Maria Miville-Kolb
rufen: „Gunnich Gott e frohe Muet. Nehmich
Gott in treui Huet, liebi Basler Frau". Sie
brauchte nach all ihrem Erlebten frohen Mut
und Gottes Hut. Susanna Maria stammte von
dem aus Mannheim zugezogenen und seit 1760
eingebürgerten Geschlechte Kolb. Ihr Vater,
Johann Christian Kolb-Euler, war Papierfabrikant
im St. Albantal gewesen. Als Oberst hatte
er sich große Verdienste um die Organisation und
Ausbildung der baslerischen Landmiliz erworben
. Weniger durchgreifend zeigte sich Oberstleutnant
Kolb als Kommandant der Basler Truppen
anno 1796. Man hat genügend von jenem
Angriff in der stockdunklen Nacht vom 30. November
zum 1. Dezember gehört, welchen die
Österreicher von neutralem Boden aus auf die
Festung Hüningen unternahmen. Ebenso bekannt
ist der von der französischen Gesandtschaft und
Oberstzunftmeister Ochs forcierte Prozeß gegen
Oberst Kolb, Aidemajor Joh. Paul Kolb, dessen
Sohn, den Obristwachtmeister Merian und den
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