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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1952-09/0003
Die Markgrafschaft

Nr. 9 / 4. Jahrgang

Monatszeitschrift des Hebelbundes

September 1952

„Sürpfle muesch ..

€s ist ein bekanntes Wort, das
viel im Markgräflerland umgeht
, und das ich auch schon
auf Weinkrügen im Glottertal
eingeprägt fand: „Sürpfle
muesch, it suufe!" Es steckt
nämlich hinter dieser beherzigenswerten
Mahnung ein größerer
Ernst und eine tiefere
Wahrheit, als man aufs erste
hören hin meinen möchte.
Schon klangmalerisch ist dies „Sürpfle" so reizvoll
und verdeutlicht besser als das schriftdeutsche
„Schlürfen" sowohl die Bedachtsamkeit
dieses Trinkvorganges, als auch das köstliche und
kennerische Genießen des edlen Getränks, während
dann das plumpe „Suufe" in krassem Kontrast
dazu steht. Es kann ja auch einen rechten
Markgräfler Weinbauern nichts so sehr beleidigen
, als wenn sein Gast den Rebensaft, für den
er fast das ganze Jahr hindurch genug zu schaffen
und zu werchen hat, nur gerade hinunterschwenkt
, als wenn er Bier tränke und gar nicht
auf die Güte des Tropfens achtet. Denn daß man
nach markgräfler Sitte das Glas des Gastes nie
leer werden läßt, sondern immer wieder auffüllt,
bedeutet keineswegs die Aufforderung: Trink
schneller und gieriger, sondern es ist eine Höflichkeitsbezeugung
, die besagt: es ist dir gegunnt,
es reut mich nicht. Vielleicht ist dieser Brauch
gleichzeitig ein Sinnbild dafür, daß nur das gefüllte
Glas der vollen Blume gleicht, die üppig
und duftend und schön dem Gast kredenzt wird.

Es hat mich neulich jemand bei einem frohen
Trunk gefragt, ob ich den Ausspruch Hebels
kenne — und er hat dies: „Sürpfle muesch, nit
suufe" damit gemeint und auf den Dichter selbst
zurückgeführt. Das Wort stammt jedoch nicht
von ihm, aber es könnte in der Tat aus seiner
Feder sein, und er hat danach gelebt und immer
wieder in seiner Dichtung dazu gemahnt. Denn
wenn trinkfeste Stammtischbrüder nach dem
vierten Viertele anfangen, Hebel singend als
ihren Gewährsmann zu zitieren mit dem bekannten
Vers: „Ne Trunk in Ehre, wer wiirs verwehre
?", so ist damit der Dichter ganz gewiß
und durchaus mißverstanden. Denn in selbiger
Strophe heißt es ja, daß selbst der Vogt, der es
doch vermag, nur „sii Schöppli" trinkt und daß
der „Rebesaft" nur das Feiergetränk des Sonntags
darstellt, und auch im „Wegweiser" bringt
nur der Sonntag zum Pfündli Fleisch „ne
„Schöppli Wii derzue". Einer einzigen Arbeitsgruppe
billigt Hebel auch den Trunk während
der Woche zu: im „Schmelzofen" steht das Wort,
das auch an der „Linde" in Hausen zu lesen ist:
„Der Maa am Füür mueß z'trinke haa, wär's no
so tüür".

Und wie es heute für den Wein noch zutrifft,
daß er „tüür" ist, so gilt wohl auch für uns heut-
zeitige Menschen, daß wir in doppelter Beziehung
die Mannen am Feuer sind: am Feuer einer gehetzten
Tätigkeit und am Feuer einer nervenverzehrenden
Leidenschaftlichkeit. Daher liegt die
Gefahr, „z'suufe" und das will heißen: alles in
gierigen Zügen zu genießen und auszukosten, für
viele Menschen unserer Gegenwart sehr nahe,
zumal nach den Jahren der Entbehrung. Der
Becher der Freuden ist den meisten Menschen
wieder voll eingeschenkt. Nun gilt aber für jeden
Genuß die Mahnung: Sürpfle muesch! Denn alles
Schöne und Frohmachende, das uns der Himmel
für unser Erdenleben spendet, kann zum Ekel
werden durch den ungezähmten Genuß, und kann
für uns edel werden, wenn wir es uns in weisem
Maße, in zarten Zügen „zu Gemüte führen". Und
wo könnten wir's eindrücklicher und deutlicher
lernen, dies frohe, dankbare und sittsame Genießen
, als bei Hebel selbst und in seiner Dichtung?
Wie warnt er doch durch die Gestalten des
unseligen Michels im „Karfunkel", oder jenes
Betrunkenen an der Kanderner Straße vernehmlich
genug vor diesem sinnlosen und unwürdigen
Genießen und seinen verheerenden Folgen. Und
beim Tod des Zechers muß er beklagen:

„'s isch schad für siini bsundre Gabe!"

In jener schon angeführten Strophe aus der
Freude in Ehren heißt es in Analogie zum ehrenhaften
Trinken des Menschen: „Trinkt 's Blüemli
nit sii Morgetau?" Das meint er doch damit:
Nicht nächtlicher Rausch, sondern frischer, edler
Morgentau sei jeder Genuß!

Sürpfle muesch, nit suufe!

Richard Nutzinger.

„Ein Narr fragt viel, worauf kein Weiser
antwortet". Das muß zweimal wahr sein. Fürs erste
kann gar wohl der einfältigste Mensch eine Frage tun,
worauf auch der weiseste keinen Bescheid zu geben
weiß. Denn fragen ist leichter als antworten, wie fordern
oft leichter ist als geben, rufen leichter als kommen.
Fürs andere könnte manchmal der Weise wohl eine
Antwort geben, aber er will nicht, weil die Frage einfältig
ist oder wortwitzig, oder weil sie zur Unzeit
kommt. Gar oft erkennt man ohne Mühe den einfältigen
Menschen am fragen und den verständigen am schweigen
. Da heißt es alsdann: Keine Antwort ist
auch eine Antwort. Von dem Doktor Luther
verlangte einst jemand zu wissen, was wohl Gott vor
Erschaffung der Welt die lange, lange Ewigkeit hindurch
getan habe. Dem erwiderte der fromme und
witzige Mann: in einem Birkenwald sei der liebe Gott
gesessen und habe zur Bestrafung für solche Leute,
die unnütze Fragen tun, Ruten geschnitten.

Johann Peter Hebel


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