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Die Markgrafschaft
Nr. 12/4. Jahrgang
Monatszeitschrift des Hebelbundes
Dezember 1952
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99
Eine weihnachtliche Besinnung / Von Richard Nutzinger
Was hat sich doch unser liebes Weihnachtsfest
in den letzten Jahrzehnten für einen Wandel von
besinnlicher Verinnerüchung zu einer grobsinnlichen
Veräußerlichung gefallen lassen müssen!
Man muß sich schon immer einmal wieder Hebels
Gedicht von der „Mutter am Christabend" vornehmen
, um zu sehen, wie schlicht und bescheiden
, aber eben auch dadurch verständnistief im
Erfassen der großen Weihnachtsbotschaft damals
das Fest gefeiert wurde. Die Mutter hängt alle
ihre Gaben für das Kind ans Christbäumchen,
und sie haben dort Platz. Fürs leibliche Wohl ist
gesorgt mit dem „Lebchuechemaa" und ein paar
Zuckerbrötli und mit dem Apfel dazu, der dem
lieben Gott besser geraten ist als dem Zuckerbäcker
seine Ware. Aber zum Ausgleich muß
diesen Süßigkeiten — nach Luthers bekanntem
Ausspruch — die Rute beigegeben werden als
die ernste Mahnerin zur Zucht. Und als weitere
Geschenke, die aber ganz praktischer Natur sind:
Das „Fazenetli", das dann nicht für bittere Reuetränen
benötigt wird, wenn das Kind auch das
Büchlein beherzigt, in dem „schöni Helgeli un
Gibettli" stehen. So ist hier in klugem Maße und
mit mütterlicher Weisheit durch die Gaben wohl
abgewogen, was von menschlicher Voraussetzung
her für das Kind heilsam ist. Das Beste jedoch
teilt Gott selbst zu — und ihm wird Raum genug
gelassen für sein Wirken; hier schließen Anfang
und Ende des Gedichtes sich sinnvoll zusammen:
„Gott git's de Siinen im Schlof" oder wie es in
der dritten Auflage der Gedichte noch deutlicher
heißt: „Gott gunnt's miim Chind im Schlof".
„Der heilig Christ isch hienecht choo, het Chin-
des Fleisch un Bluet aagnoh". — Da tritt die
Mutter ganz still und bescheiden zurück vor
dem Wunder der Inkarnation, das sich ja auch
an dem Büblein, das da liegt „wie ne Grof", vollziehen
kann und — wir dürfen sagen: sich an
dem kleinen Hanspeter in eigenartig schöner
Weise vollzogen hat. Das ist Weihnachten im
schönsten und ursprünglichsten Sinne.
Und was ist heute aus Weihnachten geworden
? Sowohl die Leckergaben für den Mund als
auch und noch mehr die Geschenke sind in vielen
Familien überreich und überflüssig geworden.
Das Schenken, das doch ein Sinnbild des göttlichen
Geschenkes an die Menschen sein soll, hat
keine Beziehung mehr zum Fest selbst. Die
Menschen tun alles — und Gott hat nichts mehr
zu geben; Weihnachten ist eine Angelegenheit
der Schaufenster geworden, Ausstellung, aber
nicht mehr Einstellung. Wir selbst wollen die
Schenkenden sein, die auch auf entsprechenden
Dank warten — im Gegensatz zur „Mutter am
Christabend", die sich über den lieblichen Irrtum
des Kindes freut, daß das „Wiehnechts-
chindli" alles gemacht und gebracht habe. Von
den vielen sogenannten Weihnachtsfeiern der
Vereine, bei denen der Christbaum nur noch als
letztes Wahrzeichen — eigentlich Unwahrzeichen
— der Weihnacht dabeisteht und durch die völlig
beziehungslosen Darbietungen nur noch als
Kitsch wirken muß, wollen wir schon gar nicht
anfangen zu reden.
Wir, die wir Hebel kennen, wollen es jedenfalls
ganz anders halten mit der lieben Weihnacht
. Bei uns fängt sie — wie in seinen Gedichten
— daheim an und vollzieht sich in der
Weihnachtsstube. Da soll es doch um diese Zeit
recht heimelig werden, von hier aus können wir
unsern Kindern etwas mitgeben, was sie durch
ihr ganzes Leben begleitet: eine selige Erinnerung
an die Kindheitsweihnachten. Und als Erinnerung
hat es eben mit dem Innern zu tun. Das
wird umso mehr der Fall sein, je wesensgemäßer
wir das liebe Fest zu feiern wissen. Das aber
bedeutet, daß wir nie uns selbst in den Vordergrund
stellen, auch unsere Kinder nicht, sondern
daß wir uns bescheiden zurückstellen hinter das
Christuskind — und wenn wir „Wiehnechts-
chindli" oder „Christkind" sagen, so wollen wir
doch nur das Kind in der Krippe meinen. Ja,
mir müssen wieder lernen wie jene Mutter bei
Hebel, ganz selbstlos zu schenken und einander
Freude zu machen auch mit kleinen, aber sinnvollen
Gaben, um uns dafür desto reicher beschenken
zu lassen von Gott her und umso tiefer
einzudringen in das Wunder der Weihnacht, vor
dem wir immer nur staunend stehen können und
das wir in seiner Fülle nie ganz begreifen werden
, das sich aber doch immer wieder und
irgendwie an uns und unsern Kindern vollziehen
kann:
„Der heilig Christ isch hienecht cho,
het Chindes Fleisch un Bluet agnoh".
Gott schenke uns Hebelleuten allen solch gesegnetes
Weihnachtsfest.
(jAllen Lesern unseres Blattes die herzlichsten
Wünsdie zum WeihnaStsjest und zum Jahreswechsel
DIE REDAKTION
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