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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1953-03/0003
Die Markgrafschaft

Nr. 3/5. Jahrgang

Monatszeitschrift des Hebelbundes

März 1953

^J^Lckt und <z^>cbatteit

Wer von uns spürt nicht ein glückhaftes Aufleben
in den ersten Strahlen der Frühlingssoniie,
die aus dem zarten Dunstblau des Himmels Tag
für Tag leuchtender auf die erwachende Natur
Wärme und Licht verbreitet? Wer von uns wäre
nicht in jenem Augenblick, da wir für feine
Sekunde im Anwehen eines südlichen Windes
die Gewißheit des Frühlings haben, zuversichtlich
geworden, dem Leben gegenüber offener,
heiterer? Das Unbegreifliche naturhaften Glückes
rührt uns in dieser Sekunde an, die nicht zu
erleben gewiß eine Benachteiligung
bedeutet. Die Sehnsucht
alles Geschaffenen nach
Licht und Wärme ahnt ihre
Erfüllung. Das Traumland unserer
Kindheit steht vor uns
auf, wenn wir jenes zarte
Kind sehen, das über die Wiese
einem gelben Schmetterling
nachläuft und das uralte Spiel
au£ die anmutigste Weise wiederholt
.

So steigt nun die Sonne
höher. Die Knospen öffnen
sich und trinken das Himmelslicht
mehr und mehr in vollen
Zügen. Ein kleiner, brauner
Vogel musiziert in das Lächeln
Gottes, das sich über ihm auftut
wie eine goldene Glocke
aus unendlicher Liebe. Es will
uns scheinen, daß wir dann
den Frühling, das Licht, die
Wärme und den hellen Vogelruf
so recht innen begreifen,
wenn jene Glocke* in uns wiederklingt als ein
Saitenspiel inniger Harmonie, die zu begreifen
weiß, weil sie die Natur umgreift und umfaßt
im Gefühl versöhnender Liebe.

Harmonie ist das Wort, das wir manchmal
vergessen wähnen in den Disharmonien des
Lebens, in den Mißklängen der öffentlichen
Angelegenheiten, in der schrill aufschreienden
Kunst, in den politischen Zänkereien, die einige
Narren „Gespräche" nennen. Harmonie scheint
uns in Stunden persönlicher Niedergeschlagenheit
das Merkmal lang vergangener Zeiten zu
sein. Harmonie auch scheint geradezu verfemt
bei Organen, die dank der Massen und des Zufalles
berufen wurden, unser Leben zu reglementieren
. Bei diesen Organen darf nichts mitklingen
, was nicht aus ihnen selbst kommt. Die
Einstimmigkeit der Meinungen schließt den
wohlklingenden Akkord aus. Die zweite, dritte,

3 bt Dur b' 9Sebe gange
un j>a Dr $rüebltg gfeb;
müb toat'bt br SBmb bur V ©tpfel,
frei tfcb br lefctt 3tpfd,
frei, fret r>o 3}$ un ©ebnee!

3n jebe* fttgt 'e £ebe,
es fueebt (tcb i>au|tg 3Beg;
au '6 pft>ffebol$ tfcb faftt'g —
bt früebltg ebunnt foabrbafttg,
febo maebt er 23lueme stoeg.

3ah)obl, 's mtrb ttneber $rüefcltg!
Dr ©toreb tfcb au febo bo;
un fallt au $'9tacbt no Styffe —
fcörfcb tut, tote b'STCetfe pfiffe:
3*, 3ft, fo, Sit tfcb bo!?

$rt& IBolfeberger

vierte Stimme hat eine andere Tonart. Die Parlamentsdebatten
spielen auf verstimmtem Flügel.

Aber ist nicht eben jetzt die Zeit, da die
vielstimmige harmonische Musik die Tage der
Auferstehung feiert, ist nicht jetzt die Zeit, Herz
und Sinn dieser Harmonie zu öffnen, damit sie
fruchtbar werde im Leben von uns allen.

Das Licht wächst jeden Tag. Wen kann es
wundern, daß dies auch die Schatten tun. Die
Entsprechung ist uns hier verständlich. Etwas

anderes ist es, wenn wir
die Entsprechung dann begreifen
sollen, wenn wir es
mit fremden Interessen zu
tun haben. Die Inflation der
Interessengemeinschaften beweist
das Mißtrauen der
kleineren Masse gegenüber
der größeren. Geschichtsschreiber
und Wirtschaftswissenschaftler
werden zweifellos
das rücksichtslose Aufkommen
der Interessenvertretungen
als ein Merkmal
des 20. Jahrhunderts festhalten
müssen,, wenn sie nachträglich
unsere gegenwärtige
Situation deuten wollen.

Aber vielleicht erliegen wir
hier selbst den disharmonischen
Tendenzen unserer Zeit,
wenn wir beginnen, einseitig
zu polemisieren. Unsere Zeit
hat viele Schatten. Man sollte
es uns indessen nicht als
verdächtigen Opportunismus auslegen, wenn wir
daran erinnern, daß diesen Schatten auch
viel Licht entspricht. Es sind uns bei der auf
Sensation, Nervenkitzel, krimineller Befriedigung
und Massensuggestion eingestellten Druck-
(oder besser Dreck-) erzeugnisse mehr Beispiele
von Schatten, Verworfenheit und Abscheulichkeit
bekannt als jene Zeugnisse, die uns
ins Gewissen rufen, daß menschliche Gesinnung,
Opfer und Hingabe Tugenden sind, die noch
keine historische Angelegenheit wurden. Diese
Zeugnisse zu geben wird jeder von uns in der
Lage sein, wenn wir beginnen, einmal den Nachbarn
da drüben über der Straße zu begreifen,
indem wir ihn umgreifen im Gefühl des Mitschwingens
in der großen Harmonie, die diese
Tage des Vogelrufes und der Schmetterlinge,
des Kinderreigens und der bunten Kreisel ausströmen
, l. b.


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