Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1953-03/0014
12

Die Markgrafschaft

Das Lodb in der Decke / Von Richard Notzinger

Eine neue Geschichte aus einem alten Haus

Ja, wenn diese 400 Jahre alten Mauern meines
Pfarrhauses reden könnten und erzählen
wollten von all den Menschen, die drin gewohnt
und die hier ein- und ausgegangen sind, sie
wüßten wohl manch Heiteres und auch viel
Ernstes zu berichten. Nun sind sie aber so still
und verschwiegen wie die alten Kirchenbücher,
die nur mit trockenen Zahlen und dürren Daten
Geburten, Hochzeiten und Sterbefälle andeuten.
Auch die alten Akten im Basler Staatsarchiv
verraten nicht viel mehr als Kaufverträge und
Namen von Einwohnern, die in Basel während
des 30jährigen Krieges ihre Zuflucht gesucht
haben. Immerhin ist aber auch aus dem Jahre
1597 eine Hexe aus Hauingen erwähnt, auf deren
Schuldkonto man den Tod einer Frau in Wollbach
geschrieben hat. Ob sie daraufhin verbannt
oder verbrannt worden ist, wird nicht berichtet.
Aber wer etwa meint, der Hexenwahn sei mit
dem zu Ende gehenden 16. Jahrhundert ausgetrieben
und die Hexen ein für alle Mal verbrannt
, der befindet sich auf dem Holzweg. Nein,
die treiben noch ein sehr kräftiges Wesen und
Dasein im Aberglauben mancher Menschen von
heute. Und das ist mir einmal folgendermaßen
sehr deutlich zum Bewußtsein gebracht worden.

In meinem Studierzimmer im Untergeschoß
ist in die Holzdecke ein Loch eingesägt, und da
im Lauf der Zeiten immer neue Holzdecken eingezogen
wurden, ohne daß man die alten wegriß,
so ist dies Loch ein ganzer Schacht, der dazu
gedient haben soll, die Wärme des Amtszimmers
in die darüber gelegene Schlafstube zu leiten.
Nim sind diese Zwischenräume in den verschiedenen
Deckenlagen die willkommenen Tummelplätze
der Ratten, und man hat gelegentlich
einer Renovierung der Decke sogar das Skelett
einer Katze dort aufgefunden, die auf Rattenfang
ausgegangen, aber offenbar von der Ubermacht
der Ratten getötet worden war. Denn es
existiert dort eine ganz ansehnliche Rasse von
Ratten, deren eine wir kürzlich gefangen haben,
und sie war nicht viel kleiner als eine Katze
selbst. Nun tollt und tobt das oft da oben über
mir zwischen den Decken wie eine wilde Jagd,
daß es manchem fremden Besucher schon unheimlich
geworden ist beim Aufenthalt in meinem
Amtszimmer. Aber ich habe mich an diese
Hausfreunde gewöhnt und lasse ihnen ihr harmloses
Vergnügen. Heute dient das Loch in der
Decke nur noch dazu, daß ich zum Essen gerufen
werde, und meinem achtjährigen Buben macht
es eine höllische Freude, diesen Auftrag zu übernehmen
und mit Grabesstimme durch den tiefen
Schacht hinabzurufen: ,,Vater, erscheine bei
Tisch!"

Nun hatte ich einmal um die Zeit der Abenddämmerung
und des Nachtessens eines meiner
Sorgenkinder aus der Gemeinde in meinem
Amtszimmer sitzen, einen Gelegenheitstrinker,
der mir fast immer in der Besäufnis die Ehre
seines Besuches gibt. Denn in diesem Zustand

überkommt ihn das heulende Elend und er
fürchtet sich vor der Einsamkeit, in der er in
einer abgelegenen Hütte haust. Vor allem hat er
es dann mit Gespenstern und Hexen zu tun, die
ich ihm austreiben soll, und erzählt mir jedes
Mal, daß jene Hexe von 1597 hier im Pfarrhaus
gewohnt habe, und es sei in meinem Hause überhaupt
nicht geheuer; und er frägt mich, ob mir
diese Hexe nicht auch schon erschienen sei, die
ihn verfolge. Und da diesmal gerade die Ratten
ihr abendliches Spiel über der Decke treiben, so
führt er dies Huschen und Jagen als einen Beweis
für seine Behauptung an. Als ich eben im
besten Fluß bin, ihm seinen Hexewahn auszutreiben
und ihm klarzumachen, daß er ja in
normalem Zustand auch nichts von Hexen halte,
und daß er sich endlich mäßigen solle mit seinem
Konsum an Alkohol, der ihm die Nerven
kaput mache, und solche Wahnvorstellungen vorzaubere
, da höre ich, wie sich der Deckel des
Luftschachts im oberen Schlafzimmer öffnet und
mein Bub recht schauerlich herunterruft: Vater,
erscheine bei Tisch! Dabei entfiel ihm jedoch
diesmal der Deckel und polterte durch den
Schacht herunter, schlug mit Getöse auf einen
Leuchter, der in Scherben zerschlug, und auf
einige Bücher, die mit lautem Krach vom Bücherschrank
auf den Fußboden klatschten. Kurz,
es war schon ein Höllenspektakel, über den ich
im ersten Augenblick auch erschrak, der aber
meinen Besucher von seinem Stuhl auffahren,
jählings erbleichen und noch schneller entfliehen
ließ — und ich vernahm nur noch seine angstvollen
Worte unter der Stubentür: „Was hani
gsait — d'Hex isch choo un het grüeft!" — und
weg war er.

Er kam lange nicht mehr zu mir. Als ich ihn
eines Tages in seiner Hütte aufsuchte, um ihn
über den wahren Zusammenhang jener vermeintlichen
Hexenerscheinung aufzuklären, ließ
er mich gar nicht zu Worte kommen. Denn für
ihn stand seit jener Stunde unverrückbar fest,
daß es im Pfarrhaus nicht mit rechten Dingen
zugehe und daß es da eine Hexe gebe, und das
habe er immer gesagt und besser gewußt als ich,
der Bewohner und Pfarrer. Und seit jener
Schreckensminute habe er aufgehört, sich zu
betrinken, denn jene Mahnung aus dem Loch
— er hatte sie so verstanden — sei ihm doch
zu schauerlich und zu eindrücklich geblieben:
„Satan, erscheine und friß!"

So ist es mir also nicht gelungen, die Hexe
zu bannen und den Teufelswahn auszutreiben,
aber ein Hexenmeister — eigentlich nur ein
kleiner Bub — hat es unwissend doch fertiggebracht
, etwas anderes auszutreiben, nämlich
dem Alten sein sinnloses Saufen.

v__;_>


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1953-03/0014