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Die.Markgrafschaft

S Süfßli I Richard N utzin

ger

Die Lebensschicksale der letzten Zeugin aus Hebels Zeit

(Schluß.)

Hitzig hatte die beste Lust gehabt, nachdem
seine Bitte an Singeisen, doch die unschicklichen
Besuche einzustellen, so gut wie erfolglos war,
die Sophie zu ihrem Vater nach Rötteln zu
schicken, wohin sie ja auch laut Ehescheidungsprotokoll
„verdammt" worden war; aber diese
Überweisung mußte Friedrich Wilhelm darum
unterlassen, weil der Röttier Pfarrherr gerade
in diesen Tagen von einem Schlaganfall betroffen
worden war und hoffnungslos erkrankt
darniederlag. Bald darauf verstarb denn auch
Vater Hitzig, und sein ältester Sohn, der Friedrich
Wilhelm, ward an seiner Statt der Pfarrer
und Seelsorger der Röttier Gemeinde und zog
mit seiner Familie über die Wiese — wie weiland
,,Jakob über den Jabbok", schrieb mit herzlicher
Mitfreude der Parmenideus — in das alte
Pfarrhaus, da einst die Geschwister miteinander
ihre Kindheit und Jugend verbracht hatten.
Diese Gelegenheit seiner Versetzung benützte
der neuernannte Pfarrherr, dem Dr. Singeisenkurzweg
sein Haus zu verbieten und gleichzeitig
das Suffili vor die Entscheidung zu stellen, sein
unerquickliches Verhältnis zum Theobald endgültig
zu lösen oder, wenn es das nicht beabsichtige
, sich dann ein anderes Heimatli zu
suchen. Und die Sophie war nun doch klug
genug, lieber das sichere Dach über ihrem Haupt
beim Bruder zu wählen, als die doch unsicheren
und hinterhältigen Beziehungen zum früheren
Gemahl fortzusetzen.

. Allein schon die erste Weihnacht war für
clie neue Röttier Pfarrfamilie gar traurig; die
Eltern mußten ihre beiden drei- und zweijährigen
Maidlein wieder hergeben. Und als wieder
übers Jahr das Mineli ein totgeborenes Kind
hatte, schlug ihnen die Augusta Maria vor: Ich
bin euch nicht zum Glück, wie ich selbst nur
zum Unglück geboren bin, ihr müßt mich doch
fortschicken aus eurem Haus. Aber Bruder und
Schwägerin merkten wohl, daß dieser Plan nicht
so ernst gemeint, daß aber wohl dies kranke
Frauenherz ernst zu nehmen war und allein
in der liebevollen Familienbetreuung genesen
konnte. Und tatsächlich war auch langsam festzustellen
, daß sich die büßende Maria wieder
mehr und tatkräftiger dem Leben und seinen
Anforderungen und Pflichten zuwandte. Besonders
gerne war sie als Pflegerin von Kindern
und Kranken in der Gemeinde tätig und auch
vielbegehrt, weil die einstige Doktorsfrau sich
doch einiges von damals angeeignet hatte, was
ihr nun zugute kam. Einen nicht unwesentlichen
Anteil an dieser neuen und sie befriedigenden
Wirksamkeit hatten, ohne daß es der Autor
ahnen konnte, die lustig und ernst zugleich
hintereinander hervorquellenden alemannischen
Gedichte, die von Karlsruhe her aus der Feder
des alten Proteuserfreundes Johann Peter Hebel
auf den Flügeln herzlichen Wohlwollens in das
Röttier Pfarrhaus geflogen kamen. Da war es

vor allem eine Dichtung, die so recht der oft
wehmütigen Stimmung des Suffili entsprach
und in ihr verwandte Saiten aufklingen ließ: das
Gespräch von der „Vergänglichkeit44. Sie las es
besonders gern zwischen den alten geborstenen
Mauern des Röttier Schlosses, und sie wußte es
von Hebel selbst, daß dies Gedicht eine Erinnerung
war an den Tod seiner früh dahingegangenen
Mutter; und sie konnte es dem Dichter so
wohl nachfühlen, da sie selbst als erst Neunjährige
ihr Mütterlein verloren hatte; und es
wäre wohl, so mußte sie denken, in ihrem Leben
manches anders gekommen und besser gegangen,
hätte die Mutterliebe ihren Weg länger umhegen
können; denn ach leider, die zweite Mutter
war eben doch mehr nur die strenge Stiefmutter
gewesen, und wie der Ätti da im Zwiegespräch
der Dichtung es dem Bub schildert, so
war ja auch für sie — und das jetzt schon —
Basel ins Grab gesunken; sie sah dann hinüber
zum Kirchlein von Riehen, das über die Dächer
von Lörrach hervorlugte, und gerade daneben
hatte sie einst gewohnt in ihrem ersten, verwöhnten
Glück, das ihr nicht ohne eigene Schuld
zerborsten war — „un möcht jetz nümmi hi",
* sprach sie dann leise mit dem Ätti vor sich hin.
Sie hatte sich nun wirklich auch innerlich ganz
vom Theobald gelöst. Und in dem Gedicht vom
,,Storch" hatte der Parmenideus gar noch ihrer
selbst in ihrem Amt als Krankenwärterin auf
dem Chilft Erwähnung getan:

,,Un 's Nochbers Chind isch sölli schlecht;
mi Gschwei het hienecht binem gwacht,
's het Gichter gha die ganzi Nacht".

So sehr sie sich über diese kleine Anerkennung
gefreut hatte, ließ sie doch den Dichter durch
ihren Bruder bitten, den Vers zu streichen, der
dann auch in der folgenden Ausgabe nicht mehr
zu lesen war.

VI.

„Die Augusta"

Der Storch kehrte nun im folgenden Jahr
wieder im Röttier Pfarrhaus ein und legte dem
kinderlos gewordenen Pfarrerspaar ein Mägdlein
in die Wiege. Bei der Taufe dieses kleinen Mine-
Iis lernten sie einen liebwerten Freund des Friedrich
Wilhelm aus seiner Lörracher Zeit, den
Kleinuhrmacher Johann Kaspar Schöffel, kennen,
der als Pate gebeten worden war. Und der verliebte
sich in die zwar blasser gewordenen, aber
doch immer noch samtenen Pfirsichbäcklein der
Augusta Maria Sophie. Und es währte nur mehr
ein Vierteljahr, da schritten der Kaspar und das
Suffili miteinander an den Traualtar der Röttier
Kirche, wo sie der Friedrich Wilhelm zu einer
harmonischen Ehe einsegnete. Denn dieser Kleinuhrmacher
verstand sich offenbar besser auf den
feinen Schlag und Takt des Frauenherzens als'der
berühmte Doktor zu Riehen und brachte bald


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