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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1953-08/0004
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Die Markgrafschaft

Zur Lage der Kunst von heute

Gedanken zur Gründung einer Ortsgruppe der Hans Thoma - Gesellschaft Frankfurt (Main) in Müllheim

„Ich fordere keinen scharf umfassenden Geist,
keine berechnende, weitausschauende, entschlossene
Kraft von einer großen Seele, es sind
schöne Gaben, aber sie kann ohne dieselben
bestehen. Hingegen fordere ich vom wahren
Menschen jene hohe, große, majestätische Einfalt
, mit der er den Schöpfer und seine
Schöpfung erforscht, anbetet und liebt. Ich fordere
von ihm das Talent, sich an jedem Bach,
an der kleinsten Quelle wie am gestirnten
Himmel unterhalten zu können, nicht gerade
um des Baches, der Quelle und des Himmels,
sondern um des Gefühls der Unendlichkeit und
der Größe willen, das sich daran knüpft. Ich
fordere von ihm die Gabe, aus jeder Wolke
einen Traum ziehen und der sinkenden Sonne,
wenn sie ihr Feuer über den See wirft, einen
Heldengedanken entlocken zu können; aber der
kleinliche, spekulierende, kratzende, spottende,
schikanierende, schmutzige Zeitgeist sei ferne
von ihm, der keinen Menschen in Ruhe lassen
und keines Menschen Würde erkennen kann,
und ferne sei von ihm die Naseweisheit und
die Frechheit des Jahrhunderts. Er sei edel
und einfach, aber einfach mit Geschmack, aus
Achtung seiner selbst und nicht, um andern
zu gefallen". Gottfried Keller.

Am 26. Juni ds. Js. kamen Männer und Frauen
im Rathaussaal zu Müllheim zusammen, um eine
Ortsgruppe der Hans Thoma-Gesellschaft e. V. in
Frankfurt/M. zu gründen. Wenn das 29 Jahre
nach dem Tode des großen badischen Meisters
geschieht, drängt sich die Frage auf: Kommt das
nicht spät, fast zu spät als Ausdruck der Anerkennung
und des Dankes für ein großes, beglückendes
Werk und seinen Schöpfer, der das
Sinnen und Trachten des alemannischen Stammes
ins Allgemeingültige erhoben hat? Zu spät
vielleicht auch in dem Sinne, daß die Zeit mittlerweile
über dieses Schaffen hinaus zu anderen
geistigen Werten fortgeschritten ist?

§ 1 der Satzungen der Hans Thoma-Gesellschaft
sagt: „Die Hans Thoma-Gesellschaft bezweckt
, das Verständnis für das Wesen der
Thoma'schen Kunst- und Denkart zu fördern und
zu vertiefen, alle hierzu geeigneten Maßnahmen
zu unterstützen und in ihren Wirkungskreis nach
Möglichkeit auch die Pflege all der künstlerischen
Bestrebungen einzubeziehen, welche Tho-
ma's Kunst berühren".

Seit rund 30 Jahren hat die Hans Thoma-
Gesellschaft in diesem Sinne Ausstellungen und
Vorträge veranstaltet, das Werk des Künstlers
gedeutet, sein Leben durchforscht, kurz: Kulturarbeit
im besten Sinne geleistet.

Hans Thoma's Gestalt hat — wie auch die
J. P. Hebels — für uns heutige Menschen etwas
Denkmalhaftes, sie ist uns durch ihre Einmaligkeit
, die Reinheit ihres Geistes und die Beseeltheit
des Wesens zu einem Sinnbilde tiefster
Menschlichkeit und im besonderen besten alemannischen
Volkstums geworden. Sein künstlerisches
Schaffen hat nicht nur „den Besten seiner
Zeit genug getan", es wird, da es zuerst aus
dem Herzen und dann erst aus seiner. Zeit kam,

auch kommenden Geschlechtern noch Beglückung
geben und die Herzen wärmen können.

Im Sudetenland gab es seit 1919 eine „Thoma-
runde", die am 12. Juni 1920 unter dem Namen
„Thomabund" eingetragener Verein wurde. Wieviel
Reichtümer aus dem Geiste und der Seele
Hans Thoma's mögen in zwanzigjähriger Vereinsarbeit
in hungrige Herzen getragen worden sein,
wieviel stilles Freuen mag die Not vieler Menschen
durchleuchtet haben? Wer vermag es zu
messen? Der zweite Weltkrieg hat diesem Wirken
ein Ende bereitet, die Austreibung aus der
nordböhmischen Heimat hat die Mitglieder über
ganz Deutschland zerstreut.

Mittlerweile haben Krieg, Technisierung und
ein heilloser Fortschrittsfimmel unser Weltbild
weitgehend verändert. Das Tempo der Entwicklung
hat die Geduld der Herzen verbraucht,
unser Leben nach dem Außen gerichtet, den
Reiz der Sinne an Stelle des Beglücktseins des
Sinnens gesetzt. Wir haben Angst vor unserer
Leere, vor der Langeweile. Wir brauchen Neues,
Neues, Neues. Der Lebensstandard steigt, aber
das Erworbene dient der Bequemlichkeit und
dem Vergnügen.

Der Reiz und das Neue um jeden Preis werden
zu Gottheiten — wir werden Erfinder, unsere
Welt wird zivilisiert. Es ist nur folgerichtig,
wenn die Sucht nach immer Neuem das Leben
selbst beunruhigt und zur Hetzjagd werden läßt.
Man glaubt, die Künstler, Dichter, Verdichter
unseres Weltbildes, die Finder entbehren zu
können; denn man hat Erfinder. Gut oder schlecht
— das ist uninteressant, neu muß unser Leben
sein, die Technik, die Gesellschaftsform und auch
die Kunst. Die alten Maßstäbe darf man wegwerfen
, man kann das Neue damit nicht messen;
man braucht es auch nicht, denn neu ist ein
Qualitätsbegriff ari sich geworden. Die Kunst hat
problematisch zu sein, ist zum Denksport, zur
Gaukelei erniedrigt worden. Wo bleiben Liebe
aus Not und Drang, wo Gläubigkeit und Begnadung
?

Die gereifte, künstlerische Persönlichkeit
wird entthront, man betet Originale
an. Man verzichtet auf Vätererbe und Tradition,
man ist fortschrittlich (wer hat heute noch den
Mut zu behaupten, es nicht zu sein?). Der Respekt
vor der Natur ist überflüssig: Wir sind ja selbst
Natur (daß das gerade der Mensch von heute
entdecken mußte!). Langweilig ist, wer Charakter
hat und seinen Weg geradeaus geht. Das
Publikum will Überraschungen und Sensationen.
Die tiefsten Gefühle, die menschenewig sind,
vermeidet man bildhaft zu machen. Es gilt nur,
die Zeit, unsere Zeit, zu verherrlichen.

„Solange sich einer mit seinem Herzen bespricht
, braucht er keine Angst zu haben. Nur
wenn einer sich mit der Zeit bespricht, ist es
anders. Weil er dann nicht mehr er selbst ist.


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