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Die Markgrafschaft
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Die letzte öffentliche Hinrichtung in Müllheim
Man schrieb den 20. November des Jahres
1838. Müllheim genoß den Frieden eines sonnigen
Spätherbsttages.
Auch in der Familie des Buchbinders Wilhelm
Willin war scheinbar alles in bester Ordnung
. Er war mit seinem Taglöhner Jakob Vetter
am Vormittag mit Arbeiten auf dem Feld beschäftigt
und kam gutgelaunt nach Hause. Um
die Mittagszeit brachte ihm Amtsdiener Weiß
einen bezirksamtlichen Pfändungsbefehl von
einem Buchbinder Geiger aus Lahr in Höhe von
177 Gulden für gelieferte Kalender. Willin bat
den Amtsdiener, noch einen Tag mit dem Auspfänden
zu warten, da er sich am folgenden Tag
durch Postschein ausweisen werde, daß er seinen
Gläubiger befriedigt habe. Außerdem war er
benachrichtigt, daß ihm Nikolaus Blankenborn
einen geliehenen Betrag von 1600 Gulden samt
Zinsen gekündigt hatte. Seine Frau ließ er vollständig
in Unkenntnis der Sachlage.
Auch seinem Freund Friedrich Krauß hatte
er keine Silbe von seiner mißlichen Lage erzählt.
Am Nachmittag ging Willin in die Reben,
kam jedoch bald wieder zurück und besuchte
anschließend seinen Nachbarn, den Seiler Glaubrecht
, welcher tags zuvor aus dem Welschland
zurückgekehrt war. Beide scherzten miteinander,
und nach Aufenthalt von einer halben Stunde
ging Willin wieder seines Weges und erzählte
auch daheim seiner Frau von der Rückkehr des
Glaubrecht und wie sie miteinander gescherzt
hätten. Seine Frau war an jenem Tag mit ihrer
Tochter und Schwester in der Küche mit Waschen
beschäftigt. Und nachdem Willin eine Anzahl
Schnecken, die er aus den Reben mitgebracht
, dort gebraten und gegessen hatte, ging
er hinaus in den Schopf.
Der Tag war indessen verstrichen, ohne daß
Willin durch ein Darlehen oder eine sonstige
Anschaffung seine schwierige Lage verbessert
hätte. Aber der Teufel hatte ihm bereits einen
Rat gegeben, und Willin ging bereits damit um,
diesem Rate nachzukommen.
Inzwischen war es 6 Uhr geworden. Tiefe
Dunkelheit lag schon über den Straßen und
Häusern Müllheims, als sich W., mit einem Messer
bewaffnet, in das kleine Haus in der Vögis-
heimer Vorstadt begab, wo still und zurückgezogen
die Altrößliwirtin Willin mit ihrer Magd
Barbara Träris hauste, und wo eine halbe Stunde
vorher der Dreher Fark, ein Großneffe der
Witwe Willin, mit ihr zu Nacht speiste und eben
das Haus verlassen hatte. Willin sah dies von
seiner Wohnung aus.
Nun glaubte er den richtigen Moment für
seine unselige Tat für gekommen, ging in das
Haus der Witwe Willin, stach zuerst die ihm öffnende
Magd nieder und danach die alte Frau.
Nach seiner Tat verließ er ohne etwas mitzunehmen
das Haus der Ermordeten, und ging in
Richtung Vögisheim davon. Dies wurde von drei
Zeugen beobachtet.
Vier Tage und Nächte trieb sich nun Willin
herum. Am 22. November, gegen 5 Uhr abends,
klopfte er beim Badwirt B. am Fenster seines
Badzimmers und erhielt von diesem Brot und
Wein. Willin war nämlich in der Nacht vom 21.
auf den 22. Dezember in das Badzimmer gestie-
hervor. Alles singt mit, schreit mit und läuft mit. Das
südländische Temperament bricht durch, und seltsam
berührt stehen wir diesem Ungezügeltsein gegenüber.
Mit einem uralten, klapprigen Auto fahren wir am
Nachmittag durch das französische Land, von einem
Dörfchen zum andern. Wie um Schutz zu suchen oder
um ihre armseligen Häuschen den kritischen Blicken
Fremder zu entziehen, schmiegen sie sich an die sanften
Berghänge. Wie einfach leben doch diese Bauern und
doch, welch eine Zufriedenheit spricht aus ihren Worten,
wenn sie stolz von ihrem Wein erzählen, den sie hegen
und pflegen und der sie in der ganzen Welt berühmt
macht.
Erstes Gebot in Frankreich ist reden, reden und noch
einmal reden. Man erzählt, was einem gerade einfällt,
was man sieht, und so weiter. Schweigen ist verpönt.
Selbst bei den Mahlzeiten, die sich meistens zu wahren
Gelagen ausdehnen, wird unaufhörlich gesprochen. Sehr
nützlich, wenn man Französisch lernen soll. Sehr unbequem
und peinlich, wenn man im Gedächtnis nach
Wörtern und Ausdrücken kramen muß.
am 24.6.53
Lyon! Im Nebel liegt die Stadt zu meinen Füßen.
Unheimlich groß und weit ausgedehnt erscheint sie mir
mit ihrem Häusermeer, den Straßen, in denen das Großstadtleben
pulsiert, den vielen Kirchtürmen und den
Brücken, die sich über das silberne Band der Rhone
spannen. Wir besichtigen die gewaltige Kirche von
Fourviere, die uns in ihr Schweigen aufnimmt. Ihre
Steinsäulen und Mauern, die wunderbare Farbenpracht
der bunten Glasfenster und die dunkeln Altarschnitzereien
rufen in uns tiefe Bewunderung und zugleich ein
Gefühl der Demut hervor. Hunderte von Menschen
haben sich hier zum Gebet versammelt, und doch ist es
totenstill um uns.
den 26. 6. 53
Markt in Mäcon! Welch ein Trubel liegt in diesen
wenigen Worten. Vor uns breitet sich ein Bild aus, bunt,
wie es die Palette eines Malers nicht bunter hervorbringen
könnte. Wir armselig erscheint mir dagegen das,
was wir in Deutschland Markt nennen. Hunderte von
Buden stehen dichtgedrängt an den Ufern der Saöne.
Hunderte, nein, Tausende von Menschen hasten und
eilen zwischen den Ständen und kaufen alles, was man
sich nur denken kann. Es gibt wirklich alles, und sogar
spottbillig, wie es die Marktschreier in allen Tonarten
verkünden. Da ist es wieder, das südländische Temperament
, verkörpert in den verwegensten und- absonderlichsten
Gestalten, und wenn wir uns auch manchmal
etwas auf unsere französischen Sprachkenntnisse einbilden
konnten, hier versagen sie vollkommen. Mit
Staunen stellen wir fest, daß unsere französischen
Freunde jetzt in ihrem Element sind. Sie schreien einfach
mit, und ich glaube, wir machten es ebenso, wenn
wir länger hier wären.
am 28. 6. 53
Abschied! Wir sind doch eben erst gekommen! Die
Zeit ist wie im Fluge vergangen. Sie war viel zu kurz.
Und doch hat sie gereicht, um zu zeigen, daß allein der
gute Wille viel zu einer Verständigung zwischen den
Völkern beitragen kann.
Sigrid Kott, Niedereggenen
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