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Die Markgrafschaft
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Die Wundercluelltj
„Der Glaube macht selig", pflegt man ja zu
sagen. Der alte Feldhüter Alois ist sogar davon
überzeugt. Er zieht bedeutungsreich die struppigen
Augsbrauen in die Höhe und sagt: „Es hett
öbbis!"
Der Chronist sagt auch „es hett öbbis!", seit
ihm folgendes wahre Geschichtchen zu Ohren
kam.
Es hat sich wohl schon vom Rhein bis an der
Donau Strand herumgesprochen, daß im Oberrheindorf
Steinenstadt eine Thermalquelle entdeckt
wurde, die regen Zulauf, auch aus der benachbarten
Schweiz, hat.
Kürzlich nun besuchten zwei Mädchen die
Steinenstadter Thermalquelle. Zwar waren sie
in dem beneidenswerten Alter, wo noch keine
der Eile des Aufbruches ganz vergessen hatte,
das Fläschchen mit dem Thermalwasser zu
füllen.
Was tun? An eine Umkehr war angesichts
des kommenden Gewitters nicht zu denken.
Andererseits würde die Großmutter tief enttäuscht
und verärgert sein, wenn man ihre
Wünsche einfach vergaß.
Doch die ältere Freundin wußte Rat. Listvoll
riet sie: „Laß doch das Fläschle hier an der
Röhre vollaufen. Am Ende merkt's die Großmutter
nicht einmal. Mein Vater sagt immer:
Der Glaube macht selig. Paß auf, es klappt!"
Mit einem ausgesprochen schlechten Gewissen
wird der ahnungslosen Oma das Fläschchen
in die Hand gedrückt, und dabei der lobenswerte
Betberg
Gebresten die Menschen zu plagen pflegen; doch
dafür plagte sie die Neugier. Außerdem sollte
die eine aber auch ein Sprudelfläschchen voll
von dem heilkräftigen Wasser für die Großmutter
heimbringen. Mit deren Verdauung war es
nämlich nicht ganz in Ordnung; die Quelle aber
sollte, gerade bei Verdauungsstörungen, einem
on dit zufolge, phantastische Erfolge zeitigen.
Wie es nun so geht mit den jungen Dingern:
sie vertrödelten die Zeit, und als im „Belforter
Loch" gar noch bedrohliche Wolkengebilde aufstiegen
, die ein nahendes Gewitter verkündeten,
bestiegen die Mädchen eilends ihre Räder und
strampelten heimwärts.
Als sie nun, bei der Fahrt durch Schliengen,
an dem schönen Barockbrunnen am Marktplatz
vorüberkamen und das Wasser so einladend
bruschelte, fiel es der einen heiß ein, daß sie in
Foto: Chr. Frenzel, Müllheim
Vorsatz gefaßt, das Versäumte am nächsten Tag
nachzuholen.
Doch siehe da, am andern Morgen verkündet
die Oma strahlend: „Du Lieseli, das Thermalwasser
isch e richtigi Wunderquelle! — Dreimol
bini in der Nacht ufern Hüsli gsi. Des sott me
doch in d'Zitig tue!"
Und da das Lieseli dem Chronisten das Begebnis
brühwarm wiedererzählte, kann der Oma
ja geholfen werden.
Aber eines wundert mich doch: hat da nun
wirklich der Glaube geholfen, oder enthält der
Schliengener Marktbrunnen am Ende doch heilende
Kräfte, von denen bisher niemand etwas
geahnt hat, weil die Schliengener, die ja alle
ihren Wein im Keller haben, nie Gelegenheit
hatten, ihr Brunnenwasser zu erproben.
W. G. S.
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