Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1953-11/0004
2

Die Markgrafschaft

Alte Kunst — Neue Kunst

Es gehört mit zu den erschütterndsten Zeichen
unserer Zeit, daß in aller Primitivität im Bereich
des Künstlerischen zwei Lager entstanden
sind, die als Verfechter sogenannter traditions^
gebundener Kunst beziehungsweise als Avantgardisten
der sogenannten modernen Kunst sich
unversöhnlich g egenüberstehen. Wir haben uns
daran gewöhnt, daß auf politischer Ebene mit
der Ausdauer des Wahnsinnes Dummheiten,
Doktrinen und Schlagworte billigster Art gegeneinander
kämpfen. Wir haben uns sogar daran
gewöhnt, daß wir diese politische ,,Kunst" erst
mit Steuern und dann mit Blut bezahlen müssen,
und wir haben uns derart damit abgefunden, daß

ALLE PHÄNOMENE des Neuen waren von der Entwicklung legitimiert
. Aber als was? Als Momente der Entwicklung! Noch nicht als
Werte. Was ist das sd)on — etwas, das sidh nur eben als »Entwicklung«
geltend macht? Es blieb denn auch die Frage, ob mit der Entwicklung für
dk Kunst wirklich und wabrhaflig etwas gewonnen war, und einem heute
auf die Summe Zurückblickenden drängt sich die schmerzliche Überlegung
auf, ob es nicht allzuofl sich um etwas gehandelt habe, das von Jacob
Burckbardt als »terrible simplifikation« [bezeichnet worden wäre, die
bittere Überlegung, ob man, indem man die »neue Kunst« in ihren mannigfachen
Abwandlungen bejahend hinnahm, nicht jenen primitiven Aberglauben
an einen schlechthin auf das Optimum gerichteten »Fortschritt«
huldigte — jenem Aberglauben, dem man auf anderen Feldern eher mißtraute
.

Wilhelm Hausenstein. Aus »Was bedeutet die moderne Kunst«

wir dies alles hinnehmen als einen ewigen Kreislauf
des Hasses, der Niedertracht und des gewissenlosen
Machtwillens unserer Führer in aller
Well In der Tat, wir sind es gewohnt, jeden
Unfug zu bezahlen, weil weder wir noch irgend
ein anderes Volk unseres Planeten wirksamen
Einfluß auf die großen Spieler hat. Nun aber
hat sich, wie gesagt, im Bereich der' Kunst eine
ähnlich heillose Situation angebahnt, und nun
allerdings sind wir aufgerufen, dies nicht mehr
hinzunehmen.

Wir haben an dieser Stelle verschiedentlich
den Vertretern der Traditionskunst das Wort
gegeben, weil wir meinten, daß die andere Seite
mehr und in bedeutenderen Schriften ihre Anschauung
vertreten hat und vertritt. Um Mißverständnissen
vorzubeugen, müssen wir heute feststellen
, daß damit keineswegs gesagt war, daß
wir etwa den Stil, die Ausdrucksform als
Kriterien für die Qualität ansehen. Wir halten
es für eine wirklich primitive, ja unmögliche
Sache, wenn man glaubt, bei der Beurteilung
einer so absoluten Erscheinung wie der Kunst
zweitrangige, relative Maßstäbe anzulegen, die
zwar für den Kunsthistoriker von Interesse, für
denjenigen aber, der die Kunst erlebt, fast ohne
Bedeutung sind. Mit welcher Leichtfertigkeit
wird heute von beiden Seiten gerichtet und verdammt
! Dabei ist ohne weiteres ersichtlich, daß
dem Vorhandensein beider Richtungen mit den
ungezählten Zwischenstufen eine kulturgeschichtliche
Bedeutung von großem Wert zukommt.
Bei ruhiger Betrachtung würde man sehr
bald erkennen, daß die Entwicklungstendenzen in
der geistesgeschichtlichen Erfahrung als Symptom
des Lebendigen, der heiligen Unruhe, des
dauernden Wandels zü gelten haben, was bedeutet
, daß wir über das Fehlen solcher zu Neuem,
Ungesagten, Ungeschauten drängenden Tendenzen
mehr beunruhigt sein müßten, als wir bei zu
brutalem Bruch mit dem Herkömmlichen manchmal
beunruhigt sind. Dies ist eine Seite des
Problems. Die andere aber ist nicht minder
wichtig und nicht schwieriger zu erkennen. Wenn
die moderne Richtung, die abenteuerliche, revolutionäre
Kunst, den Bruch mit der Tradition,
oder besser gesagt, mit dem, was wir irgendwie
doch als unwandelbare Werte erkannt haben, zu
radikal und bedenkenlos vollzieht, dann liegt die
Gefahr sehr nahe, daß derjenige, der das Abenteuer
aufsucht, darin umkommt. Dies aber bedeutet
, daß wir von Glück sagen können, daß
wir noch Künstler haben, die ihre Bezüge zu der
bisher allgemein anerkannten Mitte unvermindert
aufrecht erhalten. Im übrigen: glauben wir
ja nicht, daß die heute als „moderne Kunst"
geltende Richtung tatsächlich modern sei! Es ist
ein Zeichen von sehr „ungetrübter" Geschichtskenntnis
, wenn man behaupten will, daß das, was
um 1910 als Revolution in der Kunst geschah,
heute immer noch neu sei. Das genaue Gegenteil
ist der Fall. Auf weite Strecken setzen moderne
Künstler eine Situation voraus, die längst nicht
mehr besteht. Diese Situation ist ungleich fürchterlicher
, grauenhafter geworden, und niemand
hat sie bis jetzt gültig zu deuten verstanden. Am
allerwenigsten in der Bildenden Kunst, die nicht
den geringsten Anspruch erheben kann, im
Augenblick des Unfertigen, des Experimentes,
des Werkstatt-Stadiums unsere Stellungnahme
herauszufordern.

Wenn wir den „modernen" Künstlern einen
Rat geben können, so den, so lange in die Wüste
zu gehen, bis ihnen etwas einfällt. Mögen sie
doch endlich aufhören etwas zu wollen und
mögen sie beginnen Geduld zu haben, bis sie reif
sind, etwas zu tun. Wenn wir der anderen Seite
zu etwas raten dürfen, dann zu dem, daß sie von
ihrer Mitte aus zu einem neuen Ring stoßen
mögen, um aus der Gefangenschaft der Nachgeborenen
in die Freiheit der Zukünftigen zu
gelangen.

So wie heute über diese Dinge öffentlich
diskutiert wird, ist kein fruchtbares Ergebnis zu
erwarten. Es müßte uns ein Anliegen sein, so
lange auf jede öffentliche Erörterung zu verzichten
, als man sich sagen muß, daß „Fraktionszwang
* ' besteht, der hier zu nichts führen kann.

L. B.

r-\

Haben Sie Ihren Verwandten und Bekannten unser
Blatt schon gezeigt? — Wenn nicht, holen Sie es
bitte nach. Für jeden Neuabonnenten zahlen wir
1.— DM Werbeprämie.

V___)


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1953-11/0004