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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1953-12/0010
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Die Markgrafschaft

bei der Magd fensterin wollte. Diese schlief im
zweiten Stock nach dem Hof hinaus. Nebendran
war die Schlafkammer der Urgroßeltern. Einmal,
als sie eben zu Bett gegangen und noch wach
waren, hörten sie ein Tappen im Hof. Gleich
darauf wurde eine Leiter an ihr Fenster gestellt,
die Sprossen' knarrten, die Umrisse eines Kopfes
hoben sich vom hellen Himmel ab, und ein
Finger klopfte leise an die Scheibe: „Bäbeli, mach
mer e weng uf!" Lachend stupfte der Urgroßvater
seine Eheliebstin: „Paß uf!" Dann rief er
mit seiner tiefen Stimme: „Frau, läng mer 's
Gwehr!" Das wirkte. Wie der Blitz sauste einer
die Leiter hinunter, fiel mit ihr um und mit
Geklapper fuhren ein Paar Holzschuhe über den
Hof und die Einfahrt hinaus. Fortan wurde das
Kammerfenster nicht mehr verwechselt.

Ein anderes Schelmenstücklein war seinem
Freund Friedi in der Unterstadt passiert. Dieser
bewohnte mit seiner Frau ein kleines Häuslein
und lebte mit ihr glücklich und zufrieden. Zu
jener Zeit war ein Nachttisch noch ein Luxusgegenstand
, der nicht zur Einrichtung einfacher
Leute gehörte. Darum fand auch in Friedis Haushalt
das notwendige nächtliche Gefäß bei Tag
seinen Platz unter dem Bett, bei Nacht außen
auf dem Fenstersims. Auf diese Gewohnheit
baute ein Schelm seinen Plan. Eines Nachts, als
alles still und dunkel war in der Gasse, schlich
er an Friedis Haus, nahm den Topf herunter,
bohrte ein kleines Loch in den Boden und stellte
ihn wieder an seinen Platz. Hierauf klopfte er
laut ans Fenster und verschwand hinter der
Hausecke. Der Friedi erwachte und ging nachsehen
, wer da sei. Kein Mensch war zu sehen.
Friedi brummte. Um aber nicht umsonst aufgestanden
zu sein, nahm er den Topf herein und
tat, wie der Schelm gerechnet hatte. Das Kätterli
war auch wach geworden und tat bei Gelegenheit
dasselbe. Als sie den Topf wieder zum Fenster
tragen wollte, trat ihr Fuß ins Feuchte. „He
aber Frieder, hesch jetz nit chönne acht gee",
entrüstete sie sich. „Was acht gee? Du wirsch
dernebe grote sy". Jedes wehrte sich gegen den
schmählichen Verdacht und ein 'Wort gab das
andere. Zuletzt gerieten die sonst so friedlichen
Leute in den schönsten Ehestreit. Das corpus
delicti aber stand wieder vor dem Fenster und
rann fröhlich weiter bis es leer war. Als das
Kätterli am Morgen Ordnung machte, den leeren
Topf und den feuchten Streifen an der Mauer
sah, bat es dem Friedi seinen Verdacht ab und
der Friedi ihm. Aber den Übeltäter entdeckten
sie nie.

Die Monate und Jahre lösten sich ab. Es kam
das böse Achtundvierziger Jahr, in dem die
Badener ihren Großherzog absetzen wollten.
Viele Bürger, die bisher am meisten fürstentreu
taten, wurden über Nacht Freischärler. Wer aber
noch zum Großherzog hielt, durfte das nur im
Geheimen, sonst kam er um Freiheit, Haus und
Hof. Badische Truppen, die zur Wiederherstellung
von Ruhe und Ordnung ins Oberland geschickt
wurden, schwenkten ins Freischarenlager
ab. Der Freischarführer Hecker war der Mann
des Tages; er wurde geradezu Mode. Die Männer
trugen Heckerhüte, und die Mädchen häkelten

Geldbörsen in Form solcher Hüte. Das Losungswort
hieß: Freiheit.

In diesen Aufruhr hinein kamen hessische
Truppen unter Führung des Generalleutnants
Freiherr von Gagern. Bei Kandern kam es zum
ersten Treffen am 20. April 1848, bei der Scheideck
, wo als erster der General von Gagern fiel.
Sein Leichnam wurde nach Müllheim gebracht
und im Krankenhaus aufgebahrt. Großmutter sah
ihn dort liegen, in Galauniform, mit Kniehosen
und weißen Strümpfen. Ein Denkstein auf der
Scheideck erinnert an jene unruhevolle Zeit.

Als im Jahre 1849 dem Großherzog noch
preußische Truppen zu Hilfe geschickt wurden,
kam mit diesen Prinz Wilhelm von Preußen, der
spätere Kaiser Wilhelm I., nach Müllheim. Oben
am Erlenbuck wurden Geschütze aufgestellt,
bereit, beim kleinsten Zwischenfall Müllheim zu
beschießen. Mit einem Schlag wurden die revolutionären
Geister klein, und man hörte wieder:
„Für Fürst und Vaterland!" Der alte Mengler-
Beck rannte durch die Straßen und schrie:
„Hängge wißi Fähne use!" Tisch- und Bettücher
wurden an Schwingruten geknüpft und zum
Fenster hinausgehängt. Die ärgsten Schreier aber
flüchteten über den Rhein, um im Elsaß die Zeit
abzuwarten, bis alles vergeben und vergessen
war.

Ein Jahr lang lagen die Preußen in Müllheim.
Alle vier Wochen mußten die Quartierleute gewechselt
werden, damit die Soldaten nicht zu
warm wurden. Der ungebärdigste der in Dalers
Haus Einquartierten war ein baumlanger Kerl,
der den Urgroßeltern viel Ärger bereitete. Einmal
wollte er sich nach Tisch rasieren, aber die
Familie hatte ihre, Mahlzeit noch nicht beendet.
Da packte der Soldat das Tischtuch an den vier
Zipfeln und warf es mit allem, was darauf stand,
zu Boden. Nun riß dem Urgroßvater doch der
Geduldsfaden. Er sprang auf, packte den Unverschämten
vorn an der Halsbinde und drückte
ihn so lange an die Wand, bis diesem das Wasser
in die Augen stieg. Das half; der Preuße wurde
nunmehr der verträglichste Hausgenosse.

Nach Pfingsten 1850 zogen die Preußen endlich
heim. Ein Aufatmen ging durch das Land
und geordnete Zeiten brachen an. Großmutter
heiratete und blieb im Hause. Kinder kamen und
die Urgroßmutter hatte andere Pflichten, als den
Lichtgängerinnen Geschichten zu erzählen. Das
älteste der Mädchen war meine Mutter.-In hohem
Alter starben die Urgroßeltern nacheinander.

Wieder verdüsterte sich der politische Himmel
. Nach den unruhigen Jahren 1864 und 1866
füllten 1870 neue Kriegsberichte die Zeitungen.
Müllheim lag nahe an der französischen Grenze,
und voll Sorge wartete man auf einen möglichen
Rheinübergang französischer Truppen. Mehr als
einmal läutete die Sturmglocke, und der Ruf:
,,D' Franzose chemme!" pflanzte sich von Mund
zu Mund.

Unter der großen Weintrotte in der Scheuer
grub Großvater ein tiefes Loch, in das Großmutter
alles versteckte, was ihr wertvoll erschien.
Täglich war man zur Flucht bereit und hielt das
Nötigste in Bündeln zusammengepackt bei der


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