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Die Markgrafschaft
13
Die Silvesterfahrt
des Sdoweizer-Müller
An einem grauen Silvesterabend
vor mehr als hundert Jahren fuhr
ein Schlitten mit zwei Pferden über
die Scheideck nach Steinen. Der
Mann, der im schwarzen Mantel
und weißer Lammfellmütze das Gefährt
lenkte, ließ seine Rappen,
die durch Kandern mit klingendem
Schellengeläute getrabt waren, bald
in Schritt fallen, denn er war den
Tieren ein sorgsamer Herr. Gewiß
hatte er zu Hause so viel Geld im
Schrank liegen, daß er noch ein
Dutzend Pferde hätte kaufen können
, ohne trockenes Brot essen oder
gar seinen schönen Buchenwald im
Lieler Tal verkaufen zu müssen.
Aber der Schweizer-Müller liebte
seine Tiere, seine Mühle mit dem
großen Wasserrad und seinen Wald
nicht nur, weil sie viel Geld wert
waren, sondern er liebte an ihnen
das Lebendige um der Schönheit
und Kraft des Lebens willen. Seine
gesunde, weil im Grunde genommen
kindliche, Lebensauffassung
spiegelte sich lebhaft in seinem
frischen Jungengesicht mit dem
braunen Haar und der ganzen Unbekümmertheit
, die aus seinen hellen
Augen strahlte.
Der hereinbrechende Abend ließ
den Schweizer-Müller indessen nachdenklich
werden. Rings um ihn war
eine große Stille. Der Schnee lag gut
zwei Fuß hoch und nur wenige Spuren waren
im Dämmerlicht noch zu erkennen. Auf halbem
Weg zur Scheideck fing es wieder an zu schneien,
aber es ging kein Wind, und der Schlitten fuhr
dahin wie durch eine Wolke von weißer Wolle,
die alles dämpfte, sogar das helle Läuten des
Schlittens. Der Schweizer-Müller hing seinen
Gedanken nach und freute sich auf seine Stube
daheim, in der der große, braune Kachelofen mit
der warmen Kunst stand und die vielen Geweihe
von Hirschen und Rehen. Sein Vater war ein
fröhlicher Jäger gewesen, aber er starb schon
früh und erlebte die erste Jagd seines Sohnes
nicht mehr. Die Mutter sagte damals zu ihm:
„Jörg, jetz zeig, was du kannst", und damit übernahm
er das, was sein Vater ihm hinterlassen
hatte. Jetzt war er dreißig geworden. Seine Mutter
dachte, es wäre nun an der Zeit für ihn, sich
eine Frau zu suchen. Denn, obschon Mütter ihren
einzigen Sohn nie gerne hergeben, und die
Schweizer-Müllerin noch eine stattliche und
rüstige Frau anfangs der Fünfzig war, dachte sie
immer gerne voraus, und wenn etwas nötig war
zu tun, so tat sie es auch.
Das Leben spielte sich in der Schweizer-
Mühle nach einfachen Grundsätzen ab. Es wurde
weder geknausert noch in Saus und Braus gelebt.
Winterliche Straße
(Photo W. & Tr.)
So gut wie die Arbeit, die dort geschafft wurde,
waren auch Essen, Trinken und Kleidung. Die
Schweizer-Müllerin lenkte immer noch alles, aber
sie lärmte nicht dabei. Manchmal sah sie ihrem
Sohn vom Küchenfenster aus zu, wie er die
Kornsäcke von den Bauernwagen hob, spielend
und fröhlich dabei wie sein Vater. Es fiel ihr
schwer, daran zu denken, daß ihr Sohn, der noch
ein großer Junge war, sich nun verheiraten
müsse, aber nötig war es, denn die Schweizer-
Müller blieben zu lange ein Kind. Sie waren
noch mit vierzig große Jimgen. Aber manchmal
war auch in der ruhig dahinlebenden Schweizer-
Mühle ein Mann notwendig.
Über dies und manches andere dachte der
Jörg nach, als er durch die weiche Stille zur
Scheideck hinauffuhr. Heute abend würde es
eine kleine Feier zu Hause geben. Die Nachbarn
würden zum Silvestern kommen und wenn die
alte Uhr rasselnd Ende und Anfang des Jahres
um Mitternacht verkünden wird, dann wollte er
seiner Mutter als erster gratulieren. Dann allerdings
käme vielleicht als zweite eine andere
daran, die Gertrud, das Mädchen aus dem Lehrerhaus
, das hie und da schon eingeladen war und
dem Jörg mehr Gedanken widmete, als die
Schweizerin, der sonst nichts verborgen blieb,
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