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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1954-01/0010
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Die Markgrafschaft

Ludwig Josef von Bourbon, dessen ritterlicher
Enkel, der Herzog von Enghien, 1804 von
Napoleon in dem badischen Städtchen Ettenheim
aufgegriffen und in den Festungsgräben von
Vincennes erschossen wurde, bezog wohl mit
seinem Sohne Ludwig Heinrich Josef Quartier in
Müllheim. Auch dieser Sohn nahm ein unglückliches
Ende. Im Alter von 74 Jahren, seinen
natürlichen Tod nicht erwarten könnend, beging
er 1830 Selbstmord. Im gleichen Jahre 1795 kam
noch die Nachricht vom Tode des Kindes Ludwigs
XVI., das den Titel Ludwig XVII. führte,
ohne je die Königskrone getragen zu haben. Es
starb in Paris in Herzeleid und Not. Es war eine
grausame Zeit. Sie verkündigte die Lehre von
der Menschen Würde und den Menschenrechten
und nahm so vielen Menschen das Recht. Sie
brachte Leid und Jammer, und die Würde des
Menschen bewies sich oft nur im Ertragen dieses
Elends. Als diese Nachricht bei den Emigranten
eintraf, sammelten sich die Truppen und zogen
auf das Feld zwischen der Heilig-Kreuz-Kapelle
bei Neuenburg und Steinenstadt. Hier auf dem
Hochufer, angesichts der Heimat jenseits des
Rheines und der Vogesenhöhen, die mit ihren
Kämmen weit hineinschauen ins französische
Land, riefen sie mit. allem Gepränge Ludwig
Stanislaus, den ältesten Bruder Ludwigs XVI.
zum Könige Ludwig XVIII. aus. Sie mochten sich
von ihm die Wiedererrichtung des Königtums
erhoffen, durch ihn wieder die Möglichkeit zur
Rückkehr in ihre alten Vorrechte. Er wird uns
geschildert als ,,ein körperlich unbeholfener
Mann ohne Würde und Ansehen, wenn auch
nicht ohne Verstand und Herzensgüte, eigensinnig
und voll Vorurteile gegen die Zeitideen".
Drüben auf dem französischen Ufer standen die
Revolutionssoldaten zu tausenden und schauten
dem Ereignis zu. Der Stimmungsaufschwung der
Emigranten war groß. Man hoffte in nächster
Zeit den Rhein zu überschreiten und die Revolution
zu beseitigen. Statt dessen zogen die kaiserlichen
Truppen den Rhein hinab und ließen die
Condes allein zurück. Über ein Jahr waren sie
an der Gegend und brachten viel Geld unter das
Volk. Die Preise für Lebensmittel stiegen gewaltig
. Doch mit dem Reichtum schwand die Einfachheit
des Lebens, ob zum Segen der Gegend,
mag dahingestellt bleiben. Neuenburg hatte an
diesem neuen Reichtum nicht teil. Zu elend war
das Bild des Ortes, als daß es die leichtlebigen
Emigranten hätte anziehen können, sich hier
niederzulassen. Zu wenig Möglichkeit zu leichtem
Lebensgenuß bot die Stadt.

Da kam im Jahre 1796 die Nachricht, daß die
französischen Truppen bei Kehl über den Rhein
gesetzt wären. In Eilmärschen brachen alle
Truppen auf, um sich den Franzosen entgegenzuwerfen
. Es war um die gleiche Zeit, als der
junge Bonaparte seinen siegreichen Feldzug in
Oberitalien führte. Es gelang nicht, Moreau aufzuhalten
. Er drang durch den Schwarzwald und
Württemberg auf München vor. Erst als das
zweite Heer unter Jourdan bei Amberg und
Würzburg entscheidend geschlagen worden war
und in voller Auflösung über den Rhein zurückwich
, sah sich Moreau, der Flankendeckung

beraubt, genötigt, über das Höllental bei Freiburg
den Weg zum Rheine zu suchen. Da von
den kaiserlichen Truppen der Weg nach Kehl
versperrt war, muße er versuchen, im Süden bei
Hüningen den Rhein zu überschreiten. Er schlug
den Weg über Schliengen ein. Hier stellte er sich
zur Schlacht, um der Hauptmacht inzwischen den
Rheinübergang zu ermöglichen. Die Condes und
kaiserlichen Truppen hatten sich in der Nacht
vom 23. auf den 24. Oktober auf dem Felde zwischen
der Heilig-Kreuz-Kapelle und Neuenburg
gelagert. Ab und zu kamen Soldaten in die
Stadt. Als der Kampf begann, schlichen die
Truppen unbemerkt am Hochufer entlang nach
Bellingen und griffen den linken Flügel der
Franzosen unter General Ambros überraschend
an. Moreau brach den aussichtslos gewordenen
Kampf ab, der außerdem seinen Zweck erfüllt
hatte, und zog sich ebenfalls bei Hüningen über
den Rhein zurück. Neuenburg blieb von dem
Kampfe unberührt. Nur Verwundete brachte
man auf strohgefüllten Karren in die Stadt.

1797 überschritten die Franzosen wiederum
bei Kehl den Rhein. Ehe die entgegenmarschierenden
Truppen zum Kampfe kommen konnten,
wurde der Krieg beendet. Der Friede von Campo
Formio beendete diese bewegte Zeit. Der Breisgau
wurde dem italienischen Herzog Herkules III.
von Modena gegeben, dessen Gebiet zur Cis-
alpinischen Republik gekommen war. Er war
entsetzt über diese Entschädigung und weigerte
sich, das Gebiet zu übernehmen ohne die Klöster,
die man davon ausgenommen hatte. Dies brachte
neue Sorgen. Die Franzosen besetzten das verschmähte
Land, bis es 1803 dem neuen Landesherrn
gefiel, seine Herrschaft anzutreten. Der
Friede von Campo Formio brachte die Festlegung
der Rheingrenze. Damit war der linksrheinische
Besitz endgültig verloren.

Was war das Ergebnis' dieser Jahre für
Neuenburg? Ein Zurückfallen in neuerliche
Armut, Unruhe und Mühen. Im Herzen aber
ein heimliches Erfülltsein trotz allem von der
Freiheit des Menschen und dem Recht des
Individuums.

Der Nachtwächter von Neuhausen

Bisweilen pflegte wohl der Nachtwächter von Neuhausen
, eine halbe Stunde herwärts Brassenheim, ein
Räuschlein mitzubringen auf die Wachtstube. Brachte er
es nicht mit, so wartete in der Wachtstube das Räuschlein
auf ihn. Ob er in solchen Umständen je einmal die
Mitternacht um eine Stunde zu früh ausrief, muß der
Müller von Brassenheim wissen. Eines Abends reitet der
Müller durchs Dorf und hatte auch etwas im Kopf, und
der Wächter rief eben die Stunde an. „Wie? Was?
Thomas", sagte der Müller. „Ihr ruft ja um eine ganze
Stunde zu viel. Bs ist noch nicht so spät". Darauf erwiderte
der Wächter: „Herr Müller, ich hab' nicht zu
viel gerufen, aber Ihr habt vielleicht zu viel gehört.
Denn Eure Ohren sind ein wenig groß, wie man's in
den Mühlen wohl bisweilen antrifft". Der geneigte Leser
versteht's, was er meinte mit den großen Ohren.

J. P. Hebel


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