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Die Markgrafschaft

9

(IV.)

SPANIEN — DEUTSCHLAND — EUROPA
Erfahrungen und Betrachtungen zu einem Spanienaufenthalt / Von Dr. Gerhard Zittel

Um es gleich zu sagen: wer Spanien bereisen
will, bedarf eines großen Vorrats an Geduld, an
Wissen und an — Liebe. Er muß dieses Land
schon lange in seinen Träumen gewiegt, es in
seiner Größe und Tragik erlebt und erlitten
haben. Er muß viel von unserer deutschen
Ökonomie und Planung der Zeit diesseits der
Pyrenäen zurücklassen. Denn drüben gehen die
Uhren bedächtiger, fahren die Züge langsamer,
sind die Entfernungen weiter. Und trotzdem oder
gerade deshalb haben dort die Spanier mehr Zeit,
sind sie höflicher, leben sie anspruchsloser und
zufriedener. Spanien umfängt den Reisenden nicht
wie etwa Italien mit dem Sinnenzauber seiner
Landschaft. Weite Strecken der Fahrt ins Innere
des Landes führen über monoton - nüchterne,
felsige Hochflächen; keine Wälder und grüne
Matten, auf denen das Auge ruhen könnte. Das
Land lebt und leuchtet aus einem andern, nach
innen gekehrten Gesicht. Dieses öffnet sich nur
dem, der sich auf die ruhige Distanz und Optik
von Jahrhunderten an Geschichte einzustellen
vermag.

Dies möge zuvor bedenken, wer eine Spanienreise
unternimmt. Er bleibt dann vor Enttäuschungen
und vor schiefen Urteilen bewahrt.
Freilich bietet Spanien auch dazu praktische Vorzüge
, die es uns Deutschen zu einem besonders
begehrten Reiseland machen: man lebt dort
immer noch — trotz der steten inflationistischen
Tendenzen im Land — billig; die Einreiseformalitäten
werden von den Spaniern rasch und zuvorkommend
erledigt; im Land selbst kann man
sich wohl fühlen, sofern man die besonderen
Sittenvorschriften für Kleidung, die bei der Einreise
einem ausgehändigt werden, beachtet; man
begegnet überall einer herzlichen und aufrichtigen
Deutschfreundlichkeit, die durch, keinerlei
Ressentiment und Kriegserinnerungen belastet
sind, im Gegenteil, die Spanier erwähnen immer
wieder voll Dankbarkeit und Stolz die Hilfe,
welche Deutschland im Bürgerkrieg ihnen leistete.
Die größte Bewunderung bringen sie dem deutschen
Wiederaufstieg und der deutschen Technik
entgegen. Das zeigt sich praktisch darin, daß der
spanische Staat in den letzten Jahren eine große
Anzahl deutscher Ingenieure und Techniker durch
gute Verträge für eine Reihe von Jahren für sich
gewonnen und sie mit der Aufgabe betraut hat,
beratend beim Nationalen - Industrie - Institut in
Madrid für die Industrialisierung des Landes
mitzuwirken. Auch die große Anzahl deutscher
Kaufleute und Vertreter deutscher Firmen in
Spanien beweist die guten Geschäftschancen der
deutschen Waren und Maschinen in Spanien. Obwohl
nach dem Zusammenbruch die deutschen
Vermögen, besonders auch die Gebäude, durch
die Alliierten beschlagnahmt wurden, gestatteten
die Spanier* schon sehr bald die Wiedereröffnung
der deutschen Schulen in Madrid, Barcelona,

Valencia und verschiedenen anderen Städten. Die
Die Wiedererrichtung der deutschen Botschaft
schließlich stellte dieses gute Verhältnis auf eine
höhere Ebene und die Beziehungen zwischen
beiden Ländern wurden nicht nur wiederum normale
, sondern ausgesprochen freundschaftliche.
Besonders die kulturelle Zusammenarbeit vertiefte
sich; es findet laufend ein reger Austausch
zwischen Professoren und Studenten statt, die
Görresgesellschaft hat wiederum eine spanische
Sektion und eine Niederlassung in Madrid. Der
monatlich erscheinende „Spanische Kultur-Index"
in deutscher Sprache macht den deutschen Spanienfreund
regelmäßig mit allen kulturellen Veranstaltungen
und wichtigsten literarischen Publikationen
in Spanien vertraut. Die deutsche Wissenschaft
, besonders Philosophie und Theologie,
findet in Spanien lebhaftes Interesse, deutsche
Gelehrte werden immer wieder zu Gastvorträgen
im Ateneo in Madrid eingeladen. Eine große
Reihe deutscher Autoren wurde seit Kriegsende
ins Spanische übersetzt. Gerade als Deutscher
findet man leicht Verbindung mit der geistigen
Welt und gewinnt sich bei einem längeren Aufenthalt
in Spanien viele gute Freunde. Da bei
den Spaniern der dienstlich-offizielle und persönlich
-private Bereich viel weniger scharf getrennt
ist als bei uns, sind solche persönlichen
Bekanntschaften von größtem Wert. Das mag
auch mit der besonderen Feinfühligkeit und
Empfindlichkeit des Spaniers zusammenhängen.
IVIit betonter Höflichkeit und mit freundlichem
Wesen kommt man am weitesten. Der Spanier ist
von Natur höflich, aber dabei alles andere, als
steif und reserviert. Er liebt das lebendige, offene
Gespräch und hat — was man als besonders
wohltuend empfindet — immer Zeit dafür. Wenn
man sich mit einem spanischen Bekannten für
ein kleines Rendez-vous verabredet, so muß man
damit rechnen, daß man erst spät in der Nacht
zurückkommt. Man setzt sich vor eines der vielen
Cafes am Paseo, oft gesellen sich dann weitere
spanische Bekannte dazu und am Ende befindet
man sich in einem interessanten geistigen
Club. Das geistige Leben kann man in Madrid
viel mehr in solchen kleinen Zirkeln als an den
offiziellen Instituten studieren. Die Literaten, die
Philosophen, die Journalisten, die Maler haben
alle ihr Cafehaus, wo sie in freien Gesprächen
ihre Konferenzen und Vorträge abhalten. Kommt
man schließlich in vorgerückter Nachtstunde nach
Hause zurück, so besitzt man keinen Hausschlüssel
, sondern klatscht in die Hände und ruft dem
„Sereno". Flink kommt der Nachtwächter in
Uniform und Laterne, in der Hand einen Stab,
mit dem er durch mehrere Klopfzeichen auf dem
Boden schon vorher unser Rufen beantwortet
hat. Ei* ist immer heiter und Von gleichmütigguter
Stimmung, wenn er auch noch so oft aus
seinem Halbschlaf durch „Spätheimkehrer" ge-


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