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Die Markgrafschaft

weckt wird. Wenn man dann am andern Morgen
es vergaß, die Schuhe zu reinigen, so macht dies
einem keine Sorge. Denn nach einigen Schritten
auf der Straße darf man sicher sein, daß ein
„limpiabotas", ein hauptberuflicher Schuhputzer,
vor einem erscheint und solange mit ausgestrecktem
Finger auf die staubigen Schuhe deutet, bis
man stehen bleibt. Dann waltet er mit sichtlicher
Freude und elegantem Schwung seines Handwerks
und lacht einem in kindlicher Freude an,
wenn er die Schuhe auf Hochglanz gebracht hat.
Wer als caballero gelten will — und die gesellschaftliche
Geltung ist für den Spanier alles —,
der läßt sich bedienen.

Der spanische Lebensstil in seinen verschiedensten
Äußerungen, in der Wohnweise und
Zimmereinrichtung, im gesellschaftlichen Leben,
ist durch und durch vom Ritter her bestimmt
und dementsprechend konservativ. In der Kleidung
liebt er wie schon zu Zeiten Philipps II. das
Schwarz; den ausgesprochen sportlichen Stil findet
man nicht. Grazie und Vornehmheit gelten in
der Kleidungskultur viel mehr als Bequemlichkeit
und praktische Zweckmäßigkeit. Der Schwerpunkt
des Lebens liegt nicht im Heim, sondern
in der Öffentlichkeit. Auf liebevolle, gemütliche
Heimgestaltung legt der Durchschnittsspanier
keinen Wert, die Zimmer sind nüchtern und kahl
und nur mit dem Notwendigen ausgestattet. Den
größten Teil der Freizeit pflegt die Spanierin im
Freien, auf dem Spaziergang durch die breiten
Boulevards oder auf dem plaza mayor zu verbringen
. Hier erfreut man sich am bunten Bild
des flutenden Lebens und läßt sich selbst bewundern
. Deswegen haben die spanischen Städte und
besonders Madrid große, breite, mit Platanen-,
alleen flankierte Paseos und zahlreiche Plätze.
Der Spanier ist durch und durch visuell eingestellt
. Er liebt die schreienden Effekte und
Gegensätze, den Kampf, den Lärm. Von hierher
ist auch die spanische Kunst und Religiosität zu
verstehen und zu deuten. Hinter allem ist eine
leidenschaftliche Glut, der unbedingte Wille zum
Absoluten spürbar. Die kirchlichen Feste liebt
der Spanier in Schauprozessionen mit möglichst
naturalistischen Darstellungen, die sein inneres
Wesen aufrühren, darzustellen. Man muß das
einmal in der Semana Santa, in den Karwochenprozessionen
in Sevilla oder anderswo, mitgemacht
haben.

Nahezu 800 Jahre Maurenherrschaft haben
ihre Spuren tief in das spanische Leben und die
spanische Rasse eingegraben. Auch quer durch
die Kunststile, besonders die Gotik, die Spanien
alle aus dem abendländischen Raum übernahm,
geht dieser eigentümliche Zug von Wildheit und
Abgründigkeit; das mystische Dämmerdunkel der
Kirche steht in eigentümlichem Gegensatz zu
dem stets lichtüberfluteten spanischen Himmel;
die hohen Retablos der Altäre, die kunstvollen
riesigen Schmiedeeisenwerke als Abschluß des

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Chores, die wild wuchernden Arabesken als Stilelement
der Säulen) und schließlich die im Hauptschiff
eingebauten Trascoros mit ihren uralten
Holzschnitzwerken, darüber hängend die Orgel
mit ihren schrill in den Raum hinausspringenden
Posaunenregistern: wer einmal diesen Gesamteindruck
einer spanischen Kathedrale lebendig
auf sich hat wirken lassen, sei es in Burgos oder
Toledo, in Segovia oder Sevilla, dem ging etwas
auf von dem für uns Europäer so schwer zugänglichen
Wesen Spaniens.

In der Tat: Spanien ist für Europa ein Problem
. Die so oft gestellte Frage, ob Spanien noch
zu Europa gehöre, ist weder diesseits noch jenseits
der Pyrenäen jemals eindeutig beantwortet
worden. Es ist Brücke, die von Europa weg und
zu Europa hin führt. Fast alle großen Völkerbewegungen
von hüben und drüben im Laufe
der Geschichte wogten über Spanien: Griechen,
Punier, Römer, Goten, Wandalen, Araber siedelten
sich an, brachten ihre Kultur, vermischten
sich mit dem Blut der eingesessenen Urbevölkerung
. Von all diesen Elementen ist das spanische
Wesen geprägt. Am nachhaltigsten aber haben
die Goten und die Mauren ihre Spuren hinterlassen
: in der Rasse und in den Baudenkmälern.
Die südliche Hälfte der Halbinsel, von Toledo an
in immer steigendem Maße bis nach Andalusien,
ist von arabischer Rasse und Kultur durchwoben.
Höhepunkt und Symbol ist die Alhambra. Der
Norden dagegen, von Kastilien an immer deutlicher
werdend bis hinauf zu den alten Königreichen
von Asturien und Leon, ist germanisch.
Einsam durch die Gebirgslandschaften zerstreut
finden wir noch uralte westgotische Kirchen. Der
Nationalpalast in Barcelona zeigt die erstaunliche
Fülle und Kraft dieser frühen Kunst Nordspaniens
. Der Gegensatz zwischen dem christlichen
Norden und dem muselmanischen Süden
und dessen rund siebenhundert Jahre dauernde
Überwindung in der Zeit der Reconquista hat die
bis zum Alcazar von Toledo hin gültige Gestalt
des Spaniertums geschaffen: den kompromißlosen
Glaubensstreiter und Ritter. Spanien hielt viele
Jahrhunderte lang die Wacht an der Südwestflanke
Europas und ermöglichte so die * Entstehung
des abendländisch-christlichen Imperiums
und des künftigen Europa.

Als dann zu .Beginn der Neuzeit die Einheit
des Abendlandes durch die religiöse Spaltung
und das erwachende Nationalgefühl zu zerfallen
und am andern Ende Europas wiederum der
Islam wie eine Sturzflut hereinzubrechen drohte,
da war es wiederum Spanien, das im Reich
Karls V. den Kampf gegen die von innen und
außen drohenden Gefahren auf sich nahm. Und
als abermals vierhundert Jahre später die rote
Flut des Bolschewismus Spanien als Brückenkopf
gegen Europa mit Gewalt erobern wollte,
da stellte sich ihm im alten Helden- und Rittergeist
der spanischen Nation ein unüberwindliches
Bollwerk entgegen. Unvergänglich wird das
Heldenlied der Verteidiger des Alcazar in Toledo
bleiben.

Spanien hat im Lauf seiner langen Geschichte
zu viel Opfer für die Einheit seines Glaubens «als


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