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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1954-01/0013
Die Markgrafschaft

11

die Quelle seiner Kraft und als die
Grundlage der abendländischen Einheit
gebracht, als daß es den Weg
der modernen Zeit durch die Reformation
, die Aufklärung, den Liberalismus
mit seiner Religion der Humanität und
der Toleranz hätte mitmachen können
. Damit begann seine Tragik. Die
Zeit schritt über seine Kreuzzugsideale
hinweg und sah nun in der
Staatsraison und im politischen Realismus
die gültigen Prinzipien der neuen
Epoche. Der Zerfall seiner Dynastie
schließlich brachte die Bourbonische
Fremdherrschaft ins Land, welche die
Spanier stets wie einen Stachel im
Fleisch empfanden. Goyas Kunst zeugt
dafür. Das stolze Spanien, Bollwerk
und Führungsmacht des Abendlandes
ehedem, wurde zu einem Land der
Ziegenhirten und zu einem Experimentierfeld
des aufgeklärten französischen
Absolutismus. Die modernen
Ideen des Liberalismus drangen ins
Land ein.

Das ganze 19. Jahrhundert ist gekennzeichnet
durch die Versuche, die
politische und geistige Fremdherrschaft
abzuschütteln. Zwei Parteien bildeten
sich heraus, die Traditionalisten und
die Liberalen, die um eine Wiedergeburt
Spaniens rangen; die einen
wollten sie im Zeichen der alten spanischen
Werte des Glaubens und seiner
reichen Tradition, die andern im Zeichen
des modernen europäischen Liberalismus
. Von da an bis auf den heutigen
Tag eigentlich existiert ,,Spanien
als Problem" — so lautet der Titel
eines vielbeachteten, vor wenigen Jahren erschienenen
Buches in Spanien — im Bewußtsein der
spanischen Intelligenz. Spanien hat seine besten
Kräfte für Europa und das Abendland eingesetzt
und geopfert und hat dafür von diesem Europa
den Zerfall seiner politischen Macht — im Jahre
1898 verlor es) in Cuba und den Philippinen seine
letzten Überseekolonien — und seiner geistigsittlichen
Werte geerntet.

So kann man es verstehen, wenn die mit der
„Generation 1898" einsetzende geistig - sittliche
Erneuerungsbewegung, die seit drei Generationen
nun die Schwerpunkte des geistigen Lebens
in Spanien bildet, weniger ihre Blicke nach dem
dekadenten Europa richtet als nach jenen Ländern
, mit denen es im alten Glauben, mit seiner
eigenständigen Kultur, mit seiner Sprache und
blutsmäßig am engsten verbunden ist. Ein
führender Kopf jener Erneuerungsbewegung,
Ramiro de Maeztu, hat in seinem Werk „La
defensa de la Hispanidad" die geistige Grundlage
und das Programm für die politischen Bestrebungen
des heutigen Regimes aufgestellt, die
auf eine möglichst enge Zusammenarbeit und
Gemeinschaft der spanisch sprechenden Nationen
hinzielen. Die heutigen Spanier sind dem europäischen
Problem gegenüber aber der Meinung,
daß der Zusammenschluß und die Integration

Vergessen wir unsere gefiederten Sänger nicht !

Europas, wie es die heutige Weltsituation fordert
, nicht nur ein organisatorisch - technisches
oder ein staatsrechtlich - politisches Problem sein
darf, sondern vor allem ein geistiges sein muß.

Gewiß kann Europa keinen Sprung nach
rückwärts machen. Es wird nach seinem innergeschichtlichen
Gesetz den Weg zu seiner eigenen
inneren Mitte suchen müssen. Und es gibt
keinen Irrtum in der Geschichte, der nicht vom
Ganzen her gesehen, heilsam sein könnte. Aber
ebenso werden wir Europäer Spanien verstehen
können, das skeptisch und abwartend Europa
gegenübersteht, bis dessen große geschichtliche
Stunde der schöpferischen Einheit wiederum anbricht
. Der Spanier hat überdies ein anderes
Zeitgefühl als wir unter stetem Druck stehende
Europäer. Er hat die Geduld und die Kraft des
Wartenkönnens. Er weiß, daß die Zeit für
Spanien arbeitet, daß die Welt und daß Europa
Spanien früher oder später benötigen. Spanien
kann Brücke sein zwischen der freien Welt und
jenen Ländern, die man zwischen den zwei großen
Weltblocks Ost—West zuweilen als „dritte
Kraft" zu nennen pflegt; der arabischen Welt
und den iberoamerikanischen Staaten. Den Blick
nach Spanien richten heißt deshalb auch, noch
unausgenutzte, europäische Möglichkeiten» und
Kräfte kennen lernen.


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