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Die Markgrafschaft
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In seinem „Simson" hat Burte eine
sehr eindrucksvolle Szene geschaffen: Des
Simsons Angebinde, das eine Locke seiner
Mutter birgt, hat sich mit der Perlenhalskette
der Dalila verhakt, und die Dirne
bedrängt Simson mit Fragen nach diesem
Weib, von dem er die Locke hat und in
dem sie eine Rivalin vermutet. Aber
Simson gibt schließlich nur zur Antwort:
„Vermöchte ich des Weibes da zu denken,
mir blieben ewig alle Weiber fremd".
Und als sie sich voneinander lösen, zerreißt
die Kette der Dalila und Simson
sagt: „Die Seidenschnur ist schwächer als
die Saite meines Bundes".
Damit daß Burte hier Simson jenes
Geheimnis um die Mutter nicht verraten
läßt, läßt er uns in das letzte Geheimnis
seines eigenen Wesens schauen: in diese
tiefe Verflochtenheit mit seiner Mutter.
Von ihr sagt er in der „Madlee":
„My Wese chennsch un weisch woll,
as es Dys isch".
Den gleichen Satz hätte ja auch Hebel
von seiner Mutter aussprechen können,
und darin sind sich diese beiden alemannischen
Dichter so verwandt; aus diesem
letzten Ursprung her hat auch Burte
unsern Hebel verstanden, so grundsätzlich
verschieden diese beiden Vertreter
des Alemannentums sind. Und wo Burte
diese „Saite seines Bundes" an seiner
Harfe anschlägt, da hören wir den vertrauten
Klang.
In einer Rede auf Hebel, gehalten während
des letzten Krieges, hat Burte einmal den Satz
ausgesprochen, der allerdings falsch verstanden
wurde, weil man ihn falsch zitiert hat: „Was an
Hebel unpolitisch, quietistisch, liberal, tolerant,
individuell, servil war, sind angewehte, fremde
Attribute, fremd wie ihre Wörter. Hebels
schöpferisches, schaffendes Wesen, das reine
Metall seiner Natur, bleibt von diesen Anhauchen
und Belagen der Zeit unberührt". — Burte
sagte also nicht — und das sei doch endlich zu
seiner Rechtfertigung gesagt: „Was an Hebel
unpolitisch usw. war, lehnen wir ab" — so wie
es 1945 gegen Burte oft zitiert wurde, — aber
auch diesem Urteil, daß Hebels unpolitische,
quietistische und tolerante Wesensart ein Fremdkörper
in seiner Natur war, können wir nicht
beipflichten. Denn eben was an Hebel impolitisch
war, also unbeschwert von irgendwelchen von
außen herangetragenen Erwägungen, was an ihm
quietistisch, also in sich ruhend war, was an ihm
tolerant, also verträglich und aussöhnend war,
Bildnis N.
H. Burte
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das eben lieben wir an Hebel und empfinden
diese Attribute nicht als fremdartig, sondern als
zu seinem eigentlichen Wesen gehörig. Und von
„servil" bei Hebel zu reden, dürfte doch nicht
zutreffend sein. Aber wir verstehen, warum
Burte sich darin von Hebel absetzt, denn hier
bricht die starke Verschiedenartigkeit zwischen
Hebel, dem ausgeglichenen Friedensboten und
Burte, dem kämpferischen „Wiltfeber" auf.
Umgekehrt dürfen wir wohl diesen Satz für
unseren Jubilar umprägen: „Was an Burte unpolitisch
war, das eben ist der eigentliche und
beste Burte; das schätzen wir alle an ihm, was
aus dieser tiefsten Quelle, seiner Liebe zur
Mutter, entsprang, die ihm gleichzeitig ja auch
mit „ihrem Heimetschiin as Woppe" das untrüglichste
Sinnbild seiner Heimat war. Und in gleicher
Weise ersteht ihm auch die, deren Namen er
dem Band seiner besten alemannischen Gedichte
gegeben hat, und die er beruft und beschwört,
die „Madlee", die ewige Geliebte, als die mütterliche
Jungfrau als „Seel ob eusem Bode" — und
neben ihr steht Hebel als „reinsti Seel ab eusem
beste Bode". Und dem Sänger dieser „Madlee"
und der „Seele des Maien", der Sammlung seiner
Gedichte an Hebel, danken wir Hebelleute heute
zu seinem 75. Geburtstag — und darüber hinaus
„Solang e Muul no Mueder sage chaa".
Richard Nutzinger
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