http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1954-04/0006
4
Die Markgrafschaft
tJÖarfjfen unb Werben im ©trombüö bee Ktyrtnee
Von den Völkern umworben wie kein zweiter
Fluß Europas, besungen und gepriesen im deutschen
Lied und deutscher Dichtung, den deutschen
Landen ein Wegweiser und Wegbereiter
ans völkerverbindende Meer, ein Schutz und
Einiger deutscher Stämme, ein Vermittler vielseitigster
Erzeugnisse seiner Uferländer, so
rauscht der Rheinstrom in breitem Fluten durch
die Jahrtausende.. Redet der Deutsche vom Rhein,
so tut er das mit einem Gefühl frohen und doch
ehrfürchtigen Stolzes; der Begriff Rhein ist für
ihn wie aus einem Guß, wie ein Symbol unveränderlicher
Treue und Stetigkeit im ernüchternden
Wandel des Alltags. Doch nur wenige sind
sich klar darüber, daß auch unser stolzer Rhein
von vorgeschichtlichen Zeiten bis in unsere Tage
hinein einen äußerst unruhigen Werdegang hat
durchmachen müssen, daß sein Lauf nur stückweise
zusammengewachsen ist in — für unsere
Maße — unendlichen Zeiträumen, daß er, wie in
einem Menschenschicksal, Perioden unbeholfener
Schwäche und wilden, hemmungslosen Dranges,
zäher Anspannung aller Kräfte und satter Ruhe,
ungeschmälerter Freiheit und harten Zwanges
erlebt hat.
Es gibt in Europa längere und wasserreichere
Ströme, es gibt aber keinen, dessen Strombild
eine solche Buntheit aufwiese, einen solchen
Wechsel zwischen den einzelnen Abschnitten seines
Laufes. Schon die Bezeichnungen derselben
als Alpenrhein, Hochrhein, Oberrhein, Mittelrhein
und Niederrhein weisen auf die Vielgestaltigkeit
unseres Stromes in Ursprung, Entwicklung und
natürlichen Bedingungen hin. Am Ende der
um Jahrhunderttausende zurückliegenden erdgeschichtlichen
Periode des Tertiär beherrschte die
Donau mit ihrem Einzugsgebiet nicht nur wie
heute das schwäbische und bayerische Alpenvorland
, sondern auch die ganze Schweizer Hochebene
und die gesamten nördlichen Alpenketten
von Wien bis Genf. So ergossen sich die obere,
dem Wallis entströmende Rhone und die Aare in
diese sogenannte „Urdonau", zu der auch der
Alpenrhein als Nebenfluß über die Gegend des
heutigen Bodensees hinweg seinen Weg fand und
ungefähr an der Stelle, wo heute Ulm liegt,
mündete. Damals floß durch die Burgundische
Pforte nach Westen zu ein Wasserlauf, der dann
am Westrand des Jura seinen Weg in das heutige
Rhönebecken nach Süden nahm. In kräftigem,
rückwärtigem Einschneiden verlegte er seine
Quelle, die wohl ursprünglich bei Basel war,
durch das heutige Hochrheintal immer weiter
nach Osten, um sich dann schließlich in der Ge- .
gend der heutigen Aaremündung in die Flanke
der oben erwähnten Urdonau zu bohren und auf
diese Weise das gesamte Flußnetz der Aare an
sich zu reißen. Wurde so das eigentliche Quellgebiet
der Donau gewaltig vermindert, so gingen
ihr dann kurz vor Beginn der Eiszeit auch noch
die Gewässer verloren, die ihr vom Alpenrhein
über die schwäbische Hochebene nördlich unseres
heutigen Bodensees zugeflossen waren. Ein Quellgebiet
nach dem andern wurde der Donau durch
den stärker von Westen rückwärts schreitenden,
neuen Hochrheinstrom abgekappt, und so wurde
sie nach dieser Anzapfung zur Schwarzwalddonau
, die, aus Brigach und Breg zusammenwachsend
, nur noch einen Bruchteil ihrer einstigen
Bedeutung besitzt und die Schweizer Alpengewässer
ganz verloren hat. Der Alpenrhein aber
war in das durch Senkung entstandene Becken
des oberen Bodensees abgelenkt worden, das die
Gletscher der Eiszeit vertieften. Die Schuttmassen
der Gletscher, die als Rückstand der Eiszeit in
weitem nördlichen Bogen das Bodenseegebiet
umgaben, unterbrachen endgültig einen Rheinabfluß
ins Donaugebiet. Der Weg des Alpenrheins
nach Nordwesten und dann nach Westen zu in
den heutigen Hochrhein hinein blieb gesichert,
wenn auch auf der Strecke von Konstanz bis
Basel im einzelnen noch manche Korrekturendes
Flußlaufes erfolgten.
In dem soeben geschilderten Entwicklungsstadium
des Rheinstrombettes zu Beginn der Eiszeit
waren nun die Teilstücke des Alpen- und
Bodenseerheines mit demjenigen des Hochrheines
zusammengewachsen, doch ergossen sie sich
immer noch nach Westen über die Gegend von
Basel hinweg ins Burgundische Becken und von
da ins Rhönetal zum Mittelmeer. Nördlich des
heutigen Rheinknies war infolge Senkung im
Tertiär der gewaltige oberrheinische Graben entstanden
, durch den sich wohl ursprünglich von
Westen nach Osten, ungefähr in der Gegend des
heutigen Kaiserstuhls, eine höhere Schwelle
legte. Von dieser Wasserscheide aus floß ein
kleinerer Wasserlauf nach Süden zum Hochrhein-
Alpenrhein hin, während drei Viertel der Oberrheinischen
Tiefebene nach Norden entwässert
wurden durch einen zur Nordsee fließenden
Strom, dessen Quelle sich immer weiter in die
Wasserscheidenschwelle nach Süden hineinschob.
So erfolgte schließlich auch die Anzapfung des
Hochrhein-Alpenrheins vom Mittelrhein im Norden
her. Der Rheinlauf, der bis dahin vom
Bodensee aus nach Westen zog, um durch die
Burgundische Pforte einzubiegen, wandte sich
nun nach Norden in die Oberrheinische Tiefebene
. So entstand das scharfe Rheinknie bei
Basel, so floß nun der Rhein in zusammenhängendem
Lauf vom St. Gotthard bis zum
Bodensee als Alpenrhein, vom Bodensee bis
Basel als Hochrhein, von Basel bis Bingen als
Oberrhein, von Bingen bis Bonn als Mittelrhein
und von Bonn bis zur Mündung als Niederrhein.
Alle diese Vorgänge zusammengenommen aber
haben das großartige Ergebnis erzielt, daß die
Donau vom Rhein aus dem Felde geschlagen
wurde, daß dieser zum bedeutendsten Strom
Mitteleuropas und zum verkehrsreichsten der
Welt wurde, und daß Südwestdeutschland und
die Schweiz heute verkehrsgeographisch und
politisch in viel stärkerem Maße nach Norden
und Nordwesten schauen als nach Osten. Noch
viel bedeutungsvoller wäre für Süddeutschland
allerdings der nach dem Norden abgebogene
Rheinlauf, wenn Holland, das Land an der Rhein-
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1954-04/0006